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Russland – Der Bauernkrieg

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Russland - Der Bauernkrieg | Bild: WDR

Jagdszenen nördlich von Krasnodar: Bauer Juri Massenko zeigt uns, wie der Sicherheitsdienst eines großen Agro–Konzerns seine Mähdrescher blockiert, damit er die Wintergerste nicht ernten kann, die er im vorigen Herbst ausgesät hat. Bis zu vierzig Männer sind am Diebstahl seiner Ernte beteiligt, sagt Juri. Die Polizei ist zwar auf unserer Seite, kann aber gegen die Landräuber nichts unternehmen. Auch wir werden gefilmt. "Eine typische räuberische Landübernahme", meint Alexei, "der Agro-Konzern ohne legalen Anspruch gegen den schwächeren Bauern …"

Diebstahl der Ernte

Bauer Juri Massenko ist sauer. 60 Hektar Gerste wurden ihm geraubt, sagt er.
Bauer Juri Massenko ist sauer. 60 Hektar Gerste wurden ihm geraubt, sagt er.

Der Bauer Juri Massenko erzählt: "Da haben sie vorgestern bei einem anderen Bauern gestohlen." Über sechzig Hektar seiner Gerste haben die Mähdrescher des Konzerns bereits gestohlen, sagt Juri. Doch der Rechtsanwalt der Gegenseite will keine Auskunft geben. "Ich habe kein Bedürfnis, mit Ihnen zu reden."

Warum schreiten sie nicht ein, wollen wir wissen. Den Polizisten ist die Situation offensichtlich unangenehm. Kein Kommentar. "Bes kommentarie!" Ein weiterer Mähdrescher des Agro–Konzerns wird von Juris Männern zunächst blockiert. Doch sie sind in der Minderheit. Ohne unsere Kamera hätte es wohl eine Schlägerei gegeben, glaubt einer. Bald ist auch der blockierte Mähdrescher auf Juris Feldern und erntet.

Juri erklärt uns die Situation: Es ist ein übermächtiger Agrar-Konzern, der sich hier im Bezirk seit vielen Jahren riesige Ländereien aneignet. Kleine Betriebe wie seiner hätten keine Chance gegen die 900 Sicherheitsleute und vielen Rechtsanwälte des Konzerns. Juri pachtet sein Land seit langem von der Bezirksverwaltung, doch vergangenen Sommer präsentierte der Konzern plötzlich einen Pachtvertrag, den angeblich viele Land-Eigentümer mit ihm geschlossen hätten. Nur: Da waren die längst tot. "Ja, wie bei Gogols 'Toten Seelen', hier habe ich sie in meiner Mappe", sagt Juri Massenko. Er hat längst vor Gericht die Todesurkunden der angeblichen Unterzeichner eingereicht, trotzdem will er uns auf dem Dorffriedhof beweisen, wie dreist der Konzern seine Ansprüche fingierte. 2005 schon starb Georgi Luzenko, den die Konzernjuristen anführen.

Bauern und Polizisten vor einem Kornfeld
Der Sicherheitsdienst eines großen Agrar-Konzerns blockiert die Ernte von Bauer Juri Massenko | Bild: WDR

"Sie haben haben weder Gewissen noch Schamgefühl"

Die Kolchos-Bauern hatten in Wahrheit noch vor ihrem Tod ihre Landanteile verkauft oder verpachtet, so Juri, dreizehn von siebzehn Namen auf dem Konzern-Vertrag seien solche "toten Seelen". Auch Bauer Alexei kämpft um sein Land, gemeinsam mit etwa Einhundert weiterer Betroffener, gegen den großen Konzern. Eigentlich liegen ihre Felder in der Nähe. "Doch leider gibt es keine Zufahrt mehr dorthin. Denn die öffentlichen Straßen hat der Konzern von Makarewitsch mit Hilfe der Bezirksverwaltung privatisiert. Und jetzt lassen sie Bauern da nicht mehr durch. Da sind jetzt Schlagbäume und Wächter", erzählt Alexei.

Das ist der Kleinbauer Andrei. Seine Kühe stehen seit Jahren schon in Ställen, ihre Pferdezucht musste die Familie vollständig aufgeben. Der Grund: "Ich habe kein Weide-Land mehr." "Aber Sie hatten welches." "Ja, aber sie haben es mir weggenommen." "Wann?" "2010."

David gegen Goliath

Mit Mähdreschern wollen große Agrarkonzerne kleinen russischen Bauern die Ernte stehlen.
Mit Mähdreschern wollen große Agrarkonzerne kleinen russischen Bauern die Ernte stehlen.

Heu füttern statt weiden – auch dieser Bauer, so Alexei, ist Opfer des großen Landraubs im Kuban geworden, durch Konzerne, Justiz und Behörden gemeinsam. "Die Behörden tun alles, um kleinere und mittlere Unternehmen zu zerstören, sodass nur Agrar-Konzerne übrig bleiben und die keine Konkurrenz haben. Die Bauern schalten sie vollständig aus. Denn die können keine Schmiergelder an die Behörden zahlen. Aber die großen Unternehmen arrangieren sich und zahlen, so dass man sie in Ruhe lässt", so Alexei.

Seinen großen Kuhstall hat Andrei noch, das dazugehörige Land, etwa zwölf Hektar, hat ein ranghohes Mitglied der Justizverwaltung für sich beansprucht, so Andrei. Sein Rechtsanwalt war teuer, aber erfolglos, der Kleinbauer fühlt sich ohnmächtig und ausgeliefert. "Ich bin doch nur ein arbeitender Bauer. Ich habe nur die Kühe, und meine Kinder, die außer diesem Elend noch nichts gesehen haben."

Alexei und ein Dutzend weiterer Bauern haben sich mit einem Kolchos-Direktor verabredet, der ebenfalls um sein Land kämpft. Sie wollen eine gemeinsame Strategie diskutieren. Anteilseigner der privatisierten Kolchose versuchen, die Übernahme ihrer Ernte durch einen Agro–Konzern zu verhindern. Doch Spezialkräfte der Polizei lösen die Blockade der Bauern mit Gewalt auf. Statt des Kolchos–Direktors, der Alexeis Gruppe einlud, erscheinen plötzlich immer mehr Unbekannte mit Kameras. Einige behaupten, für regionale Fernsehteams zu arbeiten. Die Stimmung wird schnell feindselig, Alexeis Bauern werden dafür kritisiert, dass sie mit uns geredet haben.

Das Recht des Stärkeren

Die Polizei kann den Landraub nicht verhindern.
Die Polizei kann den Landraub nicht verhindern.

"Wollt Ihr Eure Probleme mit Hilfe des deutschen Fernsehens lösen?! Das ist doch unser Haus", fragt Michail Abramjan, der Leiter des Narodni Front. "Aber hier wird doch nichts für uns getan! Das Dorf wird zerstört, das Land ausverkauft, die Gesetze gelten nicht", erwidert Lubow. Doch die Provokateure fordern dann sogar, uns zu erschießen: "Rasstrelhat, rasstreljat!" – "Erschiessen, ja, Deutsches Fernsehen, wegen Euch haben sie uns für Olympia gesperrt."

Ein Plakat haben sie mitgebracht, auf dem Alexei als Schwein bezeichnet wird. Auf Deutsch. In einem Café erklärt Alexei uns, wieso seit Tagen jedes unserer Interviews im Voraus bekannt zu sein scheint. Er hat drei Telefone, wechselt ständig die SIM–Karten. "Die Geheimdienste hören die Gespräche ab, man kann nicht ´mal über Persönliches oder Familiäres reden."

Auf Juris Feldern sind inzwischen noch mehr Mähdrescher des Agro-Konzerns eingetroffen, und noch mehr von dessen Sicherheitskräften. Einige von ihnen blockieren Juris Mähdrescher, die Polizei sieht weiter zu. Erst als Juris Gegner sich einen neuen Zugang zu seinen Feldern planieren wollen schreiten die Beamten ein und stoppen diesen Versuch. Mehr können sie nicht tun, denn der zuständige Richter steht auf der Seite des Konzerns, ist Juri überzeugt, will erst in einigen Wochen über den Streit entscheiden. Trotz aller vorgelegten Sterbeurkunden hat er bisher die Verträge des Konzerns nicht wegen der "toten Seelen" für nichtig erklärt. Mit Absicht, glaubt Juri, denn so lange gilt hier das Recht des Stärkeren.

Autor: Udo Lielischkies/ARD Studio Moskau

Stand: 12.07.2019 11:33 Uhr

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