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Frankreich: Integration gescheitert?

PlayFrankreich: Mit einem neuen Programm reagiert die Macron-Regierung auf die Situation in den Vorstädten.
Frankreich: Integration gescheitert?  | Bild: WDR

Hélène Ranawana ist hier aufgewachsen. Ihre Eltern kamen in den 90er Jahren als Flüchtlinge aus Sri Lanka und Eritrea. Es ist ihr Quartier: Die Cité Python-Duvernois, an der Peripherie von Paris. "Hier habe ich 26 Jahre gelebt und hier habe ich meinen ersten Film gedreht. Das war eine schöne Möglichkeit für mich, mein Viertel zu würdigen und au revoir zu sagen", erzählt die Filmemacherin. Denn das Quartier soll saniert werden. Die alten Wohnblocks werden abgerissen. Doch was wird aus den Menschen? Davon handelt ihr Film.

Baloo ist in Python zu Hause. Er ist 14, doch er und seine Geschwister sind sich meist selbst überlassen. Die Geschichte erzählt von ihrem Leben ohne Halt, ihren Träumen, ihren Enttäuschungen. Hélène kennt viele solcher Geschichten aus ihrem Viertel und sie weiß um die Stimmung und manchmal auch die Wut der Jugendlichen aus den Vorstädten: "Es stimmt: Man kann sich natürlich sagen, dass man weniger Chancen hat, wenn man hier aufwächst, etwas aus sich zu machen. Ich verstehe ihre Wut, ich toleriere nicht, was sie gemacht haben, was sie alles rausgelassen haben."

Soziale Angebote sollen den Kindern und Jugendlichen helfen

Frankreich: Immer wieder protestieren junge Leute aus den Vorstädten mit Zorn und Gewalt gegen ihr Ausgeschlossensein.
Frankreich: Immer wieder protestieren junge Leute aus den Vorstädten mit Zorn und Gewalt gegen ihr Ausgeschlossensein. | Bild: WDR

In diesem Sommer brannten die Vorstädte. Grenzenlose Zerstörungswut brach sich Bahn. Der Zorn richtete sich gegen die Ungleichheit, die Spaltung zwischen Banlieue und Metropole, sie richtete sich gegen Paris, gegen die Polizei, gegen die Politik und den Staat. Die Regierung reagierte mit Härte – und neuen Strafen für jugendliche Gewalttäter. Hélène besucht das Filmfestival "Cinébanlieue". Es ist einzigartig in Frankreich. Hier dreht sich alles um das Thema Banlieue. Und das Interesse ist groß. Eine Bühne für junge Filmemacher aus der Vorstadt. Auch Hélènes Film wird gezeigt: "Es ist eine Ehre für mich, dabei zu sein."

Aurélie Cardin ist die Festivalchefin. Sie ist eine engagierte Anwältin der Banlieues und kritisiert die Politik der Regierung. Sie hat sich mit einem starken Appell an die Premierministerin gewandt und fordert, die Jugendlichen aus den Vorstädten mehr zu fördern und vor allem mehr einzubeziehen: "Die Ungleichheit betrifft alle Bereiche: Schule, Familie, Wohnen, Gesundheit. Und die Finanzierung ist effektiv nicht auf der Höhe der Probleme. Wir sollten keine Angst vor den Jugendlichen haben, sondern sie mitnehmen."

Im Vorstadt-Verein "Union sportive" können sie 5 mal die Woche trainieren, gleich nach der Schule. Hier lernen sie Regeln, Wettbewerb und Selbstbewusstsein. "Très bien!" Kantara Coulibaly ist der Chef hier. Er ist 24 und studiert Wirtschaft. Er stammt, genau wie die Kinder, aus der Banlieue: "Wir sind nicht nur ein Sportclub, sondern auch ein Projekt für Bildung. Und wir wünschen uns natürlich, dass unsere Kinder eher Ärzte als Basketballer werden."

Frankreich: Héléne Ranawana ist in einer Vorstadt aufgewachsen, heute macht sie darüber Filme für das bekannte "Cinébanlieue".
Frankreich: Héléne Ranawana ist in einer Vorstadt aufgewachsen, heute macht sie darüber Filme für das bekannte "Cinébanlieue". | Bild: WDR

Die Banlieue Grigny ist berüchtigt, auch hier gab es 2005 schwere Unruhen. Doch Kantara arbeitet mit viel Energie und Leidenschaft gegen das schlechte Image seiner Banlieue und für die Kinder von Grigny. "Was kennst du für Planeten?" – "Venus, Merus, Merkus – so was?" Die Atmosphäre ist familiär. Hier büffeln sie bis abends um acht und machen ihre Hausaufgaben. Die Älteren aus dem Viertel helfen bei Mathe und Naturwissenschaften, ohne Bezahlung. Für die Kinder sind sie echte Vorbilder. Marilyn weiß mit ihren elf Jahren bereits, dass sie Anwältin werden möchte. Und ihre Freundin Fanta meint: "Nur weil wir aus Grigny kommen, heißt das nicht, das wir nichts werden können."

Er hat’s geschafft: Julien Paolini und sein Hauptdarsteller, streifen über den Markt von Château Rouge in Paris. Es ist ein Migrantenviertel mit Zuwanderern vor allem aus Nord- und Zentralafrika. Die beiden sind selbst Einwandererkinder und haben hier wochenlang zusammen gedreht, zwischen Fisch und Gemüse. Julien ist Regisseur, "action!" durchaus erfolgreich, sein Film eine Art Banlieue-Krimi: "Für mich gibt es hier eine derartige Energie, eine positive Stimmung, so dass man hier sehr gut zeigen kann, dass es andere Wege und Möglichkeiten gibt, voranzukommen im Leben. Aber klar: Leben in der Banlieue heißt leben am Rand", erzählt er.

Aber man kann diesen gesellschaftlichen Rand überwinden – davon ist Julien überzeugt. Sein nächstes Projekt: ein Spielfilm mit Millionenbudget – und er spielt wieder in der Banlieue.

Autorin: Sabine Rau / ARD Studio Paris

Stand: 19.11.2023 20:11 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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