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Irak: Rückkehr nach Mossul

PlayMänner jubeln vor einem Haus und halten Maschinengewehre hoch.

Bloß weg mit dem langen Bart – kaum ist der IS verschwunden. Zweieinhalb Jahre war der Friseur in Ost-Mossul praktisch arbeitslos, aber jetzt läuft es wieder. "Die jungen Leute waren völlig am Ende. Der IS hat ihnen ihre Freiheit genommen. Haare schneiden und rasieren war verboten! Sie haben echt bitter leiden müssen!"

IS-Anhänger gibt es jetzt in Ost-Mossul keine mehr – sagen die Leute. Schwer zu glauben. Aber über die neuen, kleinen Freiheiten freuen sich alle. Haare schneiden, wann immer man will. Und endlich ist auch das Rauchen wieder erlaubt. "Alle kaufen plötzlich Zigaretten. Sogar Nichtraucher fangen auf einmal an zu rauchen."

Der Kampf gegen den IS ist noch nicht vorbei

Eine Autobombe wird zur Explosion gebracht. Der Kampf gegen den IS ist noch lange nicht vorbei. Am Morgen erst hat die Terrormiliz die Gegend hier geräumt. Die Polizei findet Munition, Sprengstoffgürtel. Jeder weiß, dass der IS gerne Sprengfallen hinterlässt. Unser Blut gefriert, als der Polizist ein unbekanntes Auto öffnet, den Kofferraum durchsucht. Der Wagen hat ein Kennzeichen des sogenannten Islamischen Staats.

Explosion
Zerstörung in Mossul. | Bild: WDR / WDR

Die Polizei findet ein Lazarett des IS, blutige Kleider eines Verwundeten, etliche Medikamente. In einer dunklen Ecke eine Granate. "Aufpassen, sonst geht die hoch", bedeutet uns ein Polizist und entsorgt das Ding. Bis hierher sind die Sicherheitskräfte vorgedrungen, bis ans östliche Ufer des Tigris.

Auf der anderen Seite sitzt jetzt der IS, gut verschanzt in dicht besiedeltem Gebiet. Der Schauplatz für die Entscheidungsschlacht. Es ist ein stetes Kommen und Gehen im Osten Mossuls. Zivilisten fliehen aus frontnahen Vierteln, Familien kehren zurück in Gegenden, die wieder als sicher gelten. Von jenseits des Flusses Gefechtslärm.

Zwangsverheiratung mit einem IS-Anhänger

Frauen und Kinder an einem Wasserlauf
Tausende Menschen kehren zurück in ihre Heimat. | Bild: WDR / WDR

Asil weiß noch nicht, ob sie auch wieder in Mossul leben will. Sie ist 14 und seit zwei Jahren verheiratet. Gegen ihren Willen. Asil lebt in einem Lager in der Nähe von Mossul, eine Hilfsorganisation betreut hier misshandelte Frauen wie sie. Asil ist mit einem IS-Anhänger in Mossul verheiratet. Er bedrohte und missbrauchte sie: " Seine Brüder haben sich mir auch genähert. Und er fand, das sei kein Problem, es sei ja schließlich die Familie. Wie kannst du nur zulassen, dass dein Bruder so etwas tut, habe ich ihn gefragt. Er meinte nur: Ist schon in Ordnung. Ich habe niemandem etwas gesagt, weil ich so Angst hatte."

Für Frauen wie Asil ist das Leiden selbst nach der Vertreibung des IS noch lange nicht vorbei. Fatima Hashem von der Hilfsorganisation Al Mesalla schildert, das Frauen die mit einem IS-Anhänger verheiratet waren, unter Generalverdacht stehen.

Als die irakische Armee den IS vertreibt, kann Asil fliehen. Sie meldet ihren Mann bei der Polizei. Jetzt will sie die Scheidung. "Ich habe mich so eingesperrt, so schlecht gefühlt. Ich habe gebetet, dass endlich die Armee kommt und Mosul befreit, damit ich ihn los bin."

Terrormiliz ist aus dem Ostteil von Mossul vertrieben

Kinder machen das Victory-Zeichen
Die irakischen Soldaten werden freudig begrüßt. | Bild: WDR / WDR

Manche sind nun zwar befreit, doch sie haben Dinge erlebt, die sie ein Leben lang beschäftigen werden. Das Leben nach dem IS ist in Mosul alles andere als einfach, auch wenn die Terrormiliz aus dem Ostteil der Stadt endlich vertrieben ist.

Das Al Salam-Hospital ist nur noch ein Trümmerhaufen. Außer dem Keller ist nicht mehr viel übrig. Eine Bombe habe hier ein Munitionslager des IS getroffen. Irakische Polizisten haben das Krankenhaus gestürmt. 200 IS-Kämpfer hatten sich hier verschanzt, sagen sie, jetzt sind die alle tot.

2014 liefen Armee und Polizei vor ein paar hundert IS-Kämpfern davon. Jetzt genießen sie ihren Sieg. Und die späte Rache. Sie hassen den IS in Mossul, aber sie haben Befehl, nicht auch Mossuls Bevölkerung zu hassen.

Bildhauer planen Skulpturen-Ausstellung

Freiheit heißt für Omer Qais und seinen Vater: arbeiten dürfen. Beide sind Bildhauer. Ihr Relief zeigt Monumente, die es heute nicht mehr gibt. Der IS hat sie alle in die Luft gesprengt. Für Künstler war es gefährlich dort zu bleiben.

Bildhauerei ist nach IS-Ideologie verboten. Skulpturen gelten als Götzenbilder. Zweieinhalb Jahre haben die beiden Künstler nur im Verborgenen gearbeitet, ständig in Sorge, die Fanatiker könnten sie entdecken. Jetzt planen sie eine Skulpturen-Ausstellung: "Wir wollen etwas für Mossul tun. Das ist unsere Stadt, wir wollen, dass hier endlich wieder ein normales Leben einkehrt."

Der IS konnte Mossul erobern, weil die irakische Armee und Polizei hier verhasst waren. Jetzt kommen beide als Befreier wieder. Aber nur, wenn sie das auch bleiben, ist die Terrormiliz in Mossul auf Dauer besiegt.

Volker Schwenck/ARD Studio Kairo

Stand: 13.07.2019 18:22 Uhr

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