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Italien: Der vergiftete Fluss

PlayItalien: Der italienische Fluss Sarno ist der schmutzigste Fluss in Europa
Italien: Der vergiftete Fluss | Bild: WDR

Chloride, Blei, Quecksilber, Kolibakterien: Warum ist der Sarno so zugerichtet? Wir folgen dem Flusslauf und suchen die Antwort. Mittags holen die Männer Wasser vom Fluss Sarno – als wäre die Zeit stehen geblieben. "Es ist Bergwasser, sehr gut."

Der Sarno wird aber nur kurz so gesund bleiben. Einige 100 Meter von der Quelle entfernt sind wir mit Umweltaktivisten verabredet, oft könne man hier bereits beobachten, wie die Verschmutzung des Sarno beginnt. Und tatsächlich: es riecht scharf nach Chlor. "Sagen wir so: das sind chemische Stoffe der Firmen, die hier arbeiten", sagt Claudio Pagano vom Umweltverband 'Lega Ambiente'.

Wie konnte das so lange passieren?

Von oben sieht man deutlicher, wie graues Wasser hier zufließt. Es ist erst der Anfang. Denn viele Industriebetriebe lassen ihre Abwässer ungeklärt ein, illegal, seit Jahrzehnten, das wüsste auch jeder, sagen die Aktivisten. Aber wenn das so ist, warum unternimmt dann niemand etwas dagegen? "Das ist die Ein-Milliarden-Dollar-Frage. Denn wahrscheinlich sind die Interessen, die hier greifen, so stark und überlappen sich gleichzeitig, dass man gar nicht weiß, wer zuerst etwas tun müsste und wer es dann zu Ende bringen sollte", erzählt der Umweltaktivist.

Italien: An seiner Quelle ist der Sarno noch sauber
Italien: An seiner Quelle ist der Sarno noch sauber | Bild: WDR

Und es gibt viele unterschiedliche Interessen: Der Sarno ist nur 24 Kilometer lang, aber fließt ab der Quelle durch extrem dicht besiedeltes Gebiet. Vor allem Leder- und Dosentomatenfabriken schossen hier aus dem Boden. Gleichzeitig stellte die Landwirtschaft auf Intensivierung um. Es wird viel gespritzt. Was wo genau passiert, man weiß es nicht. Was man weiß: Am Ende landen Unmengen an Pestiziden und Industrieabwässer in den Kanälen des Sarno. Aldo Padovano stammt aus dem Sarno-Becken, viele wollen weg von hier. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, es ist Camorra-Gebiet.

Aldo war auch weg, aber ist zurückgekehrt. Er arbeitet als Journalist und Umweltaktivist. Wegen der Armut hier trauten sich Politik und Polizei nicht, gegen die industrielle Verschmutzung vorzugehen, erzählt er: "Wenn du einen ganzen Industriezweig wegen Verschmutzung lahmlegst, dann wissen tausende Arbeiter:innen zu nicht mehr, wie sie über die Runden kommen."

Dabei leben hier circa 750.000 Menschen auf engem Raum am Sarno oder an einem seiner vielen Kanäle. Und sind einer permanenten Gefahr ausgesetzt. In Scafati treffen wir weitere Mitstreiter:innen. Carmine Ferrara hat an einer Forschung mitgewirkt, die die Tierwelt des Sarno untersucht hat. Am Beispiel von Fröschen, weil sie viel mit dem Schlamm in Kontakt kommen: "Wir haben Missbildungen gefunden, einen Frosch mit drei Hoden, haben DNA-Schäden festgestellt, d.h. die Umweltverschmutzung wirkt sich sehr schnell auf die Gesundheit der Menschen aus. In diesem Gebiet gibt es ein hohes Aufkommen an Atemwegserkrankungen, von Lungenerkrankungen und Asthma."

Lauter Protest, der langsam Wirkung zeigt

Die Aktivist:innen fordern jetzt den ökologischen Notstand auszurufen. Denn Behörden und Verwaltungen seien extrem ineffizient. Viele Ortschaften haben bis heute keine Kläranlage, Toilettenwasser von schätzungsweise circa 500.000 Menschen fließt direkt in den Fluss. Und bei Starkregen läuft das Sarno-Wasser dann über. Dabei wurden nach Schätzungen der Aktivisten seit den 80er Jahren 1,4 Mrd. Euro für den Bau von Kläranlangen hier ausgezahlt. Ein Großteil veruntreut, denken hier viele, von denen nur wenige vor der Kamera mit uns sprechen wollen. Jetzt soll Hilfe aus Rom kommen. "Dies ist versuchter Mord. Und es reicht nicht aus, Verwaltungsstrafen zu verhängen, sondern man muss die Kontrollen verstärken und die Strafen verschärfen."

Italien: Chlor, Arsen, Quecksilber, Fäkalien und Pestizide werden seit Jahrzehnten im Sarno entsorgt
Italien: Chlor, Arsen, Quecksilber, Fäkalien und Pestizide werden seit Jahrzehnten im Sarno entsorgt | Bild: WDR

Die Polizei kündigt unterdessen eine härtere Gangart an: erstmals ist sie systematisch gegen die Verschmutzung des Sarno vorgegangen. Das Ergebnis: Mehr als 60 Prozent der Betriebe haben ungeklärtes Abwasser eingeleitet. Einige wurden erstmals vorübergehend zugesperrt, erstmals kam es zu zehn Verhaftungen wegen Umweltverstößen. Die Razzia habe alle Vorwürfe der Umweltaktivisten im Kern bestätigt, erklärt der Chef der Einheit für Umwelt-Vergehen: Die Mafia spiele bei der Flussverunreinigung keine Rolle, die Fabriken wollten offenbar die Klär-Kosten sparen.

Die Industrie steht nun unter Dauerbeobachtung und auch in den Rathäusern werde geprüft, wo der Großteil der 1,4 Mrd Euro für die Kläranlagen gelandet ist. "Es ist nicht sehr schwierig. Es braucht Geduld und Zeit. Und wir haben sowohl Geduld als auch Zeit", sagt Pasquale Starace, Kommandeur der Carabinieri NOE Neapel.

Die Geduld von Aldo schwindet indessen. Wir sind an der Mündung des trüben und über riechenden Sarno in den Golf von Neapel: "Ich fühle mittlerweile eher Resignation als Wut. Ich bin mit diesem Fluss aufgewachsen, so schmutzig wie er ist, und ich erlebe ihn weiterhin so und werde ihn wahrscheinlich auch in Zukunft so erleben. Weil ich weiß, dass ich nur bis zu einem gewissen Maße etwas ausrichten kann."

Bis sich etwas ändert, wird wohl noch viel vergiftetes Wasser vom Sarno ins Mittelmeer fließen.

Autor: Rüdiger Kronthaler/ARD Studio Rom

Stand: 21.11.2021 20:35 Uhr

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