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Japan: Lust und Leidenschaft – speziell für Senioren

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Japan: Lust und Leidenschaft speziell für Senioren | Bild: ARD

Wochenende in Tokio, doch er kennt weder Rast noch Ruh: Mit seinen 80 Jahren ist Shigeo Tokuda wohl das, was man einen rüstigen Rentner nennt. Es zwickt ein wenig im Knie, aber ansonsten - ein ganzer Mann.

Shigeo Tokuda
Shigeo Tokuda | Bild: Bild: BR

Shigeo Tokuda, Rentner: "Von der jungen Generation heißt es ja, sie habe keinen Sex mehr. Das ist wohl ein Trend. In Japan nennt man sie 'Vegetarier' oder so, weil sie keine fleischliche Lust mehr haben. Mir macht es Mut, dass ich auch im Alter noch gebraucht werde. Deshalb gebe ich mir Mühe und versuche, in Form zu bleiben."

Die Senioren sind keine "Vegetarier"

Tokuda ist kein "Vegetarier". Das wird er uns noch allen beweisen.

Währenddessen: Einchecken zur Dating-Party des Seniorenklubs "Sanko": 10.000 Mitglieder japanweit. Hier und heute flirten 200 – und Thema Nummer eins sitzt mit am Tisch.

Shizuka Koshikawa, 72 Jahre alt, ist Mitglied im Seniorenbegegnungsverein "Sanko": "Die Lebenserwartung steigt. Die Senioren sind gesund, fit und aktiv beim Sex – oft ganz unverbindlich, auch bei meinen Freunden. Und die sind alle Ende 70."

In Japan geht es traditionell lockerer zu: Shintoismus und Buddhismus, das heißt: mehr Vergnügen, weniger moralischer Ballast. Christliche Gewissensbisse? Fehlanzeige!

Witwer Yasuo Shiota, 68 Jahre alt, sagt, er habe drei Freundinnen: "Ich mag Sex. Und Gartenarbeit. Und rumfahren mit meinem Sportwagen. Wenn’s heute klappt, geht’s erst ins Café und dann ab ins Hotel."

Taeko Makita
Taeko Makita | Bild: Bild: BR

Taeko Makita, 66 Jahre alt, ist geschieden sieht das aber als große Chance: "Ich möchte gar keine Ehe, lieber eine unverbindliche Partnerschaft, einen Freund, mit dem ich eine schöne Zeit haben kann. Meine verheirateten Freundinnen beneiden mich um meine Freiheit."

Der Libido auf der Spur

Natürlich ist auch in Japan nach Jahren der Ehe häufig mal die Luft raus. Jung und Alt werden dann erfinderisch und taumeln in die Fänge der legendären Sexindustrie. Die hat immer Lust. Das in weiten Teilen der Gesellschaft geduldete Außer-Haus-Angebot ist ein Multi-Milliarden-Euro-Geschäft. Wer aber auch jenseits der Rente noch daheim das Feuer schüren möchte, dem reicht Japan diesen Video-Dauerbrenner mit wichtigen Tipps, Tricks und Techniken für die zweiten Flitterwochen – und alles noch viel detaillierter als wir es hier je zu zeigen wagten.

Moderne Erotik ist digital. Doch Japans Senioren mögen’s lieber analog. In Shinjuku hat ein Verlag seit 34 Jahren ein publizistisches Fossil im Programm, den "Sexlife Report"; kommt alle zwei Monate, auf Papier, mit erotischen Geschichten – und zwar die der Leser, verfasst von Hand mit der Post

Tetsuro Sakuiragi
Tetsuro Sakuiragi | Bild: Bild: BR

Tetsuro Sakuiragi, Redakteur "Sei-seikatsu Hokoku": "Die Geschichten sind nicht fiktiv, sondern echt. Und darum geht es uns. Auch viele Frauen schreiben. Eine 60-jährige Hausfrau erzählte gerade von ihrem Seitensprung."

Beamte, Lehrer, Landwirte, Damen so wie Herren, die ältesten fast 90: Alle haben was zu erzählen – ohne Tabus.

Die jungen Japaner haben keine Phantasie

Tetsuro Sakuiragi bedauter allerdings den Generationenwandel: "Schade, dass junge Leute Erotik und Sex nur noch sehr direkt erleben über Fotos und Videos. Denn nur beim Lesen ist doch noch Raum für Phantasie."

Davon brauchen wir jetzt nicht so viel, 70 Kilometer westlich von Tokio. Treffpunkt: mitten im Wald. Shigeo Tokuda, der rüstige Rentner, ist auch da. Das verlassene, verwunschene Haus da drüben: Tatort eines Erotikfilms. Und Tokuda ist mit 80 Jahren Hauptakteur – der wohl älteste Pornodarsteller der Welt.

Shigeo Tokuda
Shigeo Tokuda | Bild: Bild: BR

Shigeo Tokuda: "Meine Frau weiß nicht so genau, was ich hier mache, glaube ich jedenfalls. Ich sage immer, dass ich als Statist auftrete, auch in Erwachsenenfilmen. Sie sagt dann: 'Du bist nicht mehr der Jüngste, denk’ daran.' – 'Hai!' – 'Ja', sage ich dann, 'du hast ja recht.' Es ist sinnlos, darüber zu streiten. Das würde die Situation ja auch nicht verbessern."

Das ist Japan: Weniger Fragen, weniger Konflikte. Privat ist privat.

Boombranche Alterserotik

Vor 20 Jahren besucht Tokuda aus Interesse die Produktionsfirma, ihm gefällt der Stil der Filme. Da fragt ihn der Regisseur, ob er nicht mal mitspielen will. Und Tokuda will: In der Boombranche Alterserotik bedient er das reife Publikum. Eigentlich mag er auch lieber ältere Gespielinnen. Aber das kann er sich nicht aussuchen. Das Pornobusiness ist nicht zimperlich. Die Dame heute ist Anfang 20, verdient gut und hat nichts gegen betagte Darsteller.

Tsugumi Muto, Erotikdarstellerin: "Das Angenehme ist, dass sie die Mädchen besser und vorsichtiger behandeln. Man sieht Pornos heute positiver als früher. Meine Freundinnen freuen sich für mich. Keine hat gesagt, ich solle das nicht tun."

Und auch Tokuda macht weiter. Er genießt Kultstatus. Sein Körper ist sein Kapital. Und Lust die beste Medizin fürs Alter.

Shigeo Tokuda: "Ich bin Rentner. Da hat man immer weniger Kontakt zur Außenwelt. Bei den Filmaufnahmen aber lerne ich laufend neue Schauspielerinnen kennen. Das ist das Schöne an der Arbeit."

Beim Speed-Dating finden sich die Paare

Im Hotel Tobu brennt jetzt die Luft. Der Seniorenbegegnungskreis "Sanko" flirtet sich Richtung Höhepunkt beim Speed-Dating – ein zermürbender Marathon. Wer einen Favoriten hat, hinterlegt den Namen beim Moderator. Herrscht gegenseitige Sympathie, werden die Pärchen rausgewunken. Frau Makita steht hoch im Kurs, zum Beispiel bei Herrn Yokoyama.

Taeko Makita: "Gut, dass ich noch jemanden gefunden habe."

Mitsuo Yokoyama (65): "Nachher gehen wir ins Café."

Auch Shiota, der alte Casanova, hat ein Match. Schon redet er vom Badebesuch im Onsen. Und ins Hotel will er ja auch noch...

Henry Tsukamoto
Henry Tsukamoto | Bild: Bild: BR

Es scheint, als laste nun die gesamte japanische Libido auf Tokudas Schultern. Der Regisseur holt das Letzte aus ihm raus. Und Henry Tsukamoto, selbst 72 und Großmeister der Alterserotik, lässt auch beim Ambiente Sorgfalt walten: Tatami-Matten, Schiebewände, viel Holz, viel Nostalgie. Er versetzt den Zuschauer in die Showa-Zeit, die Zeit des verstorbenen Kaisers, die Nachkriegszeit.

Henry Tsukamoto, Regisseur, FA Productions: "Damals gab es nicht mal genug zu essen. Aber die Menschen haben überlebt. Diese Leute sind heute noch hungrig, auch auf Sex. Sie sind lebensfroh, und wer lebensfroh ist, der ist auch sexuell noch aktiv."

Paradebeispiel Tokuda, der abgekämpfte Heros des Eros. Zum Nachspiel eine Lektion fürs Leben und alle Altersgenossen.

Shigeo Tokuda: "Es ist sehr wichtig, nicht schüchtern zu sein. Man muss interessiert bleiben am Leben und darf sich nicht schämen. Das muss man ablegen und tun, was einem gefällt. Denn die Zeit ist sowieso viel zu kurz."

Autor: Uwe Schwering, ARD Tokio

Stand: 09.07.2019 03:49 Uhr

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