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Iran: Einschüchterung und Verfolgung mit moderner Überwachungstechnik

PlayIsfahan/Iran: zwei verschleierte Frauen und ein Mann auf der Straße
Iran: Verfolgung mit moderner Überwachungstechnik | Bild: IMAGO / NurPhoto

Für das iranische Regime sind Überwachungskameras längst zu einem wichtigen Instrument der Unterdrückung geworden. Laut Amnesty International setzt das Regime nun auch Software zur Gesichtserkennung ein, um Frauen zu verfolgen, die gegen das "Kopftuch-Gesetz" verstoßen. Nach Angaben von Menschenrechtlern haben iranische Sicherheitsbehörden jederzeit Zugriff auf sämtliche Kameras im Land. Deren Aufnahmen wurden bei den vergangenen Protesten auch genutzt, um Demonstranten zu finden und zu verhaften. Die neue Generation von Überwachungskameras kann auch Kennzeichen automatisch erfassen und Objekte verfolgen. Für Oppositionelle und Frauen im Iran ist das eine tägliche Bedrohung.

Die Überwachung auf den Straßen wird ausgebaut

Der Protest auf Teherans Straßen – er hört einfach nicht auf. Sie protestieren, kein Kopftuch zu tragen. In der Islamischen Republik ist das ziviler Ungehorsam, verbunden mit vielen Risiken. Denn die Frauen werden beobachtet. Der Staat will ihnen das Gefühl vermitteln: Wir sehen euch: Überall, jederzeit. "Warum können sie einfach nicht verstehen, dass es falsch ist, von uns zu verlangen, ein Kopftuch zu tragen, wenn wir nicht daran glauben?", fragt eine Frau. Um die Kopftuch-Pflicht durchzusetzen, setzt das Regime zunehmend auf Massenüberwachung. Überall in Teheran hängen solche Kameras.

Smartphone Bildschirm
Die Polizei meldet sich per SMS  | Bild: SWR

Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wird die Überwachung besonders im Straßenverkehr ausgebaut, mit spezieller Gesichtserkennungssoftware sagt Menschenrechtsanwältin Raha Bahreini, "Die Frauen, die wir interviewt haben, sagten, dass sie mit ihrem Auto über eine Kreuzung fuhren oder gerade Einkaufstaschen aus dem Auto holten und ihr Kopftuch verrutschte. Unmittelbar danach erhielten sie Nachrichten auf ihren Handys, in denen stand, dass sie von den Kameras gefilmt wurden wegen ihres Kopftuchs und dass sie mit rechtlichen Schritten rechnen müssen."

Strafzettel per SMS aufs Handy. Viele Frauen müssen dann ihr Auto für mehrere Wochen abgeben – oft folgen auch Ausreisesperren und Geldstrafen. Und das Regime veröffentlicht Fotos von Demonstranten und Aktivisten im Internet und fordert die Bevölkerung auf, die Personen zu identifizieren. Wir wollen mit Aktivisten sprechen, die vom Regime verfolgt werden und kontaktieren eine Gruppe von Oppositionellen. Im ganzen Land organisieren sie Protestaktionen. Nach mehreren Wochen vergeblicher Versuche sind sie bereit, zu einem Online-Interview. Voraussetzung: Wir schützen ihre Identität. Auch sie sagen, das Regime setze Software zur Identifizierung von Demonstranten ein: "Deshalb versuchen wir in den Tagen vor den Aktionen, den Strom der Kameras abzuschalten, wenn sie höher installiert sind – wenn sie tiefer liegen versuchen wir, die Kameras zu kaputt zu machen." In den sozialen Netzwerken veröffentlichen Aktivisten Anleitungen, wie die Kameras am effizientesten zerstört werden können. Mit Farbe, Feuer oder einfach mit purer Gewalt, wie dieses Video zeigt.

Welche Rolle spielen Kameras aus Deutschland?

Eine Karte Teherans, erstellt von Aktivisten, soll zeigen, wie dicht das Netz der Überwachungskameras ist. Jeder einzelne Stern steht für eine Kamera. Am weitesten verbreitet sind Kameras des chinesischen Unternehmens Tiandy. Doch die Gruppe sagt, sie würden immer wieder Kameras von Unternehmen aus den Niederlanden, Schweden und Deutschland entdecken. Tragen Kameras von dort dazu bei, dass Oppositionelle und Frauen vom iranischen Regime verfolgt werden können? Wir recherchieren und finden Hinweise, dass auch Kameras der deutschen Firma Bosch noch bis 2018 in den Iran verkauft wurden. In einem veröffentlichten Video einer Hackergruppe noch aus dem letzten Jahr, ist offenbar die Softwareoberfläche von Bosch zu sehen, mit der Kameras gesteuert werden, die zur Überwachung von Kreuzungen und Schnellstraßen genutzt werden.

Überwachungskamera an Mast
Kameras aus verschiedenen Ländern kommen zum Einsatz  | Bild: SWR

Auf Anfrage bestätigt Bosch, das Kameramodell, das in den Videos zusehen ist, wurde bis 2018 in geringer Stückzahl in den Iran geliefert. Doch Bosch sei nicht direkt an dem Projekt zur Verkehrsüberwachung beteiligt gewesen. Bosch bestätigt, dass diese Kameras sogenanntes intelligentes Tracking ermöglichen. Was bedeutet das in der Praxis? Die Aktivisten sagen, dass mit einer solchen Trackingtechnik das Regime erkennen könne, ob sich Menschen in Gruppen für eine Demonstration versammeln: "Wenn im Kamerabild mehr als fünf oder zehn Personen gleichzeitig auftauchen, wird ein Alarm an den nächsten Polizeistützpunkt geschickt. Nach wenigen Minuten kommen dann Sicherheitskräfte an den Ort. Sie besitzen eine solche Technologie. Wir nennen es Alarm zur Erkennung der Menschenmenge."

Wir stoßen auf ein Dokument. Darin wird beschrieben, dass an der Khatam-Universität in Teheran 2017 eine Schulung von "Bosch Security" und einem iranischen Vertriebspartner organisiert worden sei. Thema war demnach unter anderem die Gesichtserkennung ("facial recognition"), Gesichtsdetektion ("face detection") und das intelligente Tracking von Objekten. Der Schulungsleiter soll einer der Vertriebsleiter für den Nahen Osten der Firma Bosch gewesen sein. Auf SWR-Anfrage bestätigt Bosch zwar zwischen 2016 und 2018 insgesamt rund 8.000 Sicherheitskameras in den Iran geliefert zu haben. Gleichzeitig bestreitet das Unternehmen, dass Ihre Kameras für eine vollautomatische Gesichtserkennung genutzt werden können und weiter: "Kein Mitarbeiter von Bosch hat jemals eine Schulung für "facial recognition" an der Khatam University durchgeführt." Seit 2019 habe Bosch keine Geschäftsbeziehungen mehr in den Iran. Tatsächlich habe man sich bei Kameraverkäufen an die geltenden Exportvorschriften gehalten.

Die Strafen für Frauen ohne Kopftuch werden weiter verschärft

Dennoch sieht Raha Bahreini Unternehmen wie Bosch in der Verantwortung: "Nach den internationalen Menschenrechtsgesetzen sind die Unternehmen verpflichtet, ihre Sorgfaltspflicht zu erfüllen und sicherzustellen, dass die von ihnen verkauften Technologien nicht zur Begehung von Menschenrechtsverletzungen verwendet werden." Tatsache ist, die Frauen werden weiterhin unterdrückt – wohl auch mit Hilfe intelligenter Technik. Im iranischen Parlament, das von Hardlinern dominiert wird, liegt momentan ein Gesetzentwurf: das sogenannte "Kopftuch- und Keuschheitsgesetz". Das sieht noch härtere Strafen vor als bisher. Shima Ghouseh arbeitet als Anwältin in Teheran, ihr Schwerpunkt: Frauenrechte. Sie ist eine der wenigen, die bereit ist, mit uns vor der Kamera über das immer härtere Vorgehen der Regierung zu sprechen. "Bei diesem neuen Entwurf sprechen wir von einer Bestrafung ersten Grades. Das kann so weit gehen, dass eine Frau mit dem Vorwurf 'Korruption auf Erden' angeklagt werden kann. Und darauf kann tatsächlich die Hinrichtung stehen. Das heißt: Die Absicht ist klar: Frauen sollen für ihr Handeln mit den schlimmstmöglichen Strafen konfrontiert werden." Die Todesstrafe kann drohen und dennoch scheinen viele Iranerinnen fest entschlossen, dem Druck Stand zu halten. "Gegen dieses Gesetz wird es großen Widerstand geben. Sie können uns nicht mehr stoppen. Jeder Mensch muss endlich frei entscheiden können."

Frauen ohne Kopftuch auf Straße
Frauen ohne Kopftuch drohen harte Strafen  | Bild: SWR

Dass immer mehr Iranerinnen dem Regime den Kampf angesagt haben, zeigen auch solche Videos: Frauen, die sich zur Wehr setzen, als sie von Regime-Anhängern gefilmt werden. "Ich werde meine Meinung bis zum letzten Atemzug verteidigen", ruft diese junge Iranerin. "Die Zeiten, in denen wir vor Euch Angst hatten, sind vorbei." Immer wieder werden Frauen ohne Kopftuch gefilmt – vor allem durch Mitglieder einer para-militärischen Einheit, den sogenannten Basij. Solche Videos werden dann von staatlicher Seite gezielt im Netz gestreut, um Angst zu verbreiten. Der neue Gesetzentwurf geht noch einen Schritt weiter: "Dieses geplante Gesetz sieht sogar vor, dass jeder Bürger Fotos und Videos von Frauen machen kann, die gegen die Vorschriften verstoßen und sie direkt an die zuständigen Behörden schicken kann", erklärt die Anwältin Shima Ghouseh. "Und diese Aufnahmen sollen dann vor Gericht als Beweismittel dienen." Zugelassen sind dann auch Videoaufnahmen von Sicherheitskameras, bisher waren sie das offiziell nicht. Wenn Frauen im Iran damit zukünftig der Prozess gemacht wird, könnte das also auch mit Hilfe von Technik "Made in Germany" geschehen.

Autoren: Florian Barth, Nick Schader und Katharina Willinger

Stand: 06.08.2023 21:42 Uhr

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