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Afghanistan: Angst vor den Taliban

PlayAfghanistan: Die Journalistin Marzai Akbary fürchtet sich nicht vor den Taliban
Afghanistan: Angst vor den Taliban | Bild: WDR

Marzai Akbary hat wie jeden Morgen für ihre Familie Tee zubereitet. Eine kleine Zeremonie. Ein wenig Kraft tanken. Jeder Tag ist eine Herausforderung für sie.

Afghanistan: Aus Angst vor Anschlägen nimmt die Journalistin Marzai Akbary jeden Tag eine andere Route ins Büro
Afghanistan: Aus Angst vor Anschlägen nimmt die Journalistin Marzai Akbary jeden Tag eine andere Route ins Büro | Bild: WDR

Die junge Frau ist die Chefredakteurin eines lokalen Radiosenders im Norden Afghanistans. In ihrer Heimatstadt Pul-e-Khumri gibt es Kämpfe. Die Taliban versuchen gerade, die Provinzhauptstadt im Norden einzunehmen. Und sie bedrohen junge Frauen. Ohne Burka kann sie ihr Haus nicht verlassen. Vor der Tür wartet bereits ihr Fahrer. Jeden Tag verabreden sie sich zu einer anderen Zeit – aus Sicherheitsgründen. "Wir haben nicht viele Möglichkeiten für unsere eigene Sicherheit zu sorgen, trotzdem versuchen wir alles, um uns zu schützen. So ändern wir zum Beispiel täglich unsere Route ins Büro", erzählt die Journalistin.

Prekäre Sicherheitslage für weibliche Journalistinnen

Für eine Frau sei es in ihrem Land lebensgefährlich als Journalistin zu arbeiten, sagt Marzai Akbary. Am Morgen wisse sie nie, ob sie am Abend von ihrer Arbeit wieder nach Hause komme. Sie hält diesem Druck stand. Aber wie lange schafft sie das? Diese Frage stellt sich auch Fahima Karimi. Die 22-Jährige ist Reporterin bei dem Lokalradio. Ihre Chefin erklärt, warum sie hier weitermachen: "Mein Ziel ist es einfach, den Weg für Frauen heute und zukünftiger Generation zu ebnen. Ich will ihnen helfen, damit Frauen in den Medien arbeiten und zur Elite vorstoßen können. Ich kämpfe für unsere Freiheit."

Afghanistan: Die Sorge vor Anschlägen ist in der Bevölkerung groß – die Taliban rücken vor
Afghanistan: Die Sorge vor Anschlägen ist in der Bevölkerung groß – die Taliban rücken vor | Bild: WDR

Vor einem Jahr wurde die Radiostation angegriffen. Noch immer sind die Spuren sichtbar. Niemand wurde verletzt, aber fast die komplette Ausrüstung zerstört. Die Taliban bekannten sich zu dem Anschlag. Ihre deutliche Warnung verfehlte nicht ihre Wirkung. Mehrere Journalistinnen verließen das Lokalradio. Sie fürchten um ihr Leben. Reporterin Fahima Karimi will für ihre Reportage heute Frauen treffen, die aus den umkämpften Stadtgebieten kommen und sich hier in Sicherheit gebracht haben. "Woher kommen Sie?", fragt die Reporterin eine geflüchtete Frau und diese antwortet: "Wir stecken in großen Schwierigkeiten." "Was ist passiert?" "Unser Haus wurde gerade von einer Rakete getroffen", erzählt die Frau weiter.

Die Reporterin wird von den Taliban bedroht. Unabhängige Stimmen auszuschalten, ist Teil ihrer Strategie. Mit dem Rückzug der NATO-Truppen wird für mutige Frauen wie sie die Gefahr immer größer. "Die Sicherheitslage verschlechtert sich von Tag zu Tag. Wenn es so weitergeht, wird es sehr schwierig, hier in Afghanistan zu bleiben: Ich plane eigentlich, das Land irgendwann zu verlassen. Ich finde es einfach besser, einen sicheren Ort im Ausland zu finden, denn ich will am Leben bleiben", sagt Fahima Karimi.

Die Zukunft des Lokalradios ist ungewiss

Die Straße nach Pul-e-Khumri im Norden führt an diesem Checkpoint vorbei. Die Einschusslöcher stammen von den Kämpfen, die hier stattfinden. Weil die NATO-Truppen Afghanistan verlassen, versuchen Taliban-Kämpfer Städte wie diese zu erobern. Die afghanischen Streitkräfte versuchen das zu verhindern. 'Wir kämpfen an der Seite unserer Sicherheitskräfte' steht auf dem Plakat im Stadtzentrum. Überall ist Polizei und Militär.

Afghanistan: Afghanische Sicherheitskräfte kontrollieren die Straßen
Afghanistan: Afghanische Sicherheitskräfte kontrollieren die Straßen | Bild: WDR

Trotz Bedrohung hält die Chefredakteurin den Sendebetrieb des kleinen Lokalradios aufrecht, aber wie lange noch? "Die Taliban sind grundsätzlich dagegen, dass wir als Frauen überhaupt einer Arbeit außer Haus nachgehen oder uns engagieren. Und sie sind der Meinung, dass Frauen in den Medien nichts zu suchen haben", erzählt Marzai Akbary.

Dann trifft Marzai Akbary eine schwere Entscheidung. Nach ihrer letzten Sendung schließt sie die Radiostation und bringt die Sendetechnik in Sicherheit. Ob sie jemals hierher zurückkehren kann, weiß sie nicht.

Autorin: Sibylle Licht / ARD Studio Neu Delhi

Stand: 04.07.2021 20:22 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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