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Indien: Wer füttert KI?

PlayIndien: Die Inderin Minu Manilal gehört bald zu denen, die KI füttern.
Indien: Wer füttert KI? | Bild: WDR

Zurzeit lernt sie den Umgang mit Computern und künstlicher Intelligenz. Und das obwohl sie bis vor ein paar Jahren noch nicht einmal einen Stift in der Hand halten konnte. Die 24-jährige Minu Manilal aus dem südindischen Kerala hat eine körperliche Behinderung und ist seit ihrer Geburt in ihrer Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt. "Ich hatte große Probleme mit der Balance. Mein Kopf fiel immer völlig unkontrolliert von der einen zur anderen Seite. Ich konnte nie mein Gleichgewicht halten, nicht aufrecht sitzen. Dank der Therapie hat sich das alles verbessert, sie hat mein Leben gerettet", erzählt sie.

Perspektive für Menschen mit Behinderung

Dank eines innovativen IT-Projekts haben sie und mehr als 100 Menschen mit körperlichen  und geistigen Beeinträchtigungen Aussicht auf eine berufliche Zukunft. Minu hat gelernt, die Finger ihrer rechten Hand zu koordinieren, kann damit die Computertastatur bedienen. Aufgrund des großen Fortschritts lernt sie nun, Daten zu erfassen und sie zu verschlagworten. Diese Daten bilden die Grundlage für Programme, die mit Hilfe Künstlicher Intelligenz arbeiten. Bald wird Minu Manilal also zu denen gehören, die die neue Technologie damit füttern: "Ich hätte nie gedacht, dass ich all diese Dinge lernen kann. Dass ich sogar in der IT-Branche arbeiten könnte. Ich wollte einfach jeden Tag mein Bestes geben und dann bot sich auf einmal die Gelegenheit, hier an den Computern zu arbeiten. Das war der Moment, in dem ich realisiert habe, zu was ich fähig bin."

Indien: In monotoner Handarbeit werden die Rechner mit Daten und Verschlagwortung gefüttert.
Indien: In monotoner Handarbeit werden die Rechner mit Daten und Verschlagwortung gefüttert. | Bild: WDR

Gegründet hat das Unternehmen Robin Tommy. Er selbst arbeitet seit vielen Jahren in der IT-Branche. Für eines seiner Projekte hat er eine Schule speziell für Menschen mit Behinderungen besucht. Dort wurde ihm bewusst, was fehlt: Zukunftsperspektiven. "Wir haben den Menschen hier Hoffnung gegeben. Aber Hoffnung alleine reicht nicht aus. Wir müssen eine Umgebung für sie schaffen, in der wir Veränderungen vorantreiben, sie immer weiter ausbauen und dann auch die Wirtschaft involvieren. Unser Ziel ist es, Technologie so zu verwenden, dass sie allen nützt. Wir wollen, dass die Menschen sehen, dass jeder etwas zur Gesellschaft beitragen kann", erklärt er.

Die Grundlage dafür wird hier gelegt: im Therapiezentrum. "Yes!" Wo Minu mithilfe von Computer-Technologie an ihrer Motorik arbeitet. Der Fokus liegt vor allem auf ihrer starken Hand, der rechten. "Very good!" Ein großer Vorteil der Trainingsmethode: Durch den Spielcharakter sind die Schmerzen, die Minu während der Übung hat, deutlich erträglicher. "Nur wenn ich ständig trainiere, verbessere ich mich auch. Am Anfang habe ich noch viel geweint. Mittlerweile überwiegt aber die Freude über meine Fortschritte. Der Schmerz ist mir da inzwischen fast egal", sagt sie.

Robin Tommy verfolgt die Entwicklung der Kinder und jungen Erwachsenen mit großer Freude. Er hat es geschafft, zahlreiche Firmen als Geldgeber und Kooperationspartner zu gewinnen. Die daraus generierten Gelder fließen in Infrastruktur, Personal und vor allem in neue Technik wie diese. Die jüngste Investition: ein Sensor, der die Bewegungen der Kinder abbildet und mit dem sie spielerisch lernen, ihre Motorik zu verbessern.

"Für jedes Kind, dass durch die Spieltherapie geht, die auf Künstlicher Intelligenz beruht, werden Daten erhoben. Wir haben also hier eine ganze Menge an Daten zur Hand, dem Körper und den Beinen. Diese Daten helfen den Therapeuten, um zu verstehen, an welchen Dingen er noch arbeiten muss. Ob eher im Ober- oder Unterkörper, an der Grob- oder der Feinmotorik. Es geht dann darum, die nächsten Ziele zu definieren", erzählt Robin Tommy. Ein noch weitreichenderes Ziel ist es, das Projekt an weiteren Standorten in Kerala zu etablieren. Ermöglichen könnte dies die "Startup-Mission". 

Ein Projekt das Zukunft schafft 

"How are you doing? Hey, hello!" Die "Startup-Mission" ist ein vom Bundesstaat finanziertes Zentrum, das speziell kleinere Unternehmen unterstützen soll. Rajeesh GR und Rohit Philip sind Teil einer Gruppe, die nach innovativen Lösungen für den Medizinbereich in Kerala sucht. Beide sehen im Konzept von "Inclusys" großes Potential. "Wir haben das Projekt nach zwei Parametern bewertet. Zum einen nach der Genauigkeit der Daten, wie exakt gearbeitet wurde und zum anderen wie schnell sie die Arbeit abgeschlossen haben. Sie haben unsere Erwartungen dabei weit übertroffen. Jetzt denken wir darüber nach, ihnen noch mehr Projekte zu geben", sagt Rohit Philip vom Kerala Medical Technology Consortium.

Indien: Die junge Frau profitiert selbst von KI und macht die Rechner schlauer.
Indien: Die junge Frau profitiert selbst von KI und macht die Rechner schlauer. | Bild: WDR

Für Minu sind solche Worte das schönste Kompliment. Zuhause in ihrem Zimmer lernt sie genau dafür oft stundenlang Computerbefehle und Englischvokabeln. Nun, so sagt sie, würde sich das alles zum ersten Mal wirklich auszahlen und so anfühlen, als sei ihre Arbeitskraft wirklich wertgeschätzt. Gleichzeitig sei es großer Ansporn, weiterzumachen: "Ich liebe es, im Internet Dinge nachzuforschen, ich bin unglaublich neugierig. Selbst wenn es nur Kleinigkeiten sind. Ich will alles sofort herausfinden und verstehen. Inzwischen ist die Technologie zum Glück so weit, dass das problemlos möglich ist. Einzig und allein durch mein Handy."

Nicht immer waren die Aussichten so vielversprechend. Bis heute haben es Menschen mit Beeinträchtigungen wie Minu in Indien oft schwer. Ihre Mutter Latha erinnert sich an Zeiten, in denen die Technologie noch keine große Rolle spielte. In denen es kaum eine Perspektive in Minus Leben gab. Damals haderten sie mit ihrem Schicksal, wussten nicht mehr weiter. Gemeinsam aber hätten sie es aus diesem Tal heraus geschafft. "Wir alle versuchen sie zu unterstützen. Es ist aber vor allem meiner Mutter zu verdanken, dass Minu dort angekommen ist, wo sie heute ist. Meine Mutter sagte zu mir, dass ich nicht immer weinen solle. Es sei wichtiger, den Glauben nicht zu verlieren und Vertrauen in sie zu setzen", erzählt Minus Mutter.

Ein Vertrauen, das sich ausgezahlt hat. Inzwischen sind Minu und ihre Familie voller Hoffnung. "Ich habe es geschafft zuzuhören, die Dinge zu begreifen. Am Anfang dachte ich noch, das sei unmöglich aber mit der Zeit ging es immer besser. Und jetzt werde ich im IT-Bereich geschult. Noch etwas, das ich vor Kurzem für völlig unmöglich gehalten hätte. Aber inzwischen weiß ich, wozu ich wirklich fähig bin", sagt Minu.

Für Minu beginnt mit der Abfahrt ins Therapie- und Schulungszentrum ein weiterer anstrengender Tag. Ein Tag, an dem sie wieder einmal über die Schmerzgrenze hinaus gehen und zahlreiche Hürden überwinden muss.  Doch inzwischen hat sie eines gelernt: Sich selbst keine Grenzen mehr zu setzen.

Autor:  Oliver Mayer / ARD Studio Neu-Delhi

Stand: 20.03.2023 14:01 Uhr

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