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Frankreich: Französischer Atomschirm für Europa? Was denken die Franzosen?

Frankreich: Französischer Atomschirm für Europa? | Bild: NDR

Furchterregend: So sieht es nicht nur aus. So ist auch sein Name auf Französisch:  "Das Furchterregende" – "Le Redoutable". Das erste U-Boot der französischen Atommacht. Lange der Stolz der Marine. Und immer noch sein Stolz: Xavier Ruelle ist mehr als 20 Jahre als Chefmechaniker auf solchen Atom-U-Booten gefahren. Heute führt er Besucher durch das Innenleben des "Redoutable".

"Hier gibt der Kommandant den Code ein und dasselbe passiert unten bei den Raketensilos. Und wenn beide Codes übereinstimmen, ist der Befehl identifiziert  – dann geht es los." Der ehemalige Marineoffizier zeigt uns die Silos für die Atomraketen, jede einzelne 80 Mal stärker als die Hiroshima-Bombe. Für Xavier bleiben diese Raketen unverzichtbar. Frankreich wollte nach dem Zweiten Weltkrieg nie wieder militärisch verletzbar sein. Das gilt noch immer. Vor allem für U-Boot-Soldaten wie ihn: "Bis heute bringen wir Opfer. Wir opfern Lebensqualität für diese wichtige Mission. Für Frankreich. Und nur für Frankreich." Nur für Frankreich? Sein Präsident sieht das inzwischen anders: Der schlägt vor, mit dem französische Atomschirm in Zukunft auch befreundete Länder wie Deutschland zu schützen. Und löst damit wenig Begeisterung aus.

Cherbourg: Geburtsort der französischen Atomflotte

Cherbourg  an der Nordspitze der Normandie: Der Geburtsort der französischen Atomflotte. Alle Atom-U-Boote wurden hier gebaut. Die neuste Generation entsteht gerade in der gewaltigen Werft des Rüstungskonzerns Naval. Einen Blick darauf werfen? Keine Chance! Unsere Anfragen werden höflich aber bestimmt abgewiesen. Was hier entsteht, ist Staatsgeheimnis. Mit einem Boot kommen wir zwar etwas näher ans Werftgelände heran. Aber dann geraten wir ins militärische Sperrgebiet und unser Bootsführer Nicolas Jeanne wird ganz schnell nervös: "Wir sind jetzt schon 200 Meter zu nah dran." Das es die französische Nuklearflotte gibt, findet Nicolas ja grundsätzlich gut – aber dass sie gerade bei ihm vor der Haustür gebaut wird, besorgt ihn etwas: "Das ist nicht so leicht in einer Region zu leben wo es Atomkraft, Militär und U-Boote gibt – das kann  ja alles von anderen Ländern angegriffen werden."

Auch andere machen sich Sorgen: Am Hafenkai bin ich bin mit jungen Anhänger der linken Partei "La France Insoumise" verabredet. Was in den Hallen gegenüber entsteht, können wir uns nur als Video ansehen. Vier Nuklear-U-Boote hat Frankreichs Armee aktuell im Einsatz, alle mit 16 Atomraketen bestückt, wie "Le Retoutable" es war. Die neuste Generation, an der der in Cherbourg gerade gebaut wird, soll ab 2035 kampfbereit sein. Daneben besitzen die Streitkräfte noch 40 atomare Marschflugkörper, die von Kampfjets getragen werden. Dass diese Atomwaffen in Zukunft auch europäische Nachbarn schützen könnten – davon halten Alexandre Dubois und seine Freunde wenig: "Das sind Verteidigungswaffen. Und das sind Waffen, die nur im Fall eines Angriffs auf unser Land, auf unsere Interessen eingesetzt werden können." Vincent Pillot sagt: "Ich finde das erstaunlich, dass man eine Waffe, die zur nationalen Verteidigung gedacht ist, auf europäischer Ebene zur Debatte stellt, ohne dass man von einer gemeinsamen europäischen Armee sprechen kann." Montaine Harzo meint: "Präsident Macron schlägt das doch nur vor, weil er Interesse daran hat, die internationale Lage für sich zu nutzen. Zuhause hat er ja nicht mehr viel Unterstützung."

Zweifel am Vorschlag, französischen Nuklearschirm auszuweiten

Ein Mann steht an einem Kommandostand in einem U-Boot.
Xavier Ruelle führt Besucher durch das Innenleben des Atom-U-Bootes "Redoutable".  | Bild: NDR

So politisch denken in Cherbourg bei weitem nicht alle. Die meiste Menschen in der Stadt schätzen die sicheren Arbeitsplätze auf der Marine-Werft. Die brauchen sie hier. Atomkraft und atomare Rüstung – in Cherbourg sind das vor allem wirtschaftliche Erfolgsgeschichten. Xavier Ruelle trifft sich regelmäßig mit anderen U-Boot-Veteranen: Sie erzählen von früher und debattieren die weltpolitische Lage. Und obwohl diese Herrenrunde alles andere als links-lastig ist: Auch sie zweifeln am Vorschlag von Präsident Macron, den französischen Nuklearschirm auszuweiten – und liegen damit ziemlich nah bei den jungen Linken: "Wir sind bereit, für unsere atomare Abschreckung einiges auf uns zu nehmen. Und wenn man jetzt hört, das soll geteilt werden mit Deutschland, Dänemark, den Niederlanden oder wem auch immer. Ja, würden wir machen, weil wir Europäer sind. Aber psychologisch ist das nicht dasselbe", sagt Xavier Ruelle. Richard Leseur meint: "General de Gaulle hatte es so jedenfalls nicht vorgesehen. Die echten Gaullisten haben die atomare Abschreckung für die Unabhängigkeit Frankreichs geschaffen." Aber am Ende ist für die früheren Marine-Männer klar: Würden der Präsident und die Politiker es anders entscheiden, gäbe es nichts mehr zu diskutieren. "Als Soldaten müssen wir da gar nicht drüber nachdenken. Wir sind da, um Befehle auszuführen", sagt Roger Deguara.

Das Atom-U-Boot mit dem furchterregenden Namen ist für Xavier jedenfalls alles andere alles beunruhigend. Er fühlt sich von den Nachfolgern des "Redoutable"  gut beschützt. Und er verrät uns, dass ihn mit den Raketensilos an Bord besondere Erinnerungen verbinden: "Hier sind die Leute ganz ruhig. Deshalb haben wir diese Zone genutzt, um mal alleine zu sein, weg von der Mannschaft. Wir nennen es den Wald. Wenn man sagte, ich gehe in den Wald, das hieß es ich gehe hier hin, um etwas Ruhe zu haben." Doch eins, betont Xavier, sei auch ihm völlig klar: Atomwaffen können nur solange beruhigend wirken, solange sie nie eingesetzt werden.

 Autor: Michael Strempel, ARD-Studio Paris

Stand: 26.04.2025 14:25 Uhr

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