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Irland: Der EU-Rettungsschirm wird zugeklappt

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Irland: Der EU-Rettungsschirm wird zugeklappt | Bild: BR

In der Bucht von Dublin baut Brian McKeon. Er meint, mit Irland geht es aufwärts.

Brian McKeon:

»Es sprießen wieder grüne Triebe. Das Land ist auf einem guten Weg.«

Matthew Baston
Matthew Baston | Bild: BR

Matthew Baston packt für ein Leben in Australien.

Matthew Baston:

»Hätte ich die Wahl, würde ich bleiben. Aber es gibt keine Arbeit.«

Eine Insel der gemischten Gefühle. Das Gras ist grüner anderswo, sagen die einen. Die anderen bauen auf Irland.

Unternehmer Brian McKeon errichtet in der irischen Hauptstadt Wohnungen. Sein Business boomt wieder. Das hat eine gewisse Ironie. Die Baubranche steht für Irlands Finanzkollaps. Banken verteilten massenweise Kredite an zockende Spekulanten. Als die Blase platzte, stand auch Brians Firma am Abgrund.

Brian McKeon, Bauunternehmer:

»Ich war von 90 Angestellten runter auf drei. Als es schlecht lief, musste ich gute Leute entlassen.«

Jetzt hämmern und mauern hier bald wieder 150 Leute. Wir haben die Kurve gekriegt, sagt Brian optimistisch.

Leerstehende Häuser
Leerstehende Häuser | Bild: BR

Er hat noch mehr Baustellen. Auf dem Weg sehen wir Investitionsruinen der Krise. Diese Geisterstädte will keiner mehr, weil sie zu lange leer stehen. Baut Brian eine neue Spekulationsblase auf?

Brian McKeon:

»Nein! Finanzierungen sind nicht mehr so leicht wie früher zu kriegen von den Banken. Die Leute sind vorsichtiger und realistischer.«

Brians Konzept scheint realistisch. 20 Häuser verkaufter er hier in nur zwei Wochen. Im Musterhaus begrüßt er zwei neue Interessenten: Verwaltungsangestellte Niamh Kelly und ihre Schwester Emma. 320.000 Euro kostet das Haus. Die beiden haben Arbeit und konnten sparen.

Niamh und Emma Kelly:

»Die Preise sind noch niedrig. Wir haben das Geld. Wir zahlen ein Vermögen für Miete. Wenn wir kaufen, sparen wir Geld und es ist eine Investition in die Zukunft.«

Die Aussichten sind für viele andere im 4,5 Millionen-Volk ungewiss. Die Arbeitslosigkeit liegt bei fast 13 Prozent. Die Rezession ist noch sichtbar.

Matthew Baston kann sich kein eigenes Haus leisten. Der 25-Jährige wohnt bei den Eltern, besser gesagt, wohnte, denn er wandert nach Australien aus. Der ausgebildete Sportlehrer findet keine Stelle.

Matthew Baston:

»In meinem Bereich gibt es keine Arbeit. Ich war doch nicht an der Uni für Hilfsjobs als Verkäufer in irgendeinem Laden.«

Der Pass ist bereit. Das Visum hat er und das Flugticket auch. Für Mutter Maria heißt es wieder Abschied. Schon die ältere Tochter ging nach Australien. Nun also auch ihr Sohn Matthew.

Maria Baston:

»Er ist mein zweites Kind, das nach Australien geht. Ich bin nicht glücklich damit. Aber ich kann ihn nicht aufhalten. Er muss sich ein Leben aufbauen. Aber ich bin alles andere als glücklich. Die Generation meiner Kinder verlässt uns. Wir werden zu einem Land alter Leute.«

Alle sechs Minuten verlässt jemand Irland laut Statistik. Vor dem Parlament protestiert die Jugend. Auf 100 Euro die Woche kürzte der Staat die Sozialhilfe für unter 26-Jährige. Diese jungen Leute wollen sich nicht vertreiben lassen.

Moira Murphy
Moira Murphy | Bild: BR

Moira Murphy, "We’re not leaving“-Kampagne:

»Wir werden als leichtes Ziel gesehen. Genau wie die alten Leute. Die Sozialkürzungen lassen jungen Menschen gerade mal 100 Euro pro Woche zum Leben. Das geht nicht, das führt zur Auswanderung.«

Der Staat vergrault Bürger mit Sozialkürzungen. Den Konzernen öffnet er die Tür. Facebook und Co werden mit 12,5 Prozent Unternehmensteuer gelockt. Das lässt Irlands Puls wieder steigen, sagt Analystin Fiona Hayes. Sparkurs und Steueranreize gefallen Investoren.

Fiona Hayes, Analystin "Cantor & Fitzerald“:

»Das hier ist der Preis für Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit. Er steigt. Die Finanzmärkte sind wieder bei guter Gesundheit.«

Den Euro-Rettungsschirm braucht Irland nicht mehr, sagt sie.

Fiona Hayes:

»Irland kann auf eigenen Beinen stehen. Die Wirtschaft wächst. Die Sozialausgaben sinken. Es ist ein langer harter Weg. Aber Irlands Regierung ist auf Kurs.«

Ausgabe in einer Suppenküche
Ausgabe in einer Suppenküche | Bild: BR

Doch vor der Suppenküche wird die Schlange länger. Es kommen viele Obdachlose. Doch Kapuzinermönch Kevin sieht mehr und mehr Leute, die Arbeit haben, aber sich kein Essen leisten können. 500 Mahlzeiten verteilen sie hier mittags.

Bruder Kevin Crowley, Kapuzinermönch:

»Die Zahl ist groß und sie wird wohl steigen. Ich begreife nicht, wenn Leute sagen, Irland geht es besser. Ich sehe das nicht.«

Das Ausverkauft-Schild ist ein Zeichen des Aufschwungs für Brian McKeon. Neben den 20 verkauften Häusern baut er schon die nächsten. Es geht Schritt für Schritt aus der Krise, sagt er und meint, seine Firma genau wie Irland: Bescheiden, aber wieder selbstbewusst.

Brian McKeon:

»Es gibt wieder viel Positives. Es ist richtig, dass wir aus dem Euro-Rettungsschirm aussteigen. Das ist gut für alle.«

Sinnead Walsh
Sinnead Walsh | Bild: BR

Für Matthew ist es nicht gut genug. Er will nicht warten. Mit einer Freundin geht er nochmal in den Lieblingspub. Auch die Freundin lässt die Heimat hinter sich. Die Lehrerin fühlt sich von Irland im Stich gelassen.

Sinnead Walsh:

»Die Regierung attackiert uns mit den Kürzungen. Deshalb gehen so viele. Doch den Schaden hat Irland. Ich habe eine gute Ausbildung. Ein anderes Land wird davon jetzt profitieren.«

Schon bald brechen die beiden nach Australien auf. Das Guinness wird er vermissen, sagt Matthew, und natürlich die Familie.

Matthew Baston:

»Weihnachten feiert die Familie noch einmal gemeinsam. Danach bin ich weg. Das Haus ist leer.«

“Wir hatten Träume“, singen die beiden das alte irische Lied. Ihre Träume erfüllen sich die jungen Iren anderswo.

Autor: Frank Jahn / ARD London

Stand: 15.04.2014 10:38 Uhr

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