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Brüssel: Neue Aufgaben für die Nato

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Brüssel: Neue Aufgaben für die Nato | Bild: AFP / Valeria Mongelli

Mit Überschall über der Ostsee – dänische und amerikanische Kampfjets üben hier gemeinsame Einsätze. In Estland werden Truppen verstärkt, Einsatzübungen auch in Polen. Und in der Slowakei geht Flugabwehr in Stellung – Patriot-Raketen aus Deutschland. "Putin hasst das – er hasst es, wenn wir zusammenarbeiten", sagt der polnische US-Botschafter, Mark Brezinski.

NATO verstärkt im Osten

Die NATO rückt zusammen – mit einem Tempo und einer Entschlossenheit, wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gab. Wo man lange viele Risiken gesehen hat und praktische Probleme, wird nun gehandelt. "Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich gezeigt, wie wichtig es ist für die europäischen Staaten eine Lebensversicherung zu haben. Und die NATO als Verteidigungsbündnis ist für ihre Mitglieder die Lebensversicherung schlechthin", erklärt Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik.           

Claudia Major ist Expertin für Sicherheitspolitik. Dass die NATO Russland einkreise, wie es oft behauptet wird, kann sie überhaupt nicht erkennen – im Gegenteil: "Russland ist näher an die NATO geographisch heran gerückt. Es steht in Belarus, es steht in der Ukraine. Das ist die erste Veränderung. Und die zweite Veränderung ist, dass es einen Eskalationswillen gezeigt hat. Es hat gezeigt: Es ist gewillt, einen Krieg zu führen um seine Interessen durchzusetzen."

Doch egal was Putin in der Ukraine macht – das NATO-Gebiet soll für ihn unangreifbar bleiben. Dass ist die Botschaft an den Herrn im Kreml – untermauert mit deutlichen Zahlen. In Estland und Lettland wurden die NATO Truppen seit Kriegsbeginn von 1100 auf 2000 verdoppelt. In Litauen verdreifacht (1.100 auf 3.000), in Polen verzehnfacht (1000 auf 10.500). Ganz neu stationiert wurden Einheiten in der Slowakei (2100), in Ungarn (800), Rumänien (3000) und Bulgarien (900). Und dannn wollen mit Schweden und Finnland zwei Länder ganz neu ein in die NATO. "Präsident Putin wollte weniger NATO und deshalb hat er die Ukraine angegriffen. Aber er bekommt mehr NATO, mit einer verstärkten Präsenz im Osten und auch mit mehr Mitgliedsstaaten", sagt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Brüssel: Die Aufgaben für das Bündnis – wohin steuert die Nato?
Brüssel: Die Aufgaben für das Bündnis – wohin steuert die Nato? | Bild: WDR

Und dennoch: Die NATO muss sich jetzt tatsächlich bedroht fühlen. Und das in einer Zeit mit immer weniger Regeln: Abrüstungsverträge mit Russland aus dem Kalten Krieg sind gekündigt – etwa der über das Verbot von Mittelstreckenraketen in Europa. Russland hat moderne Hyperschallwaffen entwickelt, die sich nicht abfangen lassen. Und die NATO-Russland-Akte über gute Zusammenarbeit, unterzeichnet vor 25 Jahren in Paris, wird höchstens noch müde belächelt. Wie kurz der Weg zu neuen Konflikten sein könnte: Diese Woche war es in Kaliningrad zu erahnen. Wegen der EU-Sanktionen blockiert das Nachbarland Litauen die Einfuhr von Waren in die russische Stadt an der Ostsee. Und der Kreml droht, sich notfalls dagegen zu wehren. Höchst brisant – gerade für Deutschland: Denn die NATO-Truppen in Litauen werden von der Bundeswehr geführt.

"Wir haben seit dem Ende des Kalten Krieges in einer kooperativen Sicherheits- oder Friedensordnung sogar mit Russland gelebt. Wir haben versucht, Sicherheit mit Russland in Europa zu organisieren. Und mit dem Krieg ist klar, dass eine gemeinsame Ordnung mit Russland nicht mehr funktionieren wird. Sondern wir von einer Friedens-/Sicherheitsordnung übergehen in eine Konfliktordnung – wo wir Sicherheit zunehmend gegen Russland organisieren müssen", erklärt Claudia Major.

Säbelrasseln als neuer Dauerzustand?

Der Dauerkonflikt als Zukunftsperspektive? Und das mit einem Russland, das immer wieder mit seinen Nuklearwaffen droht? Der Krieg der letzten Monate hat den Blick ganz neu geschärft – für die Bedeutung der Atombomben. Hat Putin hier einen Vorteil, weil er auch über kleinere Bomben verfügt? Oder vielleicht eher bereit ist, sie tatsächlich einzusetzen? "Wir sind natürlich besorgt. Russland modernisiert seine atomwaffenfähigen Raketen. Sie wurden auch nach Kaliningrad verlegt. Wir haben auch sogenannte Iskander-Raketen in Belarus beobachtet und das sind Raketen, die auch Atomsprengköpfe tragen können", sagt der NATO-Generalsekretär.  

Für Claudia Major ist das trotzdem alles nur Säbelrasseln – nukleare Abschreckung funktioniere weiter: "Sie funktioniert für Russland – leider – weil es in der Lage ist, unter seinem nuklearen Schirm einen konventionellen Krieg gegen die Ukraine zu führen und wir als westliche Staaten greifen nicht ein. Nukleare Abschreckung funktioniert aber auch in die andere Richtung: Dank des nuklearen Schirms der USA, UK und Frankreich sind die NATO-Staaten bislang nicht angegriffen worden. Das heißt, wir müssen anerkennen, dass die nukleare Abschreckung, der Schutz, den wir vor allem wegen der USA haben, in Europa funktioniert."

Die NATO funktioniert also: von wegen Hirntod! Über seine frühere Diagnose muss heute wohl selbst Frankreichs Präsident schmunzeln. Der Gipfel in Madrid könnte ein historischer werden, wenn die NATO mit Finnland und Schweden zwei neue Mitglieder aufnimmt, und den Blick nach vorne richtet: In eine Zeit neuer Spannungen – zwischen Ost und West. 

Autor: Markus Preiß / ARD Studio Brüssel

Stand: 30.06.2022 17:15 Uhr

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