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Hongkong: Das leise Verschwinden von Freiheit

Hongkong: Das leise Verschwinden von Freiheit | Bild: Marie von Mallinckrodt / ARD Peking

Po Ying geht es um letzte Freiheitsräume inmitten des Hongkonger Gewusels. Immer sonntags kommen sie hierher, wollen ihre Parteizeitung verteilen, gesellschaftspolitische Themen ansprechen. Sie sind die letzten Verbliebenen der Oppositionspartei "Liga der Sozialdemokraten", die aus dem linientreuen Parlament ausgeschlossen worden ist:
Doch es ist, als ob ihre Stimme im Nichts verhallt. Niemand traut sich so recht stehenzubleiben – zu gefährlich; nur die Polizei, die dokumentiert alles, was die fünf Sozialdemokraten machen.

Po Yings Mann sitzt im Gefängnis, weil er auch politisch aktiv war. Wie fühlt es sich wohl an, wenn die Menschen scheinbar so desinteressiert vorbeilaufen? Po Ying: "Vielleicht haben Sie es nicht gesehen, aber manchmal machen mir die Leute im Vorbeigehen eine freundliche Geste. Oder sie sagen mit leiser Stimme 'Weiter so!' Denn die Polizei ist hier und filmt. Sie ziehen es also vor, ihre Unterstützung auf eine etwas verstecktere Art und Weise zu zeigen."

Millionen gegen Chinas Einfluss

Vor fünf Jahren sind teilweise mehr als eine Million Menschen bei den Massendemonstrationen auf die Straße gegangen; sie haben sich gewehrt gegen den wachsenden Einfluss Chinas. Schließlich wurde der chinesischen Sonderverwaltungsregion, die lange britische Kolonie war, weitestgehende Autonomie versprochen. Bei den Demos dabei, auch Po Yings Mann. An manchen Tagen waren es sogar fast zwei Millionen von 7,5 Millionen Einwohnern. Und so sieht es heute aus: Zahlreiche Menschen sind in Haft.
Seit März hat Hongkong sogar ein zweites, eigenes Staatssicherheitsgesetz eingeführt; das brauche es, um Stabilität zu bewahren, heißt es. Letzte Woche wurde ein Hongkonger zur Haftstrafe verurteilt wegen des Tragens eines T-Shirts mit Demo-Slogan. Mit Fahndungslisten wird nach Exilanten gesucht, zum Beispiel nach Finn Lau, umgerechnet rund 115.000 Euro Kopfgeld sind auf ihn ausgesetzt.
Finn Lau ist in London vor drei Jahren von drei Unbekannten zusammengeschlagen worden. Er hat Angst vor den chinesischen Behörden, die ihn auch hier aufsuchen könnten, erst recht seit dem Kopfgeld.
Trotzdem hofft er, irgendwann wieder in Hongkong leben zu können. 

Nationale Pflicht an den Schulen

Montagmorgen an einer Hongkonger Schule: das wöchentliche Flaggenhissen ist mittlerweile Pflicht und die chinesische Nationalhymne auch. Gehorsam muss geübt werden.
Wir dürfen in einen Unterricht mit, in dem das neue Schulfach “Staatsbürgerschaft” gelehrt wird. Seit drei Jahren gibt es das und soll den Schülern die Erfolgsgeschichte Chinas näherbringen und erklären, was ein guter Bürger ist.
Ein Besuch pro Schuljahr in Festlandchina ist auch zur Pflicht geworden. Schulleiter Lo Wai Shing erklärt uns, dass es Geduld für die Umstellung brauche: "Hongkong war so lange eine Kolonie Großbritanniens; es braucht Zeit für die Schüler. Aber ich vertraue ihnen. Das ist der Startpunkt. Ich erwarte nicht, dass es ganz plötzlich eine drastische Veränderung gibt, auch wenn einige neue Richtlinien eingeführt werden. Das bedeutet nicht wirklich, dass sie ihre Meinung ändern. Aber ich beobachte, dass sie eine zunehmend positive Einstellung haben."
Die Idee: das Denken soll angepasst werden. Wer das als Lehrer nicht mittragen will, der muss möglicherweise vor Gericht. Viele haben deshalb gekündigt, wie dieser Lehrer, der nicht erkannt werden möchte. Er unterrichtete bis vor zwei Jahren “Liberal Studies”, kritisches Denken – das wurde von der Schulbehörde ersetzt durch das Fach “Staatsbürgerschaft”.

Hongkong gehört ganz zu China

Überall in der Stadt hängen Plakate: 75 Jahre Volksrepublik. Das Signal: ihr gehört nun ganz dazu. Es wurde eine Hotline eingerichtet für Verstöße gegen das Staatssicherheitsgesetz. In der Stadt geht bei vielen die Angst um. Hunderttausende Hongkonger sind in den letzten fünf Jahren ausgereist, viele Festlandchinesen ziehen hinzu.

Po Ying besucht ihren Mann derzeit sechs Mal in der Woche im Gefängnis, sie hat 15 Minuten Redezeit mit ihm.
Der Urteilsspruch für ihren Mann steht noch aus, er könnte eine lebenslange Haftstrafe bekommen, letztlich dafür, dass er politisch aktiv war.
Gerade weil die Freiheit fünf Jahre nach den Demos so drastisch, aber leise verschwindet, will Po Ying nicht aufhören, sonntags hier ihre Stimme zu erheben.

Autorin: Marie von Mallinckrodt, ARD Peking

Stand: 29.09.2024 21:48 Uhr

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