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Indonesien: "Nagel-Krieg" auf Jakartas Straßen

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Indonesien: "Nagel-Krieg" auf Jakartas Straßen | Bild: BR
Jakarta
Jakarta | Bild: BR

Jeden Morgen, noch vor Sonnenaufgang, zieht es ihn auf die Straße: Siswanto ist kein Polizist, auch kein Straßenfeger. Er ist in eigener Mission unterwegs und will Jakarta von einer Plage befreien. Mit einer Konstruktion aus Magneten sucht er den Asphalt nach Nägeln ab.

Siswanto:
"Das habe ich selbst entworfen: Zwei kleine Reifen heben das ganze so an, dass die Magnete knapp einen Zentimeter über der Straße schweben. Mit dem knappen Abstand kann ich alle Nägel anziehen!"

Neuerdings erfordert nicht nur der Verkehr erhöhte Aufmerksamkeit: Unbekannte streuen massenhaft Nägel auf die Straßen. Sie haben es auf die neun Millionen Mopedfahrer in Jakarta abgesehen - besser gesagt auf ihre Reifen!

In der Rush Hour trifft es die meisten: Pendler kommen zu spät zur Arbeit, Kinder zu spät zur Schule.

Mopedfahrer Andi Susena:
"Zeit verlieren ist das eine, aber wenn ich schnell unterwegs bin und in einen Nagel rase, gerät das Motorrad ins Schleudern. Das kann zu bösen Unfällen führen. Und davor habe ich Angst!"

Doch es macht sich Widerstand breit: Immer mehr Opfer der Nagelmafia greifen zum Magneten. Auch Siswanto hatte schon viermal einen Platten und hat deshalb die "Gemeinschaft der Nagelfeger" gegründet. Bilanz der letzten sechs Monate: Eine halbe Tonne Nägel!

Siswanto, Gemeinschaft der Nagelfeger:
"Ich habe mich da vorne mal nachts auf die Lauer gelegt. Ich wollte sehen, wie sie es machen. Und dann kamen sie auf dem Motorrad, die Nägel in einem Plastikbehälter. Und dann habem sie die Nägel ausgestreut, immer und immer wieder!"

Des einen Leid - des anderen Freud. Denn wo Nägel sind, ist die nächste Reifenreparatur nicht weit. Geschäftstüchtige Mechaniker flicken die Schläuche gleich am Straßenrand. Der Extra-Service - natürlich auch extra-teuer! Die Nägel kurbeln das Geschäft mächtig an.

Ein böser Verdacht

Böse Zungen behaupten: Die Reifenflicker seien die Drahtzieher der Nagelmafia. Doch die Männer waschen Ihre Hände in Unschuld.

Ein Reifenflicker:
"Wir haben damit nichts zu tun. Das wäre doch auch blöd. Ich bin auch Motorradfahrer. Ich würde doch selbst in die Nägel fahren."

Ein anderer Reifenflicker:
"Eine Frechheit uns zu beschuldigen. Das sind bestimmt die Verkäufer der chinesischen Schläuche; die haben eine miese Qualität. Und die Verkäufer haben viel zu viele auf Lager und wollen so mehr Umsatz machen."

Siswantos Frühschicht als Nagelfeger ist vorbei. Gleich beginnt sein eigentlicher Job als Granitverkäufer. Doch vorher will er uns noch seine Nägel zeigen. Seine Ausbeute an diesem Morgen: Fast fünf Kilo!

Ein wenig stolz sei er schon auf seine Sammlung, erzählt er uns. Doch in seinem kleinen Haus wird es langsam eng. 100 Kilo hat er bereits verkauft.

Siswanto:
"Meine Frau hat am Anfang nicht ganz verstanden, was ich da so treibe. Warum ich früh morgens das Haus verlasse und zwei Stunden später mit einem Sack voller Nägel wiederkomme."

Angst um Siswanto

Seine Familie sieht er nicht mehr ganz so oft. Doch für Siswanto ist das Nagelfegen Ehrensache.
Das kleine Gehalt, das Leute wie er verdienen, soll nicht für teures Flicken draufgehen.

Siswantos Ehefrau Sunarsih:
"Natürlich bin ich stolz, dass mein Mann was Gutes für die Gemeinschaft tut. Aber ich habe Angst, dass die Leute, die dahinter stecken, wütend auf ihn sind. Dass sie ihn hinterrücks angreifen oder sonst was antun."

Dabei sind die Pendler in Jakarta schon gestraft genug. Stop and go, stundenlange Staus, ein täglicher Nervenkrieg. Den Verkehr überhaupt zum Fließen zu bringen - eine Mammutaufgabe.

Die Nagelmafia hat der Polizei da gerade noch gefehlt. Die einzige Möglichkeit: Die Übeltäter auf frischer Tat ertappen. Vor ein paar Wochen konnte ein Nagelwerfer erwischt werden: Aufgebrachte Pendler waren schneller als die Polizei und machten kurzen Prozess! Das Motorrad wurde angezündet, der Übeltäter verprügelt.

Keine Hilfe: Die Polizei

Im Zugzwang durch die privaten Nagelfeger hat die Polizei hat nun eine Sondereinsatztruppe gegründet. Hier setzt man auf hochgerüstete Golfmobile, doch die versprochene Vorführung muss ausfallen: Motorschaden bei allen Fahrzeugen.

Genauso so schwierig gestaltet sich die Ermittlungsarbeit.

Rikwanto, Polizei Jakarta:
"Das Problem besteht in der Beweisführung: Wir müssen ja die Verbindung herstellen zwischen dem Nagelwerfer, dem Opfer und dem Reifenflicker. Und zu beweisen, dass der Nagelwerfer von dem Reifenflicker beauftragt wurde, bei dem das Opfer landet, das ist so gut wie unmöglich."

Das einzige, was wirklich hilft: Nagelfegen. Selbst nach Feierabend ziehen Siswanto und seine Freunde noch ihre Runden.
Nagelfegen schweißt zusammen. Sie sind große Jungs, die Polizei spielen dürfen und sind damit zu kleinen Helden in Jakarta geworden.

Siswanto:
"Uns verbindet dieser gewisse Teamgeist. Das hat schon was von Abhängigkeit. Wenn wir mal nicht Nägel aufsammeln, fällt es schwer einzuschlafen. Wir machen uns dann Sorgen, dass vielleicht dieser eine Nagel den nächsten platten Reifen verursacht!"

Bevor wir uns verabschieden, geben die Nagelfeger von Jakarta ein Versprechen: Sie werden erst aufhören, wenn auch der letzte Nagel am Magneten hängt!

Autor: Norbert Lübbers / ARD Singapur

Stand: 22.04.2014 14:52 Uhr

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