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Estland: Zusammenrücken für das Militär

PlayEin Gruppe von Soldaten laufen auf einer Straße.
Estland: Zusammenrücken für das Militär | Bild: NDR / Christian Blenker

Sie wollen Präsenz zeigen. Auf unserem Weg in den Süden Estlands begegnen uns immer wieder Truppen des Militärs. Wir fahren nach Võru. Von der kleinen Stadt sind es nur noch 40 Minuten Fahrt bis zur russischen Grenze. Die Gegend ist eine beliebte Urlaubsregion. Hier gibt es naturbelassene Wälder und Seen. Ein friedliches Idyll. Tief im Wald steht eine typische Rauchsauna. Doch die Ruhe täuscht. Denn während sie hier schwitzen, übt nebenan das Militär mit schwerem Gerät, erzählt uns Eda Veeroja, die von den Saunagästen lebt: "Der Übungsplatz ist zwar ein Stück entfernt, aber wenn sie mit den Kanonen schießen, hörst Du das und spürst die Erschütterungen."

Training für estnisches Militär und NATO-Soldaten

Von der Sauna bis zum militärischen Sperrgebiet ist es nicht weit. Tief im Wald betrieben die Sowjets einst eine Raketenabschussanlage. Dann kam Estlands Unabhängigkeit. Jetzt trainieren hier das estnische Militär und auch NATO-Soldaten. Die Regierung will den versteckten Übungsplatz auf 9.000 Hektar mehr als verdreifachen.
Wir treffen Kaido Parv. Der Este ist in der Gegend aufgewachsen und hat hier sein Traumhaus gebaut. Der riesige Truppenübungsplatz soll künftig direkt an sein Grundstück grenzen. "Das erdrückt mich im wahrsten Sinne des Wortes. Es macht mich richtig wütend. Ich verstehe, dass Soldaten irgendwo rumschießen müssen, aber ich denke, wir haben heute schon genug Übungsflächen!"

Mehr als 20 Hektar soll er an das Militär abtreten. Während wir sprechen, bemerkt er etwas. Ein paar Männer tauchen im Wald auf. Diese Soldaten haben offenbar die Orientierung verloren, haben sich verlaufen. Und stehen nun vor seiner Haustür.

Kaido Parv: "Wo wollt ihr denn hin? Kommt ihr vom Schießstand?”"

"Ja, vom Übungsplatz!", sagt einer der Soldaten.

Kaido Parv: "Dann geht da raus. Und dann die Straße entlang!"

Auf unerwartete Besucher in Uniform wird sich der Unternehmer wohl einstellen müssen. "Sie sind auch nur Menschen. Ein Soldat dient seiner Zeit. So ist das eben", sagt Parv.

"Russland sieht, dass die NATO zuverlässig ist und funktioniert"

Ein Mann im Interview.
Rainer Saks war viele Jahre Estlands Geheimdienstchef.  | Bild: NDR / Christian Blenker

Der Krieg in der Ukraine hinterlässt in Estland Spuren. Der russische Angriff sei eine direkte Gefahr für die Sicherheit hier. Unterwegs im Baltikum hören wir das immer wieder. Estlands Militäretat ist auf über eine Milliarde Euro gestiegen. Und zeitglich liefern sie Haubitzen, Munition und Ausrüstung an die Ukraine.

Rainer Saks war viele Jahre Estlands Geheimdienstchef. Jetzt berät er Unternehmen, wie sie sich vor Cyberangriffen schützen können. Einen Angriff Russlands auf das Baltikum hält er derzeit für nicht wahrscheinlich. Aber er sieht eine andere Gefahr: "Russland arbeitet daran, die Koalition des Westens zu zerstören. Um das zu erreichen, haben sie unterschiedliche Desinformations-Kampagnen gestartet. Das ist etwas, dem wir begegnen müssen."        

Trotzdem hält Saks es für wichtig, dass Estland weiter in sein Militär investiert. Seit 2004 gehören die drei baltischen Staaten zur NATO. Der Schutz des Verteidigungsbündnisses zahle sich jetzt aus: "Russland sieht, dass die NATO zuverlässig ist und funktioniert. Sie werden keine groß angelegte militärische Operation gegen ein NATO-Land starten. Aber natürlich kann sich die Situation in Zukunft ändern." Auch deshalb müsse Estlands Militär Präsenz zeigen, in den Wäldern von Võru.

In der Rauchsauna von Eda Veeroja ist die Temperatur nach sechs Stunden Holzfeuer genau richtig. Bei etwa 90 Grad wollen sie mit Linden-Zweigen Verspannungen lösen. "Ich hoffe, dass die Menschen doch noch zu Verstand kommen. Wenn wir den Frieden in uns haben, gibt es auch Frieden um uns herum", sagt Saunabesitzerin Eda Veeroja. Die Esten hätten Ausdauer. Nicht nur auf der Saunabank, erzählt sie uns noch. Man werde sich schon irgendwie arrangieren können, wenn bald noch mehr Soldaten in den Süden Estlands kommen.

Autor: Christian Blenker, ARD-Studio Stockholm

Stand: 19.02.2023 19:59 Uhr

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