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Haiti: Menschengemachte Not

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Haiti: Menschengemachte Not | Bild: SWR

Am 25. Oktober  wählt Haiti – und zwar gleich dreifach: Es ist Kommunalwahl, Parlamentswahl und der erste Durchgang der Präsidentschaftswahl. Eine Gruppe von Haitianern wird zum ersten Mal an die Urne gehen, so sie die nötigen Papiere hat: viele von ihnen wurden nämlich im Nachbarland Dominikanische Republik geboren und im Sommer in die Heimat ihrer Eltern abgeschoben. In improvisierten Lagern an der Grenze leben 10 bis 12.000 Haitianer unter erbärmlichen Bedingungen. Sie sind Opfer der unmenschlichen Innenpolitik ihrer ehemaligen Heimat und leiden nun darunter, dass die korrupte haitianische Regierung sie weder integriert noch Hilfe schickt. Menschengemachtes Elend im Niemandsland zwischen zwei verfeindeten Staaten. Ein Bericht von Peter Sonnenberg, ARD Mexiko.

Abgeschoben in die Zeltstadt an der Grenze

Eine Zeltstadt, wie es in Haiti nach dem Erdbeben vor fünf Jahren viele gab. Doch unter diesen Planen leben keine Erdbebenopfer. Wir sind an der Grenze zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik. Hier gab es keine Naturkatastrophe. Das Elend dieser Menschen haben die Politiker der beiden Länder zu verantworten. Alle hier sind Abgeschobene und Flüchtlinge aus der Dominikanischen Republik. Haitianer, die oft schon vor Jahrzehnten in das Nachbarland ausgewandert waren. Oder deren Kinder, die dort auf die Welt gekommen sind und Haiti zum ersten Mal sehen.

Zwei Männer zeigen ihre Arbeitsbescheinigung
Yusef Olien und Leonel Lato haben lange in der Dominikanischen Republik gearbeitet und wurden jetzt abgeschoben.  | Bild: SWR

Im Juni hat die dominikanische Regierung begonnen, diese Menschen abzuschieben. "Sie sagen, Du siehst aus wie ein Haitianer, warum hast Du dominikanische Papiere und zerreißen sie", klagt Joseph Fritzner, abgeschobener Haitianer. Und was passiert dann? "Dann kannst du dich nicht mehr ausweisen und sie deportieren dich nach Haiti." "Das hier ist meine Arbeitsbescheinigung", sagt Yusef Olien, ebenfalls abgeschobener Haitianer. "Ich habe 50 Jahre lang auf dominikanischen Zuckerrohrfeldern gearbeitet. Aber Dominikaner wurde ich nicht. Als ich meine Rente beantragen wollte, haben sie mich weggejagt." Und Leonel Lato, vertriebener Haitianer, erzählt: "Mir haben sie den Pass abgenommen und dann gedroht, sie würden mich umbringen, wenn ich das Land nicht freiwillig verlasse."

Es fehlt an allem was man zum Leben braucht

Kleinkind im Flüchtlingslager
In den Flüchtlingslagern herrscht große Not.  | Bild: SWR

Mindestens 25.000 Menschen sind seit Juni mit leeren Händen und heimatlos nach Haiti gekommen. 5.000 Deportierte, 20.000 Geflohene. Sie selbst gründeten sechs solcher Lager in denen die blanke Not herrscht. Alle leiden Hunger, viele von ihnen wurden krank. "Es fehlt Essen. Es fehlt hier an allem Nötigen zum Überleben", klagt ein Junge. "Die Versorgungslage in den Camps ist schwierig" berichtet Jean Aicard von der Jesuiten-Migrantenhilfe Haiti. "Es gibt nichts zu essen, weil die Behörden die Situation der Menschen hier schlicht ignorieren. Es kommt keine Hilfe. Einige der Männer gehen jeden Tag zurück über die grüne Grenze in die Dominikanische Republik, um auf den Feldern dort Früchte für ihre Familie zu sammeln." Jean Aicard ist Jesuit. Er ist der einzige Helfer im Camp in Anse à Pitre, in dem seit Juni ständig um die 400 Familien leben. Er versucht, für die am schwersten Erkrankten medizinische Hilfe zu organisieren. Doch sowie er im Camp auftaucht, bestürmen ihn die Vertriebenen – wann kommt endlich Hilfe? "Diese Frage kann ich ihnen auch nicht beantworten. Aber ich bin selbst Haitianer und weiß, dass meine Regierung viel Geld aus den Erdbebenspenden für Wahlkampf und Luxusreisen benutzt hat."

Hütte in Flüchtlingslager
Seit dem Sommer mußten 25.000 Haitianer die Dominikanische Republik verlassen.  | Bild: SWR

Für die Menschen hier hätten sich die Wahlkämpfer sicher nicht die Mühe machen müssen, Wahlplakate an die Hütten zu kleben. Das Vertrauen in Politiker haben die Vertriebenen verloren. Eine schnelle Lösung für ihre Probleme haben die Kandidaten sowieso nicht. Auch nicht Harry Bruno der sich zu einem der Bezirkspräsidenten seines Departments wählen lassen möchte. "Ich habe mir zum Ziel gesetzt, Arbeitsplätze zu schaffen. Damit die Menschen Grund haben in Haiti zu bleiben. Dann wäre es kein großer Verlust für uns, wenn die Dominikanische Republik ihre Grenze schützt und sich gegen uns abschottet."

Konflikte zwischen Haitianern und Dominikanern

Die Dominikanische Republik ist selbst ein armes Land, auch wenn es gegen Haiti paradiesisch erscheint und jedes Jahr hunderttausende deutsche Urlauber anzieht. Zwischen 1950 und 1980 gab es drei Anwerbekampagnen für haitianische Gastarbeiter. Doch immer gab es starke Konflikte zwischen den Nationalitäten. Mit ihrer aktuellen Abschiebepolitik erntet die Regierung in großen Teilen der dominikanischen Bevölkerung Beifall.

Epifania Lichardo arbeitet für Reconoci.do, eine Organisation, die den Betroffenen hilft, in ihren Papieren die Grundlage für ein Bleiberecht zu finden. Epifanias Eltern sind auch Haitianer. Aber sie kam hier auf die Welt - als Dominikanerin. Dieses Geburtsrecht wurde 2013 nachträglich abgeschafft, die Staatsbürgerschaft also all denen entzogen, die nach 1929 von ausländischen Eltern geboren wurden. "Hier haben wir so einen Fall. Der Junge ist hier geboren und ist laut Geburtsurkunde Dominikaner, aber in seinem Ausweis steht: Nationalität Haitianer. Wie kann er jetzt Haitianer sein, wenn er bei seiner Geburt noch Dominikaner war?" So versucht die dominikanische Regierung jeden loszuwerden, der haitianisch aussieht und dessen Papiere irgendeine Lücke aufweisen. Und das sind viele, weil die meisten Gastarbeiter ihre Kinder nie haben registrieren lassen oder daran gehindert wurden.

Mann mit Kindern
Bei gemischten Paaren droht die Familie auseinandergerissen zu werden.  | Bild: SWR

Bienvenido Contraira ist Dominikaner, gemeinsam mit seiner Frau Silvia, einer Haitianerin hat er sieben Töchter. Er ist der einzige Dominikaner hier im Dorf, denn normalerweise mischen sich beide Völker nicht gern. Die meisten seiner Landsleute machen keinen Hehl daraus, dass sie Haitianer hassen. "Wir sind Rassisten, es ist so und ich kann es nicht anders sagen, wir Dominikaner sind Rassisten die die Haitianer nicht anerkennen." Ihm und vor allem seinen Kindern beschert die diskriminierende Politik seiner Regierung ein Riesenproblem. "Ich als Dominikaner sollte doch das Recht haben, meine eigenen Kinder als Dominikaner eintragen zu lassen. Aber das Recht habe ich nicht, mein Land verweigert ihnen die Staatsbürgerschaft, weil ihre Mutter eine Haitianerin ist." Im schlimmsten Fall könnte Familie Contraira auseinandergerissen werden, denn Silvia und den Kindern droht jetzt die Abschiebung nach Haiti. In eines dieser Lager direkt an der Grenze, in denen Hunger herrscht, weil die Politiker beider Länder sich nicht für die Vertriebenen verantwortlich fühlen.

Stand: 09.07.2019 22:37 Uhr

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