So., 04.05.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
Russland: Siegesgefühl in Moskau
Sie sind der Blickfang: Historische Panzertypen, vor 80 Jahren gegen Nazi-Deutschland im Einsatz. Hier bei der Generalprobe zur Siegesparade am 9. Mai. Die Erinnerungen an diese Zeit sind vielen Familien in Russland auch heute noch lebendig. Doch es geht längst nicht mehr nur um die Vergangenheit, hier, vor den Toren des Kreml. "Es ist ein Sieg über die Faschisten. Ich denke, mit der Zeit werden wir auch die Ukraine befreien. Das ist für uns heilig", erzählt Alexander und Julia sagt: "Es sollte überhaupt keine modernen Panzer mehr geben – die Welt sollte in eine völlig andere Richtung gehen, einander verstehen, lieben und wertschätzen, jeden, unabhängig davon, wer, wo und wie."
Militärische Ausbildung schon für die Kleinsten
Der Blick zurück in die Vergangenheit, die so viel Leid brachte – und die Schlüsse, die daraus zu ziehen sind. Das scheint auch in Russland nicht einfach. Auf dem Weg nach Sergijew Possad, 70 Kilometer außerhalb von Moskau. Es ist einer der wichtigsten Orte der russischen Orthodoxie. Es ist Sonntag, Zeit für die heilige Messe. Drinnen, ein Kerzenmeer: Beten und Bitten auch für die eigene Gesundheit und das Andenken der Verstorbenen. Mit dabei: Kinder und Jugendliche des patriotischen Lehrgangs von Vater Dmitri. Hier werden sie an die Kirche herangeführt, an Glaube und Traditionen – was um diese Tageszeit nicht für jeden einfach ist. Doch die Herausforderungen steigen noch.

Draußen: Antreten in Reih und Glied. "Ein, zwei – Füße zusammen", befiehlt der Ausbilder. Doch aller Anfang ist schwer – nicht nur für Jelena. Die jüngsten hier sind erst acht Jahre alt. Dennoch: Die Ausbilder haben gedient, der Ton ist bewusst rau – wie im echten Militärleben. Und auch das Wetter nimmt keine Rücksicht. Als die Sowjetunion Anfang der 90er Jahre zusammenbrach, hatte Vater Dmitri die Gruppe gegründet. Es sollte eine Art Sozialprojekt sein, um viele Kinder in den wirtschaftlich harten Zeiten von der Straße zu holen. Doch die Zeiten sind vorbei, sagt er: "Wir arbeiten eben traditionell – wir sind eine halbkirchliche Organisation. Wir sind konservativ, träge, und wir haben keine Werbung. Man erfährt von uns nur von Herz zu Herz, von Auge zu Auge. Deshalb ist die Anzahl der Teilnehmer gesunken. Und trotzdem sind wir stolz auf diejenigen, die kommen."
Sie kommen in ein Projekt, das Kinder beschäftigt und Orientierung gibt: eine religiöse, eine patriotische und eben auch eine militärische. Wie eine Kalaschnikow zerlegen und reinigen. Nicht einfach – die kleinen Hände kämpfen mit der Waffe: Hast du jemals daran gedacht, Soldat zu werden? "Nein. Ich möchte es nicht", sagt der achtjährige Nikolai. Aber warum baust du dann das Gewehr zusammen? "Nun, falls es notwendig wäre. Man entscheidet nicht selbst, wer geht und wer nicht geht." Der achtzehnjährige Nikolai erzählt indes: "Ich werde dieses Jahr meine Ausbildung abschließen und dann in die Kadettenschule gehen. Und danach entweder zur Armee oder auf eine Militäruniversität. In Zukunft möchte ich Soldat werden. Seit meiner Kindheit habe ich davon geträumt, Soldat zu werden."
Von der Zukunft träumen ist das eine – sie tatsächlich zu erleben etwas anderes. Die Kinder und Jugendlichen hoffen auf einen gnädigen Gott. Und glauben fest an eine Gesellschaft, die ihnen mit der Liebe zum Vaterland auch das letzte abverlangen könnte: "Dutzende unserer Absolventen kämpfen. Einige, weil sie Berufssoldaten sind und ihre Pflicht erfüllen. Einige wurden mobilisiert, ohne sich zu verweigern. Wieder andere gingen freiwillig. Leider haben wir Verluste erlitten. Einer unserer Ausbilder ist gefallen. Einer der besten Schüler, die wir je hatten, ist gefallen. Tatsächlich nimmt der Herr die Besten", sagt Dmitri.
Vorbereitungen für den 9. Mai
Und in Moskau, am Kreml, bereiten sich alle auf den 9. Mai vor. Der Rote Platz ist schon geschmückt für die Militärparade. Entspannte Atmosphäre in den Einkaufsstraßen. Wer das Geld hat, kann sich weiter alles leisten – und fast alles bekommen. Die Schaufenster hier sind voll mit Luxusartikeln aus aller Welt. "Wer will, wer sucht, wer gut arbeitet, wer sich anstrengt, bei dem klappt alles wunderbar im Beruf, im Leben, finanziell, und die Faulen und Müßiggänger werden leider noch ärmer. Wie man so schön sagt: Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer", erklärt Anna.
Und wer in Russland weniger hat, spürt das auch: die Inflation liegt mit offiziell fast elf Prozent auf hohem Niveau. Weitere, kräftige Preissteigerungen für Gas, Wasser und Strom sind angekündigt. Die meisten nehmen das hin: "Na ja, wenn man in Rente geht, möchte man immer mehr. Reisen und die Enkelkinder richtig erziehen. Man muss eben arbeiten", sagt Aleksander. Seinen Frieden suchen im Alltag – das scheint hier für viele das Lebensgefühl zu sein.
Autor: Norbert Hahn / ARD Moskau
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