SENDETERMIN Mo., 03.08.15 | 04:50 Uhr | Das Erste

Mazedonien: Auf der Flucht

PlayFlüchtlinge
Mazedonien: Auf der Flucht | Bild: ARD

Ihre Flucht hat sie durch Länder in Krieg geführt. Sie hatten den Tod vor Augen, als sie von Libyen aus in maroden Schlepperbooten das Mittelmeer überquerten. Sie sind in Griechenland gelandet, Hilfe haben sie dort kaum gefunden. Sie haben sich bis nach Mazedonien durchgeschlagen. Auch das ist nur eine Durchgangsstation.

Überall, wo sie gerade ankommen, fühlen sie sich nicht erwünscht. So schnell es irgend geht, wollen sie weiter in den Norden Europas. Ihre Flucht ist noch nicht zu Ende. ARD-Korrespondentin Susanne Glass (ARD Wien) über Menschen, die in Europa gestrandet sind und sich im Nirgendwo fühlen.

Im Niemandsland, zwischen Griechenland und Mazedonien. Bei 41 Grad im Schatten. 500 bis 1.000 Menschen kommen hier jeden Tag an. Die meisten stammen aus Syrien. Sind auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg. Mit Hilfe von Schleppern haben sie es übers Meer bis nach Griechenland geschafft. Die Griechen haben sie durchziehen lassen. Genauso überfordert mit der Situation, wie nun die Mazedonier. "Wir kommen aus der Nähe von Damaskus." Der Gruppenältester legt ihm die Hand auf die Schulter, spricht syrisch. "Er meint, ich soll die Hauptsache erzählen. Nämlich wie schwer und gefährlich die Wasser ist, da sterben viele Leute." Haben Sie hier Kinder? "Er hat hier keine Kinder." Und Sie? "Ich habe hier zwei kleine Töchter hier. Das ist eine und das ist die zweite andere."

Diese Menschen brauchen Hilfe

Sechs und sieben Jahre alt sind sie. Seine Frau, schämt sich, ein Flüchtling zu sein. Die mazedonische Polizei lässt sie in kleinen Gruppen weiterziehen. Die Namen auf der Liste des Gruppenältesten sind bei vielen der einzige Beweis für ihre Existenz. Ihr Flüchtlingsboot war vor Griechenland gekentert. Sie wurden im letzten Moment gerettet. "Wir sind 33 Leute, mehr als 80 Prozent haben die Papiere im Wasser verloren, das Geld, die Sachen…" "Macht ja keinen Sinn nach Papieren zu fragen", sagt ein mazedonischer Polizist. "Das sind arme Menschen. Die brauchen Hilfe."

Verwahrloste Zustände herrschen an den Bahnhöfen, wo Flüchtlinge auf die Züge zur Weiterreise warten
Verwahrloste Zustände herrschen an den Bahnhöfen, wo Flüchtlinge auf die Züge zur Weiterreise warten | Bild: SWR

Fast alle erzählen ähnliche Schicksale. Fast alle haben Angehörige im Bürgerkrieg verloren. Mohamed ist der gute Geist der Gruppe. Hat für den Notfall Medikamente für alle dabei. Er war vor dem Krieg ein wohlhabender Eisenwarenhändler. Etwa zwei Kilometer sind es bis zum nächsten Bahnhof. Dass sie ohne Papiere so offen durch Mazedonien ziehen können, liegt an dem Gesetz, das die Regierung in Skopje im Juni verabschiedet hat. Drei Tage dürfen sich Flüchtlinge frei innerhalb des Landes bewegen. Der Sprecher des Innenministeriums sagt, das Flüchtlingsproblem könne das kleine, arme Mazedonien nicht stellvertretend für die EU lösen. "Aber wir haben mit dem Gesetz nun wenigstens dafür gesorgt, dass die Flüchtlinge nicht mehr Freiwild für Menschenschmuggler sind. Die Zahl der Überfälle auf Flüchtlinge und auch die Unfälle sind stark zurückgegangen. Eben die gesamte Kriminalität im Umfeld der Menschenschmuggler."

Die Nerven sind am Ende

Unsere Gruppe ist inzwischen in der Grenzstadt Gevgelija angekommen. Unterwegs haben sie sich verlaufen. Waren eine Stunde in der Gluthitze unterwegs. Die junge Mutter taumelt, fast rutscht ihr das Baby aus den Händen. Im letzten Moment kann sie es abgeben. Sie sind alle mit den Nerven am Ende. Nach neun Monaten auf der Flucht. Leben auf der Straße. Warten auf heruntergekommenen Bahnhöfen wie diesem. Auf den Zug in Richtung Serbien. Was Ihnen vom alten Leben geblieben ist, passt in eine Tasche. Auch er bricht am Bahnhof zusammen.

Mohammed sorgt sich jetzt, ob er es mit einer so geschwächten Gruppe in den nächsten Zug nach Tabanovce schafft, nach Norden, zur serbischen Grenze. Der Zug soll am Nachmittag kommen, zur heißesten Zeit des Tages. In Gevgelija trifft Elend auf Elend. Das der syrischen Flüchtlinge auf das der mazedonischen Roma, die in den Häusern am Bahnhof leben. Die meisten dieser Roma würden selbst gerne in Westeuropa Asyl als Schutz vor ihrer Armut erhalten. Manche haben es schon vergeblich versucht.

Überwiegend Familien und viele Kinder

Jetzt machen sie kleine Geschäfte mit den Flüchtlingen. Wollen dabei aber nicht gefilmt werden. Sie verkaufen ihnen Strom zum Aufladen ihrer Handys. Am Bahnhof gibt es auch die Durchreisepapiere, gültig für drei Tage. Dabei stellt sich heraus: Die sind eigentlich gar nicht mehr nötig. Niemand kontrolliert die Durchreisenden noch. Jasmin Rexhepi, dessen Hilfsorganisation seit langem in der Region aktiv ist, verteidigt das Vorgehen der mazedonischen Behörden. Strengere Personenkontrollen seien nicht möglich und nicht nötig. "Wir haben es hier doch überwiegend mit Familien und vielen Kindern zu tun. Die sind auf der Flucht vorm Assad-Regime und vor den Kämpfern des Islamischen Staates in Syrien. Die Befürchtung, dass unter diesen Menschen IS-Kämpfer sein könnten, die so nach Europa wollen, halte ich für praktisch ausgeschlossen. Diese Menschen fliehen vor dem IS. Während, wie wir ja auch wissen, umgekehrt, viele IS-Kämpfer aus Europa oder den USA kommen. Also gültige Papiere besitzen, mit denen sie ganz legal reisen können."

hunderte von flüchtlingen wollen den zug an einem bahnhof in mazedonien besteigen, um weiter reisen zu können
Dichtes Gedränge: Hunderet Flüchtlinge wollen endlich weiterreisen können | Bild: SWR

"Wir haben Croissant bekommen, Wasser, Schokolade…" sagt ein Flüchtling. Schließlich trifft die Gruppe eine Entscheidung. Einige sind noch zu geschwächt für die fast vierstündige Zugfahrt in der Nachmittagshitze. Sie versuchen also erst gar nicht, es in den jetzt einfahrenden Zug und die brütend heißen Wagons zu schaffen. Mohamed will unbedingt weiter. Er ist an diesem Morgen aus Griechenland in Mazedonien angekommen. Er ist 16 und allein unterwegs. Zu einem Onkel nach Schweden. Noch am selben Abend wird er das kleine Land wieder verlassen. Wie fast alle der Flüchtlinge. "Und ich wünsche mir, dass ich in Schweden auch bald meinen Bruder, meine Mutter und mein Vater bei mir haben."

Aber bis dahin ist es noch eine weite, sehr ungewisse Reise. Für alle hier. Die davon träumen, dass sie irgendwann, irgendwo in Frieden und Sicherheit leben können.

Stand: 09.07.2019 01:12 Uhr

1 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.

Sendetermin

Mo., 03.08.15 | 04:50 Uhr
Das Erste

Produktion

Südwestrundfunk
für
DasErste