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Iran: Ein Jahr nach den Protesten

PlayIran: Vor einem Jahr löste  im Iran der Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini große, anhaltende Proteste aus.
Iran: Ein Jahr nach den Protesten | Bild: Kenzo TRIBOUILLARD / AFP

Rojin macht uns zur Begrüßung erstmal Kaffee. Das hat ihr gefehlt, als sie im Gefängnis saß, erzählt sie uns. Man merkt der 27-Jährigen auf den ersten Blick nicht an, wie schwierig ihr Leben bisher verlief: Zwangsverheiratet, geflüchtet vor der Familie, mit dem Wunsch nach Freiheit – das steht auch an ihrer Wand geschrieben – und das in einem Land, dessen Regierung Frauen nicht frei leben lässt. "Was steht da auf deinem Finger?", frage ich sie. "Ach, Gerechtigkeit – Genau!" Die gibt es im Iran nicht, sagt Rojin, daher fiel ihre Wahl auf den Mittelfinger: "Das Leben von jungen Leuten im Iran ist sehr schwierig. Die meisten haben keine guten Jobs, verdienen nicht genug, wir können keinen Spaß haben und die Probleme werden jeden Tag größer. Mittlerweile nehmen die meisten jungen Menschen Drogen, egal was."

Ich will von Rojin wissen, was letztes Jahr passierte, als sie verhaftet wurde. Sie zeigt mir einige Fotos und Videos. Damals trägt sie ihr Haar noch lang. Ohne Kopftuch läuft sie durch Teheran, mit einer Freundin und einem Schild auf dem der Name "Mahsa Amini" steht – am Tag nach deren Tod. "Ich sah im Netz, dass Studenten an der Teheraner Uni Plakate in ihren Händen hielten, und den Slogan "Frau, Leben, Freiheit" riefen, ich sagte mir: Ich muss auch raus und etwas tun!", erzählt Rojin.

Stundenlang läuft sie mit dem Schild durch die Stadt. Irgendwann zerren sie Polizisten in einen Van. Sie kommt direkt ins Gefängnis, wird dort immer wieder verhört. Von anderen Mitgefangenen hört sie später Geschichten über Misshandlungen und sexuelle Gewalt: "Das war ein Zeit voller Stress und Unsicherheit. Eine Art Folter, denn wir blieben immer im Ungewissen, wussten nicht, was mit uns passieren wird."

Angst soll den Protest unterdrücken

Iran: Diese junge Iranerin war zwangsverheiratet, flüchtete vor ihrer Familie, musste ins Gefängnis, weil sie ohne Kopftuch und für Freiheit demonstrierte.
Iran: Diese junge Iranerin war zwangsverheiratet, flüchtete vor ihrer Familie, musste ins Gefängnis, weil sie ohne Kopftuch und für Freiheit demonstrierte. | Bild: WDR

Während Rojin im Gefängnis sitzt, nehmen die Proteste im Iran ihren Lauf. Landesweit gehen Menschen auf die Straßen – schon bald richtet sich die Wut gegen das gesamte Islamische System. Das erstickt die Proteste brutal: Tausende werden festgenommen, hunderte Demonstrant:inneen sollen von Einsatzkräften getötet worden sein, sagt u.a. die UN, zum Teil mit scharfer Munition. Bis heute macht das Regime die Menschen, die aus Protest auf die Straße gingen zu Kriminellen. Auch die, die die Geschehnisse dokumentieren wollten: Dutzende Journalisten landen im Gefängnis und werden vor Gericht gestellt. Eine davon will ich treffen. Sie sagt mir ein Interview zu. Doch es kommt anders. 

"Ich wäre jetzt eigentlich mit Yalda verabredet, sie ist Fotografin und ich habe sie schon einmal Interviewt vor einigen Monaten. Sie hat fotografiert während der Proteste, wurde dann festgenommen, kam ins Gefängnis und es lief ein Prozess gegen sie, in dem sie auch verurteilt wurde. Sie hat Einspruch eingelegt und ich wollte sie jetzt treffen, um mal zu hören, wie es ihr geht, ob sie auch wieder arbeiten kann. Aber ich habe gerade einen Anruf bekommen von den Behörden und man hat mir ziemlich direkt zu verstehen gegeben, dass wir große Problemen bekommen würden, wenn wir sie interviewen."

Um meine Gesprächspartnerin und unser Team nicht zu gefährden, verzichte ich auf das Interview. In den vergangenen Wochen sollen dutzende Menschenrechtler, Anwälte, Journalisten, selbst Angehörige von getöteten Demonstrant:innen vorgeladen und zum Teil verhaftet worden sein – der Versuch alles rund um den Jahrestag im Keim zu ersticken, sagen viele. Doch an einer Stelle scheitern sie bisher: Wie viele Frauen trägt Rojin inzwischen kein Kopftuch mehr. Für sie ein Zeichen des Protests im Alltag. Jeden Tag geht sie so auf die Straße – trotz der Risiken. "Ich habe zu 100 Prozent Angst. Wenn ich ohne Hijab an belebten Plätzen vorbeilaufe, wo oft auch Sicherheitskräfte stehen, schlägt mir das Herz bis zum Hals. Aber ich zeige meine Angst nicht, ich laufe immer weiter."

Im Parlament soll kommende Woche sogar ein Gesetz verabschiedet werden, dass die Strafen noch verschärft: Geldbußen bis zu 1.000 Euro bei Verstößen gegen die Kleiderordnung, Ausreisesperren, kein Zugang mehr zu Bankkonten – bis hin zu langen Haftstrafen. All das nehmen Rojin und viele andere in Kauf. "Für mich war es seit meiner Kindheit ein Traum, mich so zu präsentieren, also mich einfach so zu kleiden, wie ich es möchte. Obwohl ich das jetzt tue, habe ich trotzdem Angst, weil sie mich jederzeit festnehmen könnten", sagt sie.

Nicht alle sind gegen das Regime

Die Sehnsucht nach Freiheit, sie kann das nicht verstehen. Marzieh Yeganeh leitet eine staatliche Bibliothek in Teheran – und unterstützt das System fast bedingungslos. Sie lebt in einer völlig anderen Welt. Ich spreche sie auf den Tod von Jina Mahsa Amini vor einem Jahr an und die Proteste, die es daraufhin gab. "Also dieser Vorfall, dieser Fehler kann ja von einer Person verursacht worden sein, aber diese Leute, die auf die Straße gingen, hätten diesen Vorfall nicht so eskalieren lassen sollen, dass es am Ende der gesamten Gesellschaft schadet", sagt sie.

Marziehe nennt die Demonstrant:innen "irrgeleitet", beeinflusst vom Westen und seinen Medien – also auch von mir. Das sagt sie direkt. Trotzdem möchte ich wissen, ob sie glaubt, es sei nun der richtige Weg, die Menschen durch immer schärfere Gesetze zu unterdrücken. "Diese Unruhen haben dazu geführt, dass die Maßnahmen intensiver werden, weil manche Menschen gegen die Regeln verstoßen und in hässlicher Kleidung in der Öffentlichkeit auftauchen. Sie stören damit den geistigen Frieden der Gesellschaft. Insofern bin ich dafür, dass diese Gesetze verabschiedet und auch umgesetzt werden sollten", findet Marzieh Yeganeh.

Rojin träumt von einem bunten Iran. Was glaubt sie: Wie geht es weiter für sie und die vielen anderen jungen Menschen, die nach Freiheit streben? "Ich wünsche mir, sie loszuwerden. Aber ich will auch nicht zurück zur Monarchie. Demokratie sollte im Iran herrschen. Ich glaube fest daran, dass Gleichberechtigung möglich ist." Sie sei aber nicht sicher, ob sie das jemals miterleben wird. Denn der Weg dorthin sei lang – auch wenn der Wunsch nach Veränderung größer ist denn je. 

Autorin: Katharina Willinger / ARD Studio Istanbul

Stand: 18.09.2023 12:05 Uhr

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