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USA: Ein Jahr vor der Wahl - Frust und Angst vor der Zukunft

PlayIn einem Metallmännchen steckt eine US-Flagge
USA: Ein Jahr vor der Wahl - Frust und Angst vor der Zukunft | Bild: NDR

Jahrzehntelang waren die USA der Motor der Globalisierung: Der freie Handel sollte nicht nur weltweit für Wohlstand und Frieden sorgen, sondern auch in den Vereinigten Staaten selbst. Eine Hoffnung, die bitter enttäuscht wurde. Stattdessen hat Amerika vor allem billige Waren importiert und gut bezahlte Arbeitsplätze exportiert. Millionen von Amerikanern verloren ihren Job und das Vertrauen in die Regierung.

Stahlindustrie ist abgewandert ins billiger produzierende Ausland

Nur die verlassenen Fabrikhallen stehen noch. Youngstown Ohio ist Sinnbild es amerikanischen Niedergangs. Die von Bruce Springsteen besungene Stahlindustrie ist abgewandert ins billiger produzierende Ausland. Die alten Arbeiterhäuser stehen leer. Jeder zweite Einwohner hat Youngstown verlassen. Kenny Greco ist geblieben. Seine beiden Großväter waren Stahlarbeiter. Er verdient sein Geld mit dem Recycling von Altmetall. Der aktuelle Zustand seiner Heimat macht ihm wenig Hoffnung. "Es ist eine Geisterstadt. Es ist ein Friedhof. Ich bin in diesem Viertel aufgewachsen. Ich kannte viele der Leute, die in den Häusern gewohnt haben. Jetzt sind sie weg. Da sind nur leere Grundstücke. Und niemand baut wieder auf. Hier kommt nichts mehr zurück."

Ein Präsident nach dem anderen hat Youngstown ein Comeback versprochen, doch es passiert viel zu wenig. Viele hier fühlen sich deshalb von ihrer Regierung im Stich gelassen und fordern eine Rückbesinnung auf sich selbst. Amerika soll seine eigenen Probleme lösen und nicht die der ganzen Welt. "Es fließt kein Geld in diese Region. Es wird nichts Neues gebaut. Sie bringen keine neuen Arbeitsplätze. Viele Amerikaner fragen sich deshalb: 'Warum schicken wir Geld in die Ukraine? Wir können uns ja kaum selbst was leisten.' Der Widerstand dagegen wächst – und zwar zu Recht", sagt Kenny Greco.

Washington wendet sich ab von der Welt

Alte Industriegebäude, die verfallen.
Wie es mit Amerika weitergeht, wird auch in Orten wie Youngstown entschieden. | Bild: NDR

Für Städte wie Youngstown war der Welthandel ein Wettlauf nach unten. Das räumt mittlerweile auch die Regierung ein. Joe Biden hat gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft alle Verhandlungen über neue Handelsabkommen auf Eis gelegt. Washington wendet sich ab von der Welt. "Ganze Lieferketten strategischer Güter wurden ins Ausland verlagert, zusammen mit den Unternehmen, die sie herstellen. Das Versprechen, dass der Freihandel Amerika helfen würde, Waren zu exportieren und nicht Arbeitsplätze, war ein Versprechen, das nicht gehalten wurde", erklärt Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater. Washington versucht, Jahrzehnte amerikanischer Handelspolitik zurückzudrehen: In seiner Rede zur Lage der Nation verspricht Joe Biden den Amerikanern im Februar nicht weniger als den Wiederaufbau der heimischen Industrieproduktion. Aus "America first" macht er "Made in America": "Heute Abend kündige ich an, dass künftig alle Produkte, die in Projekten des Bundes verwendet werden, in Amerika hergestellt werden müssen. Hergestellt in Amerika. Ich meine es ernst."

500 Milliarden Dollar will Biden in die Re-Industrialisierung Amerikas investieren, um sich unabhängig zu machen vom Rest der Welt. Damit haben sich die USA womöglich an die Spitze eines globalen Subventionswettlaufs gesetzt. Kritiker sehen darin die Gefahr eines neuen Kalten Krieges – mit China als Hauptgegner. "Trump hat gebellt, aber nicht allzu hart gebissen. Biden klingt netter, aber hat ganz schön zugebissen. Er hat einen Wirtschaftskrieg vom Zaun gebrochen, der massive Auswirkungen haben kann. Und dieser Wirtschaftskrieg droht auch in eine militärische Auseinandersetzung hineinzuschlittern", sagt USA-Experte Josef Braml.

Innenpolitische Probleme zwingen USA zu außenpolitischem Kurswechsel

Es geht um den Konflikt um Taiwan, in den Amerika als Schutzmacht hineingezogen werden könnte – ähnlich wie in den Krieg in der Ukraine. Verantwortung für die ganze Welt wollen in Washington aber nicht mehr alle übernehmen. Die Mehrheiten für Militärhilfen bröckeln. Die innenpolitischen Probleme Amerikas zwingen die Supermacht zu einem außenpolitischen Kurswechsel. "Das sind jetzt schon 15 Jahre, in denen wir gemerkt haben sollten, dass Amerika nicht mehr so stark ist, dass es begonnen hat, Lasten, die es selber nicht mehr ertragen kann, auf andere abzuwälzen versucht und auch Rivalen und das ist nicht nur China, sondern auch Europa einzudämmen versucht. Also das ist eine ganz neue Welt", sagt USA-Experte Josef Braml.

Harte Zeiten sind nicht von Dauer, harte Städte schon. Wie es mit Amerika weitergeht, wird auch in Orten wie Youngstown entschieden. Seit Jahrzehnten ist Ohio ein sogenannter Swing State mit wechselnden Mehrheiten – bei den vergangenen beiden Präsidentschaftswahlen ging der Staat an Donald Trump. Auch Kenny hat Trump gewählt, obwohl er eigentlich ein Anhänger der Demokraten ist. Um Wähler wie ihn wieder zu überzeugen, muss Biden an seinem neuen Kurs festhalten. "Amerika sollte sich um seine eigenen Probleme kümmern und nicht den Rest der Welt finanzieren oder beschützen. Wir sollten unser Geld hier ausgeben, anstatt es in der ganzen Welt zu verschleudern.", sagt Kenny Greco.

"Here in northeast Ohio, back in eighteen-o-three…" – die Hommage von Bruce Springsteen an seine Heimatstadt hat Kenny schon oft gesungen – in seinem Nebenjob als Rockmusiker. Die Stimmen von Menschen wie ihm könnten für Joe Biden entscheidend sein. Seit mehr als 100 Jahren haben es nur drei Kandidaten ins Weiße Haus geschafft, ohne in Ohio eine Mehrheit zu haben.

Autor: Torben Börgers, ARD-Studio Washington

Stand: 28.11.2023 20:00 Uhr

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