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Großbritannien: Der ESC für die Ukraine

PlayGroßbritannien: Die englische Stadt Liverpool wird in diesem Jahr den ESC austragen – für die Ukraine.
Großbritannien: Der ESC für die Ukraine | Bild: WDR

Jedes Detail soll stimmen. Seit Wochen werkeln Liverpooler Künstler:innen in dieser ehemaligen Fabrikhalle. Im Mittelpunkt: Ein U-Boot in blau und gelb. Zum Eurovision wollen sie damit durch ihre Stadt ziehen – als Hommage an die Liverpooler Beatles und den Song Yellow Submarine. Und für die Ukraine, die wegen des Krieges nicht selbst Gastgeber sein kann. "Ich habe als erstes ein gelbes U-Boot gezeichnet, weil es ikonisch für Liverpool ist. Und dann wollte ich eigentlich nur das blaue Meer dazu malen. Als ich es sah, dachte ich: Wow, das sind die Farben der Ukraine und deshalb sieht das ganze U-Boot jetzt so aus", erzählt Laurie Crombie vom Künstlerkollektiv "The Kazimier".

Ein Stück Heimat in Liverpool

Besuch ist da: Die Schwestern Uliana und Hanna Kuchanska wollen bei der Parade dabei sein. Sie kommen aus Kyiv, kurz nach dem russischen Großangriff auf ihre Heimat flohen sie nach Liverpool. "Wenn ich diese Farben sehe, macht mich das stolz, aber auch ein wenig traurig, denn ich vermisse zu Hause", sagt Uliana Kuchanska und ihr Schwester Hanna erzählt: "Als die Ukraine letztes Jahr gewonnen hat, habe ich gehofft, dass der Eurovision in Kyiv stattfinden kann. Das geht nicht, das verstehe ich. Es tut aber gut, in der Stadt zu sein, die ihn für uns ausrichtet und dass Liverpool viel ukrainische Kultur zeigt."

Großbritannien: Ein Denkmal, geschützt mit Sandsäcken – in der Ukraine bittere Wirklichkeit, Kunst in Liverpool.
Großbritannien: Ein Denkmal, geschützt mit Sandsäcken – in der Ukraine bittere Wirklichkeit, Kunst in Liverpool.  | Bild: WDR

Die beiden haben sich als Volunteers, als Freiwillige gemeldet – gerade haben sie ihre Uniformen abgeholt. Während des Eurovision werden sie in der Stadt im Einsatz sein, Fragen beantworten, Besucher:innen den Weg weisen und das nicht nur, weil sie große Eurovision-Fans sind. "Ich kann die Ukraine hier in Großbritannien vertreten, meine Kultur und mein Land zeigen – und gleichzeitig kann ich Großbritannien und Liverpool danke sagen", erklärt Uliana Kuchanska.

Und auch Liverpool, die Beatles-Stadt und Musikmetropole, will sich zeigen, beweisen, dass der industrielle Niedergang in den Siebzigern längst überwunden ist. Dass man sich neu erfunden hat – mit moderner Architektur und Kunst. 

Im Herzen dieses Eurovision die Ukraine, auch mit mehr als 20 Kulturprojekten. Sandsäcke schützen ein Denkmal: In der Ukraine notwendig, hier Kunst. Und in der Kathedrale von Liverpool zeichnet eine Videoinstallation die Fluchtroute vieler Ukrainer:innen nach: eine Zugfahrt aus der Ostukraine gen polnische Grenze. Für Hanna Kuchanska ein wichtiger Kontrast: "Beim Eurovision geht es um Spaß und Musik. Aber wir müssen uns klar darüber sein, dass er hier stattfindet, weil in der Ukraine Krieg und Sterben weitergehen."

Nicht alle profitieren vom ESC

Weit weg ist der Eurovision auch im Stadtteil Anfield – etwa fünf Kilometer entfernt vom Liverpooler Zentrum. Die derzeitige Krise im Land verschärft die Probleme hier weiter: Armut, Perspektivlosigkeit, Jugendbanden, organisierte Kriminalität. Er war Teil dieser Welt: Ex-Bandenmitglied Sicarius McGrath warb in diesen Straßen Kinder und Jugendliche für seine kriminellen Geschäfte an. Ein Interview will er hier nur im Taxi geben: "Als ich hier gelebt habe, wollten viele ganz junge Kinder einfach irgendwie an ein bisschen Geld kommen – egal ob Drogen, Waffen, Gewalt, Diebstahl, die Kids waren für alles offen. Das macht mir jetzt Sorgen, sie sind so einfach zu manipulieren, man kann sie schnell in die Banden hineinziehen."

Großbritannien: Die ukrainischen Schwestern Uliana und Hanna sind Freiwillige, die beim ESC helfen – für ihr Heimat.
Großbritannien: Die ukrainischen Schwestern Uliana und Hanna sind Freiwillige, die beim ESC helfen – für ihr Heimat. | Bild: WDR

Nach Jahren im Gefängnis ließ Sicarius McGrath all das hinter sich – und will nun Jugendlichen beim Ausstieg aus Banden helfen. Aber noch fehlt ihm die Finanzierung. Ein paar Straßen weiter: Der Boxclub Anfield North: "Echte Männer haben keine Messer", das ist ihr Motto: Hier trainieren alle nebeneinander, auch Mädchen und die ganz Kleinen. Gewaltprävention – das ist Klubgründer und Sozialarbeiter Alan Walsh das wichtigste: "Wir trainieren hier Kinder schon ab fünf Jahren – damit sie zu uns kommen, bevor Banden sie rekrutieren. Wir sind ein Boxklub, aber auch ein Ort, an dem Kinder Unterstützung bekommen, wenn sie auf die falsche Bahn geraten."

"Hier in der Gegend ist es normal mit einfach nichts aufzuwachsen – wir hatte alle nichts. Zum Glück gibt es Leute wie Alan, der hier durch die Straßen läuft und jungen Menschen hilft, sie hier in seinen Boxclub holt. Und zum Glück war ich einer davon", erzählt Ben Blackham. Auf Jungs wie Ben ist Alan Walsh stolz – doch die Politik und die Verantwortlichen in der Stadt hätten deren Probleme nicht im Blick: "Es ist großartig, dass die Stadt den Eurovision hat – aber es nur ein Klebeband über einem schwarzen Loch, das die Politik hier ignoriert. Diese Kinder haben nichts vom Eurovision, sie bekommen keine Chance, keine Möglichkeiten."

Zurück im Zentrum: In den kommenden Tagen rechnet Liverpool mit etwa 100.000 zusätzlichen Besucher:innen. Für die Kyiver Schwestern Hanna und Uliana Kuchanska sind es bittersüße Tage, aber bei ihnen überwiegt die Freude. Darüber, dass Liverpool in diesen Tagen irgendwie auch in der Ukraine liegt.

Autorin: Mareike Aden / ARD Studio London

Stand: 07.05.2023 19:46 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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