Mit der Kamera in die Seele

Interview mit dem Schauspieler Ben Münchow

Und was ist es, das dich gerade daran so fasziniert?

Es ist eine Traumfabrik. Man schafft es, durch Licht, Ausstattung und Bühnenbild eine komplett eigene, andere Welt zu erschaffen. Und man kann alles erfinden im Film! Man kann Illusionen erzeugen – ich liebe Zauberei – Film kann zaubern. Deshalb fasziniert mich das so. Die Kamera kann Dinge zeigen, die man sonst übersieht. Man sieht zum Beispiel ein Auge und kann schon mit einer Kameraeinstellung erzählen, was der Mensch denkt. Die Kamera kann komplett in seine Seele eintauchen. Es macht unfassbar viel Spaß zu sehen, was aus einer Figur wird, und was man persönlich daraus zieht, wenn man einen Film sieht, im Fernsehen, im Internet – wo auch immer.

Gerd Holler, Lena Odenthal und Mario Kopper
Gerd Holler fällt es schwer, Frauen direkt anzusehen.  | Bild: SWR / Alexander Kluge

Gerds Charakter im Tatort "Die Sonne stirbt wie ein Tier" ist ja sicher eine außergewöhnliche Seele, in die so eine Kamera eintauchen kann. Was hat denn diese Rolle von deinen bisherigen unterschieden?

Es war die schwerste Rolle, die ich je gespielt habe. Obwohl wir nicht viel Zeit hatten, habe ich mich sehr intensiv darauf vorbereiten müssen. Gerd stottert, da habe ich mir psychologische Hintergründe zum Stottern angelesen und auch Psychologen befragt. Ich habe ihm ja auch einen nervösen Tick gegeben – ich weiß nicht, inwiefern das rüberkommt. Gerd weiß selber nicht, wer er ist und wie er mit sich umgehen soll. Er kann seine Emotionen überhaupt nicht gezielt in irgendwelche Richtungen lenken und sie auch nicht verarbeiten. Im Grunde ist er ein gehetzter, getriebener Junge, der sich einfach nicht anders zu helfen weiß als dann, wenn er sich in die Ecke gedrängt fühlt, emotional so auszubrechen, dass er irgendetwas kaputt machen muss, bis er sich wieder stark und bei sich selber angekommen fühlt. Er lebt seine Unfähigkeit mit sich selber klar zu kommen an dem aus, was er liebt – und das sind Pferde. Im Grunde ist es ein Hilfeschrei, den keiner sieht. Er ist ein ziemlich einsamer Junge. Nicht einmal ein Mann, er ist noch ein Junge.

Gerds Beziehung zu Pferden ist wirklich sehr komplex. Wie würdest Du sie genau beschreiben?

Er liebt Pferde. Wenn er sonst nie Liebe bekommen hat, hat er Geborgenheit bei den Tieren gefunden. Bei ihnen konnte er komplett er selbst sein und wurde nicht beurteilt für das, was er ist. Er wurde nicht komisch angeschaut, sondern die Pferde haben ihm Ruhe gegeben und ihm ermöglicht sich aufgehoben zu fühlen in dieser Welt. Er hat seine Zuwendung, sein Bedürfnis nach Nähe den Tieren gegeben, weil all das von ihnen auch pur zurückkam. Er ist einer, den keiner versteht, ein Alien in seiner ganz eigenen Welt. Seine Handlungen an ihnen sind deshalb ein riesengroßer Hilfeschrei.

Und zu Frauen?

Gerd hatte nie wirklich eine Freundin und hat nie wirklich Liebe erfahren. Alles an Nähe hat er von den Tieren bekommen. Zu Frauen hatte er nie wirklich Kontakt und weiß deshalb überhaupt nicht, wie so etwas funktionieren kann, die Liebe zwischen Mann und Frau. Er weiß, dass sie ja irgendwie für den Menschen vorgesehen ist, um sich fortzupflanzen, aber er versteht nicht, was darunter liegt. Frauen faszinieren ihn, er findet sie interessant und aufregend, spannend und mystisch, er ist aber völlig verloren, wenn er persönlich mit ihnen umgehen will.

Lena Odenthal und Gerd Holler
Lena Odenthal konfrontiert den verdächtigen Gerd Holler mit den Fotos der getöteten Tiere. | Bild: SWR / Alexander Kluge

Du sprichst immer wieder von Liebe. Glaubst Du die Liebe könnte ihn "retten"?

Ja. Paula, die er trifft, wäre seine Rettung. Das hat er leider nicht verstanden. Einen Moment lang war alles super, alles war wundervoll – die beiden haben auf ihre Art funktioniert, wie man ja auch im Film sieht. Sie nimmt ihn an, wie er ist, mit allem, was er tut. Nur, dass er dann einmal Scheiße gebaut hat, die sie ihm wahrscheinlich auch noch verziehen hätte, hat unausweichliche Folgen.

Wie war die Arbeit mit dem Tatort-Team?

Wahnsinnig gut. Ulrike und ich haben uns vom ersten Tag an, als wir uns in der Maske geneckt haben, richtig gut verstanden. Auch mit Andreas komme ich super gut klar. Die Atmosphäre war unfassbar entspannt. Man wird dort unterstützt und sofort ins Team aufgenommen – ich habe mich sofort zuhause gefühlt. Seit dem Vorgespräch zur Rolle, so etwas wie dem Casting, haben auch Patrick, der Regisseur und ich uns wahnsinnig gut verstanden. Das hat durch den ganzen Dreh geführt. Es war, als ob ich in eine große Familie gekommen wäre, die einen sofort aufgenommen hat. Deshalb war das einer der schönsten Drehs, die ich jemals hatte.

Das Gespräch führte Grit Krüger.

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