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Brasilien: Torwart zum Mieten

PlayEiner muss ins Tor
Brasilien: Torwart zum Mieten | Bild: IMAGO / Fotoarena

Maça kann auch Stürmer. Aber in den reichen Quartieren von Rio de Janeiro brauchen sie keine Stürmer. Hobby-Kicker brauchen einen Torwart, weil sich niemand von ihnen in den Kasten stellen will. Maça hilft aus. 50 Reais, ca. 8,50 Euro bekommt er pro Spiel z. B. von den Ü45 Kickern der Zentralbank. Sechs Mal in der Woche lässt der 22-jährige sich von verschiedenen Fußball-Teams anheuern. Mit dem verdienten Geld kommt er in der nahegelegenen Favela über die Runden. Aber er hofft darauf, von einem Fußball-Scout entdeckt zu werden.

Torwart und Schiedsrichter werden gebucht

Von seiner Favela „Mineira“ steigt Maçã Souza jeden Tag unzählige Stufen herab. Mittwochfrüh geht es zum Betriebssport der Zentralbank von Rio. Der Altersunterschied ist groß. „Maçã ist unser Torwart-Star!“ Die meisten hier sind oder waren mal bei Brasiliens Notenbank beschäftigt. Maçã ist ihr Miettorwart. "Wir Torhüter werden von der Gruppe gebucht – ebenso der Schiedsrichter. Ich spiele für Geld." Eine sinnvolle Investition für die Altherren der Betriebssportgruppe. "Wir suchen uns stets gute Torhüter aus", sagt Luis Henrique, von der Betriebssportgruppe der Zentralbank Rio de Janeiro. "Dadurch bekommt unser Kick ein gutes Niveau. Durch junge Typen wie Maça ist das Spiel interessanter, spannender."

Fußballspieler auf Fußballplatz
Die alten Herren wollen lieber Tore schießen als das Tor zu hüten | Bild: SWR

Alle Spieler hier sind älter als 45. Der Älteste auf dem Platz hat gerade erst seinen 80. Geburtstag gefeiert. In den Kasten will niemand, deshalb mieten sie Maçã. Anstatt sich im Tor abschießen zu lassen, zaubern diese älteren Herrschaften viel lieber im Stile eines Neymar oder Pele. Maçã springt ein. Und hält. "Er ordnet und verbessert unser Spiel", meint der 80jährige Nelson Santos. "Wir können uns auf ihn im Tor verlassen."

Lieber Kicken als Drogen verkaufen

Die beiden Welten könnten unterschiedlicher nicht sein: In seiner Favela „Mineira“ läuft Maçã täglich vorbei an Gleichaltrigen mit Maschinengewehr im Arm. Filmen können wir die Drogengangster nicht. Vom Nachbarhügel schießen sie oft in diesen Teil des Viertels. Dort herrscht eine andere Gang. Damit aber könne Maçã leben. Er kenne es nicht anders, sagt er. Die Corona-Maßnahmen dagegen hatten ihn im vergangenen Jahr hart getroffen. "Das war schlimm damals. Es gab keinen Fußball mehr. Monatelang." Plötzlich war Maçã arbeitslos. "Das hat uns echt getroffen", erzählt Invanlida Souza Luz, die Mutter von Maça. "Wir waren auf Lebensmittel-Spenden angewiesen. Und auf die Nothilfe-Maßnahmen der Regierung."

Miettorwart Maçã Souza im Tor beim Fußballspiel
Miettorwart Maçã Souza  | Bild: SWR

Maçã spielte vor Jahren einmal kurzzeitig in einer Jugendauswahl. Doch ihm fehlte damals Geld für den regelmäßigen Transport zum Training. Bis heute hoffen Mutter und Macã selbst, dass er entdeckt wird. Profi werden mit einem Gehalt. "Nur beim Fußball bin ich ganz ich selbst. Ich kicke lieber, anstatt Drogen zu verkaufen. Beim Spielen vergesse ich meine Probleme."

Traum von der Profi-Karriere

In der Halle spielt er nicht für Geld. Sondern mit seinen Freunden aus Kindertagen. Es geht ihm hier um Spielpraxis auf höherem Niveau. "Maça ist der beste Torhüter der Welt", meint Paulo Sergio. "Wie eine riesige Wand. Wir sind immer zusammen."

Fußballer beim Feiern nach dem Spiel
Nach dem Spiel bekommt Maçã umgerechnet 8,50 Euro  | Bild: SWR

Bei den Altherren ist Spielschluss – Feierabend für Maçã nach dreieinhalb Stunden Kicken. An der Bar ist längst die dritte Halbzeit angebrochen: „Sacanagem“ –Brasilianisch für Spotten, Frotzeln, Motzen. Jeder gibt hier nochmal seinen Senf dazu. Maça sitzt abseits – wartet auf seinen Lohn. Umgerechnet 8 Euro 50 kriegt er heute. Cash auf die Hand. Ein mickriger Lohn im Vergleich zu den Beamten – seinen Mitspielern. Doch Macã hat andere Sorgen. "Eine Verletzung wäre schlimm. Ich müsste meinen Lieblingssport erstmal aufgeben." Seinen Traum von der Profi-Karriere trägt er weiter in sich – auch als Miet-Torhüter in Rio de Janeiro.

Autor: Matthias Ebert, ARD-Studio Rio

Stand: 05.09.2021 21:29 Uhr

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