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Irak: Der mächtige Nachbar – Irans Einfluss

PlayPlakat mit Abbildung von Kassem Soleimani (rechts), ein von den USA getöteter iranischer Revolutionsgardist
Irak: Der mächtige Nachbar – Irans Einfluss  | Bild: SWR

Einst war der Irak ein großer Käse-Produzent in der Region, jetzt importiert das Land weißen Käse, den hier alle zum Frühstück essen, aus dem Iran. Das Beispiel ist klein, aber es steht für viel mehr. Der Sturz von Saddam Hussein durch die "Koalition der Willingen" hat ein Machtvakuum im Land erzeugt, das Kräfte von außen ausgefüllt haben. Vor allem der große Nachbar Iran hat seinen Einfluss – wirtschaftlich und politisch – massiv ausgeweitet. Iran-treue Parteien bestimmen maßgeblich die irakische Regierungspolitik mit und die Oppositionsbewegung ist massiven Repressionen ausgesetzt. Mehr als 600 Aktivisten wurden getötet, viele von iran-nahen Milizen.

Milizen und Parteien agieren im Sinne des Iran

Ohne Stau kommen wir aus Bagdad schon mal gar nicht raus – der Verkehr ist ein Desaster, in die Infrastruktur wurde nichts investiert. Auf dem Land plötzlich ein Stück nagelneue Autobahn. Aber die wurde erst Jahre später fertig als geplant. Warum Mohammed? "Wegen Korruption", erklärt Mohammed Ghaleb, irakischer Mitarbeiter der ARD. "Zum Beispiel ein Unternehmer bekommt dieses Projekt, er nimmt das Geld und geht ins Ausland." Geld aus der Staatskasse klauen, das hat System. Mehr als 150 Milliarden Dollar wanderten in den letzten 20 Jahren in die Taschen von Parteien und zugehörigen Milizen.

Mitglieder der Haschd al Schaabi-Miliz in Uniform
Schiitische Milizen wie die Haschd al Schaabi üben einen großen Einfluß aus  | Bild: SWR

In Kerbela sind wir mit Aktivisten verabredet, die dagegen protestieren. Das Mobiliar im Versammlungsraum hat noch den Charme der Saddam-Zeit. Und wie geht’s dem Land? Saddam wurde gestürzt, aber dafür haben wir jetzt 10.000 kleine Saddams, sagt Reda Hajwal. "Wer die zehntausend kleinen Saddams sind? Ein Haufen Milizen und eine Bande von religiösen Parteien, die das Land jetzt regieren", sagt Hajwal, Aktivist Tishreen-Bewegung. "Sie sind eng miteinander verflochten und sehr loyal. Aber nicht zum Irak, sondern zu anderen Ländern. Um es ganz klar zu sagen, sie halten zum Iran." Auch wegen des starken iranischen Einflusses hatten die Tishreen-Aktivisten 2019 die Revolution ausgerufen, gegen die Einheitsregierung. Doch ihr Aufstand wurde brutal niedergeschlagen, mehr als 700 Aktivisten getötet. "Jetzt sind unsere Leute müde", sagt Ahmed Al Bannaa. "Wir haben mehr als ein Jahr lang demonstriert, viele Opfer zu beklagen, aber wir konnten nichts verändern."

Denn ihre Gegner sind stärker, die bewaffneten Milizen, die die Macht vor allem schiitischer Parteien stützen. Einige stehen direkt unter iranischem Kommando. Im Kampf gegen den IS groß geworden, sind die Haschd al Schaabi inzwischen offizieller Bestandteil des irakischen Staats. Familie al Bannaa hat ihre Macht hart zu spüren bekommen. Ahmed und sein Bruder Hassan, beide Aktivisten, sind Lehrer. Hassan hatte während der Proteste gefilmt, wie Milizen die Zelte der Demonstranten anzündeten. Wegen dieses Videos wurde er später entführt und gefoltert. "Mein Arm war während der Demos schon ausgekugelt. Als ich entführt wurde, haben sie den Arm nochmal verletzt, ich musste später operiert werden. Sie haben mich nackt in ein Kühlhaus gesteckt und mir Pfefferspray direkt in die Augen gesprüht." Nach einem Tag wurde Ahmeds Bruder zum Glück wieder freigelassen.

Iran finanziert Moscheen im Irak

In dieser Straße haben sie oft demonstriert, in der Nähe der beide großen Moscheen von Kerbela. Jede Menge Baustellen – hier wird offenbar viel Geld investiert. Als wir vor der Hussein-Moschee ein Interview machen wollen, kommen sofort Sicherheitsleute, Polizei und Geheimdienst. "Die Moscheeverwaltung, das ist ein Staat im Staate", sagt Reda Hajwal. "Niemand kontrolliert sie, sie können machen, was sie wollen, Grundstücke nehmen, wo sie wollen. Der irakische Staat hat keine Macht über sie."

Gläubige in der Hussein-Moschee
Viele Iraner besuchen die Hussein-Moschee, eines der höchsten Heiligtümer der Schiiten | Bild: SWR

Wir wollen zum Freitagsgebet. Die schwarze Abaya für mich ist Pflicht und die Wächter sind streng. "Ich wurde jetzt hier schon mehrfach drauf hingewiesen, dass die Haare aus dem Schal gucken. Die Haare müssen alle unters Kopftuch. Und dann muss ich jetzt noch die Schuhe abgeben." Und dann geht’s über den Fraueneingang rein in eines der höchsten Heiligtümer der Schiiten. Achtung, Dein Kopftuch ist schon wieder verrutscht warnen mich die Frauen. Millionen Pilger besuchen den Schrein des Prophetenenkels Hussein jedes Jahr. Sie kommen aus der ganzen Welt, vor allem aus dem Iran, um die Grabstätten von Hussein und Abbas direkt nebenan zu besuchen. Der Klerus hier ist eng mit dem Iran verbunden, die Moscheen in Kerbela werden auch aus Teheran mitfinanziert.

Der Iran verdient gut an Exporten in den Irak

Die Mullahs im Iran nutzen den Irak auch für Waffenschmuggel Richtung Syrien und Libanon. Wir bekommen am Grenzübergang nahe Basra natürlich nur die legalen Importe zu sehen. Bis zu 500 LKW liefern täglich Gemüse, Lebensmittel, Haushaltswaren von der iranischen auf die irakische Seite. Gute Einkünfte für den mit Sanktionen belegten Iran. Doch viele Iraker sehen den Import kritisch. Lebensmittel, könnte der Irak auch selbst herstellen. Warum Käse aus Iran importieren, bei dem sogar das Verfallsdatum abgelaufen sei? "Selbst der Import von Käse hat politische Gründe", sagt Ali Kareem. "Seit dem Sturz Saddams wird im Irak wenig produziert. Wir hatten die drei größten Milchfabriken im Nahen Osten, die sind jetzt zu, weil die Politik das so beschlossen hat."

Porträtzeichung eines ermordeten Aktivisten der Tishreen-Bewegung
Der ermordete Aktivist der Tishreen-Bewegung ist in der Familie präsent

Aber Kritik an iran-freundlicher Politik ist lebensgefährlich. In Kerbela besuchen wir die Familie eines getöteten Aktivisten der Tishreen-Bewegung. In der Zimmerecke sein Porträt. Das Video einer Überwachungskamera hat die Tat festgehalten. Ihab el Wazni wurde wenige Meter vor der eigenen Haustür erschossen. "Mein Sohn wurde heimtückisch ermordet. Wir haben Mörder, Kriminelle und Diebe im Land. Woanders würden sie bestraft. Aber hier gehen sie ohne Strafe aus. Wir haben einen gescheiterten Staat und eine gefallene Regierung." Ihab el Waznis Tod habe ein bekannter Milizenchef befohlen, der sei erst verhaftet, dann freigelassen worden. Auch die Richter sagt Familie El Wazni, hätten Angst vor den irantreuen Milizen. Der Iran baut seine Präsenz weiter aus. In Kerbela entsteht gerade der Ableger einer iranischen Uni, samt angeschlossener Moschee.

Autorin: Ute Brucker

Stand: 12.03.2023 20:48 Uhr

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