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China: Dem eigenen Ehemann schutzlos ausgeliefert

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China: Dem eigenen Ehemann schutzlos ausgeliefert | Bild: ARD

Sun Xiaomei fängt wieder von vorne an. In einer Woche eröffnet sie ihr neues Nudelsuppenlokal. Alleine. Ohne ihren Ex-Mann. 20 Jahre hat sie geschuftet, den Laden zum Erfolg geführt, um nach der Scheidung mit leeren Händen dazustehen. Die Schläge ihres Mannes haben ihr jede Lebensenergie geraubt: "Nachdem ich unser altes Restaurant ihm quasi überlassen hatte, habe ich erstmal überhaupt nicht daran gedacht, nochmal ein neues Geschäft aufzumachen. Ich dachte, ich erhole mich und finde vielleicht einen Partner, der zu mir passt."

Aus dem eigenen Restaurant geprügelt

Sun Xiaomei
20 Jahre wurde Sun Xiaomei von ihrem Ehemann misshandelt. | Bild: NDR

20 Jahre Ehe mit einem Mann, der sie geschlagen und betrogen hat, liegen hinter ihr. Am Ende sieht Sun keinen anderen Ausweg als die Scheidung. Das Gericht spricht den Nudelladen ihr zu, dafür muss sie ihren Ex-Mann ausbezahlen. Aber er hat sich nur einen Tag dran gehalten. Dann hat er sie aus dem Restaurant geprügelt: "Das war der Tag, an dem er wirklich ausgerastet ist. Es war so eine große Thermoskanne im Raum - und die war voll mit heißem Wasser. Er hat sie genommen und auf mich geworfen, hier am Nacken war alles verbrüht."

Das "weiße Band" hilft betroffenen Frauen

Yu Changmo
Yu Changmo arbeitet für die internationale Nichtregierungsorganisation das "weiße Band".1 | Bild: NDR

Den Neuanfang wagt sie in einem Vorort - genug Abstand. Ihr altes Lokal hat sie seitdem nicht wieder betreten. Das "weiße Band", eine internationale Nichtregierungsorganisation, unterstützt Sun dabei. Seit dem vergangenen Jahr gibt es in der Zweimillionenstadt Huainan in der Provinz Anhui einen Ableger der Initiative, die auf das Thema "häusliche Gewalt" aufmerksam machen will. Jede dritte Frau in China ist davon betroffen. Und nur wenige Fälle erreichen Polizei und Justiz.

Yu Changmo leitet die Gruppe, seit längerem arbeitet er schon als Familienpsychologe, ein Vortrag in Peking hat ihn dazu bewegt das "weiße Band" auch in seiner Stadt ins Leben zu rufen. Der Bedarf ist groß. Viele Frauen erfahren so zum ersten Mal, dass sie nicht alleine sind und lernen wie die Nudelköchin Sun, dass es ihnen nicht peinlich sein muss. "Die meisten denken, häusliche Gewalt sei die Sache der Familie, sie glauben, sie würden geschlagen, weil sie etwas falsch gemacht haben. Sie fragen: Warum werde ich geschlagen, wo ich mich doch nicht anders verhalte als meine Nachbarin?", erzählt Yu Changmo.

Auf dem Land noch schwieriger für die Frauen

Xu Hongling
Xu Hongling ist trotz häuslicher Gewalt zu ihrem Mann zurückgekehrt. | Bild: NDR

In den Dörfern ist es für die Opfer noch schwieriger, darüber zu sprechen. Den Frauen wird geraten, es zu ertragen. Die meisten Familien missbilligen eine Trennung oder Scheidung. Xu Hongling hat viele Schläge erdulden müssen. Die ersten beiden Kinder in der Ehe: Mädchen. Deswegen war mein Mann damals so wütend, sprudelt es aus ihr heraus. Er hat mich grün und blau geschlagen, erzählt sie Herrn Yu vom "weißen Band". Schließlich lässt sie sich scheiden, um dann doch zurückzukommen.

"Die Leute meinten, ich solle an die Kinder denken. Außerdem habe sich mein Mann doch geändert. Und meine beiden Mädchen würden unter einer Schwiegermutter sicherlich leiden.
Er selbst ist auch gekommen und hat mich auf Knien angefleht", erzählt sie.

Also ziehen sie wieder zusammen. Und es wird tatsächlich besser, vor allem nachdem das dritte Kind ein Junge ist. Jetzt hat das Schlagen aufgehört, nur noch ganz selten rutscht mir die Hand aus, sagt ihr Mann. Vielleicht auch, weil sie sich bei einem Arbeitsunfall ihr Knie schwer verletzt hat und seitdem gehbehindert ist. Er muss jetzt in der Fabrik arbeiten und auf dem Feld. Aber warum hat er seine Frau überhaupt jemals geschlagen?

"Sie hat nicht auf mich gehört"

 Liu Weikou
Liu Weikou schlug seine Frau. | Bild: NDR

"Warum? Sie hat nie auf mich gehört, egal, was ich gesagt habe. Und je mehr ich dann darauf bestanden habe, desto wütender wurde sie. Naja, und dann haben wir uns geschlagen. Aber das ist ja überall so, bei allen Paaren", sagt Liu Weikou.  

Die Gesellschaft ist in China patriarchal. 65 Jahre Sozialismus und das Propagieren der Gleichheit der Geschlechter haben da nur wenig ausgerichtet. Deswegen setzt das "weiße Band" auch bei den Männern an. In einer Schule in Huainan Unterricht für die Väter – sie sollen sich auch an der Hausarbeit und der Erziehung der Kinder beteiligen, sich zumindest dafür interessieren. Und die Probleme in ihrer Beziehung nicht mit Gewalt lösen.

"Viele glauben, dass ein Paar, das sich schlägt, sich spätestens im Bett wieder verträgt. Außerdem halten viele – auch die Polizei – Gewalt in der Ehe nicht für eine Straftat. Dieses Missverständnis ist sehr verbreitet. Ich hoffe, dass sich diese Einstellung mit dem neuen Gesetz gegen häusliche Gewalt komplett ändert", sagt Psychologe Yu Changmo.

Das gesellschaftliche Klima muss sich ändern

Ein Ehepaar sitzt an einem Tisch.
Gewalt in der Ehe ist ein Tabuthema in China. | Bild: NDR

Für die Nudelköchin Sun wird ein neues Gesetz alleine nicht reichen. Das gesellschaftliche Klima muss sich ändern. Die Frauen brauchen den Mut sich zu wehren, ihre Peiniger anzuzeigen. Sie hat das nicht geschafft: "Einen Tag in unserem Nudelrestaurant hat er mich verprügelt, hart ins Gesicht geschlagen, und meine ganze Kleidung zerrissen, Ich stand nur noch im BH da. Und dann hat er mir das Telefon gegeben und gesagt, ruf doch 110 an und beschwer Dich. Aber das konnte ich nicht. Ich hatte nie den Mut, zur Polizei zu gehen, ich habe mich geschämt. Im Gegenteil, ich habe immer versucht, ordentlich auszusehen, niemand sollte merken, wie schlecht es mir geht. Wenn andere dabei waren, habe ich gelächelt, so getan, als ob alles gut ist."  

Sie hat sich nicht getraut, die Polizei zu rufen, aber an Selbstmord hat Sun gedacht. Das Rattengift hatte sie schon in der Hand, ihr Mann hat es ihr entrissen. Jetzt ist sie frei, aber traurig. "Ich wollte nicht einmal, dass die Leute wissen, dass ich geschieden bin. Ich fühle mich so gedemütigt. Ich bin 40 – und habe mein ganzes Leben geschuftet, härter als die meisten, alle haben das gesehen. Und nichts ist davon übrig. Das ist das Ergebnis."

Das neue Nudelrestaurant wird hoffentlich ein Erfolg. Vielleicht findet Frau Sun dann auch wieder mehr Lebensmut.

Autorin: Ariane Reimers, ARD-Studio Peking

Stand: 09.07.2019 07:44 Uhr

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