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Russland: Nach dem Anschlag – Schwere Zeiten für Arbeitsmigranten

Russland: Anschlag – Schwere Zeiten für Arbeitsmigranten | Bild: NDR

Absperrungen, alle paar Meter ein Polizist, Patroullien mit Maschinenpistole. So sah es aus zum Freitagsgebet in den Straßen um Moskaus größte Moschee. Beten unter schwerster Bewachung. Vier Millionen Muslime leben in Moskau, mehr als in jeder anderen Stadt Europas. Viele stammen aus Ländern Zentralasiens, wie Tadschikistan oder Kirgistan. Sie arbeiten als Fahrradkurier, Taxifahrer oder Bauarbeiter.

Nach dem Terroranschlag auf die Konzerthalle bei Moskau haben viele Russland erstmal verlassen – sicherheitshalber. Auch wenn über Angst niemand reden will. Manche haben das Gefühl, ihren Glauben verteidigen zu müssen: "Das sind Feinde des Islams, die solche Anschläge machen. Sie schaden den echten Muslimen. Der Islam verbietet das Töten von Unschuldigen. Er verbietet aber auch, dass Mörder mit dem Tod bestraft oder erniedrigt werden. Man soll sie zum Guten erziehen."

Videos vom Anschlag zeigen, wie Terroristen kaltblütig Menschen erschießen. Bilder, die sich einbrennen. Bilder, vor deren Folgen jetzt viele Angst haben, denn die mutmaßlichen Täter sind Tadschiken. Schon kurz nach dem Terroranschlag hatte die Polizei vier Tatverdächtige verhaftet. Offenbar wurden sie schwer misshandelt. Einem fehlt ein Ohr, ein anderer scheint bewusstlos. Das russischen Fernsehen zeigt die Männer immer wieder.

Per Instagram meldet sich Manizha Sanghin zu Wort, eine tadschikischstämmige Sängerin, die schon für Russland beim ESC sang. Die Antwort auf eine furchtbare Gräueltat könne doch nicht öffentliche Folter sein, sagt sie. Terroristen müssten hart bestraft werden, aber nach dem Gesetz: "Was geschehen ist, weckt natürlich Hass. Deshalb ist wichtig zu wissen: Terrorismus hat keine Nationalität. Ich rufe auf: Entwickelt jetzt keine Hassgefühle gegenüber Tadschiken oder Menschen aus Zentralasien." Gegen Manizha sind nun Vorermittlungen beantragt – wegen Rechtfertigung von Terrorismus. Weil sie von öffentlicher Folter gesprochen hat.

Aggression gegen Migranten

In einem Restaurant liegen Männer auf dem Boden.
Razzia in einem bei Migranten beliebten Restaurant in Krasnodar. | Bild: NDR

Videos machen die Runde: Razzia in einem bei Migranten beliebten Restaurant in Krasnodar, Razzia auf einer Baustelle in Rostow, die Videos stammen von der Polizei. Die Migranten, die bereits eingebürgert seien, heißt es, müssten sich sofort in der Militärbehörde vorstellen. Auch Screenshots aus Taxi-Apps kursieren: Kunden sagen ab, wenn die Fahrer aus Tadschikistan kommen. "Wenn du Tadschike bist", schreibt einer, "fahre ich nicht mit dir". Das überrasche sie nicht, sagen sie in einer Moskauer NGO, die sich um Rechte von Migranten kümmert. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) gilt wie so viele als sogenannnter ausländischer Agent, aber kann noch arbeiten. Nach jedem Terroranschlag wachse die Aggression gegen Migranten, sagt die Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina. Doch diesmal sei es weniger schlimm als erwartet: "In den ersten Tagen gab es sehr viele Vorfälle – Leute wurden von der Straße geholt, vor Gericht gezerrt, des Landes verwiesen. Aber dann ebbte es ab. Vielleicht, weil Unternehmen die Arbeitskräfte brauchen. Und es gab offenbar eine Anweisung von oben, die Wut diesmal nicht auf die Migranten zu lenken. Man hat sich ja, wie soll ich es sagen, entschieden, den Anschlag als Sabotageakt der Ukraine darzustellen."

Dass die Ukraine schuld sei, wird hier auf allen Kanälen wiederholt. Zwar hat der sogenannte IS sich sofort zur Tat bekannt. Aber Putin, so die Botschaft, wisse es besser: "Russland kann gar nicht das Ziel für Anschläge islamischer Fundamentalisten sein. Unser Land ist ein einzigartiges Beispiel für Harmonie und Einheit der Konfessionen und Nationalitäten. Und auch nach außen hin agieren wir so, dass wir wohl kaum Angriffsziel für Islamisten sein können. Als hätte Russland nicht bereits schwere islamistische Anschläge hinter sich. Als hätte es sich nicht in Syrien den sogenannten Islamischen Staat zum Feind gemacht.

Wie ein Mahnmal steht da die ausgebrannte Halle. 145 Tote, fast ebensoviele Vermisste. Fachleute warnen, dass die Gefahr islamistischer Anschläge auch in Russland hoch bleibe. Westliche Ermittlungshilfe lehnt Moskau ab. Der Westen wolle nur ein Ergebnis, dass ihm passe. Nämlich, dass die Ukraine nichts damit zu tun habe.

Autorin: Ina Ruck, ARD-Studio Moskau             

Stand: 07.04.2024 19:28 Uhr

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