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Mexiko: Tod nach Therapie

PlayFrau mit Foto von Kind
Mexiko: Tod nach Therapie  | Bild: SWR

Der vierjährige Gael hatte gute Überlebenschancen. Mindestens 80 Prozent schätzten Ärzte. Gael hatte Leukämie und bekam eine Chemotherapie verschrieben. In einem staatlichen Krankenhaus in der Hafenstadt Veracruz in Mexiko. Doch schon wenig später wurde der Krebs immer aggressiver, Gael starb. Wie sich später herausstellte, war das Medikament, das im Krankenhaus verabreicht wurde, gefälscht und völlig unwirksam.

Gael ist kein Einzelfall. Hunderten von krebskranken Kindern wurde das falsche Medikament verabreicht. Arzneimittelfälschungen werden in Mexiko immer häufiger. Sie sind für Mafia-Organisationen ein profitables Geschäftsfeld. Im Bundestaat Veracruz waren offensichtlich sowohl ein Ex-Gouverneur, mehrere Minister und staatliche Beamte Teil des illegalen Netzwerkes. Viele sprechen sogar davon, dass der Staat selbst zur kriminellen Organisation verkommen ist.

Wasser statt Medizin

Ärmliche Hütte
Hier trauert Familie Vazquez Ortega um ihren Sohn.  | Bild: SWR

Die Ostküste von Mexiko. Ein Vorort von Veracruz. Ein paar Steinhäuser, viele improvisierte Hütten.  In dieser lebt Familie Vazquez Ortega und trauert um den kleinen Gael. Er starb 2015 an Blutkrebs im Krankenhaus. "Hier war er vier", erzählt Diana Vazquez Ortega und zeigt Fotos. "Ein lebhafter Junge, dem es Spaß machte mit seinen Freunden zu spielen. Das ist Gael – etwa einen Monat bevor ich ihn zum letzten Mal in die Klinik brachte."

Hier, in einem der größten staatlichen Krankenhäuser der Hauptstadt von Veracruz, sollte der Sohn von Diana Vazquez Ortega wieder gesundwerden. Die Chancen für den Vierjährigen standen gut. Der leukämiekranke Junge sollte ein Jahr lang eine Chemotherapie bekommen. "Damals sagte der Arzt, er würde mit einer neuen Behandlung anfangen", sagt Diana Vazquez Ortega. "Er sagte, es gebe ein neues Medikament." Doch trotz der Chemotherapie mit dem neuen Krebsmedikament verschlechterte sich die gesundheitliche Verfassung des kleinen Patienten rapide, berichtet Gaels Mutter, die eine Ausbildung zur Krankenschwester macht. "Danach wuchs der Tumor wieder und wurde doppelt so groß. Der Tumor wurde mit der Chemotherapie immer aggressiver. Die ganze Therapie blieb ohne Wirkung."

ex-Gouverneur Javier Duarte
ex-Gouverneur Javier Duarte | Bild: SWR

Gael hat nicht überlebt. Erst nach seinem Tod wird bekannt, dass mehr als 700 Kinder bei denen Krebs diagnostiziert wurde, statt einer Chemotherapie Wasser verabreicht bekommen haben sollen.  Die Staatsanwaltschaft ermittelt – ob auch gegen Klinikpersonal, ist nicht bekannt. Der damalige Gouverneur von Veracruz, Javier Duarte, wird im April festgenommen. Der Verdacht der Ermittler: der Gouverneur sei Mitwisser und habe sich mit anderen Spitzenpolitikern an gefälschten Medikamenten selbst bereichert. Während er in Untersuchungshaft sitzt, offenbart sein Nachfolger Miguel Ángel Yunes: "Nun liegen uns die Ergebnisse der Laboruntersuchungen vor. Sie zeigen, dass das Medikament, das an die Kinder als Chemotherapie verabreicht wurde, eine wirkungslose Fälschung war. Es war letztlich destilliertes Wasser. Wir betrachten das als Verbrechen, als Angriff auf das Leben dieser Kinder."

Ein kriminelles Netzwerk bis hin zum Gouverneur

Arzt am Schreibtisch
Alejandro Mohar Betancour, Onkologe | Bild: SWR

Im Nationalen Mexikanischen Krebszentrum ist der leitende Onkologe immer noch fassungslos: "So etwas in der Größe, wie jetzt in Veracruz, haben wir noch nie im Gesundheitswesen von Mexiko erlebt", sagt Alejandro Mohar Betancourt. "Und ja, es ist eine Tragödie, die jede medizinische Dimension überschreitet: Eine Familie mit einem an Leukämie erkrankten kleinen Kind, das 80 Prozent Überlebenschancen hat, muss jetzt mit dem Gedanken leben, ihr Kind ist gestorben, weil ihm nur Wasser verabreicht worden ist. Es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit."

Auch Mitarbeiter dieser staatlichen Krebsklinik in Xalapa sollen an dem Geschäft mit gefälschten Medikamenten beteiligt gewesen sein, ebenso wie Angestellte des Gesundheitsministeriums von Veracruz, so die Erkenntnisse von Ermittlern und Wissenschaftlern: "Arzneimittelfälschung ist eines der profitabelsten Geschäftsfelder überhaupt" erklärt Edgardo Buscaglia, Kriminalitätsforscher von der Columbia Universität in New York. "Darin verwickelt sind Privatunternehmen ebenso wie Beamte, die Teil des Organisierten Verbrechens sind. Das ganze kriminelle Netzwerk, das in den Handel mit Arzneimittelfälschungen verwickelt ist, geht hinauf bis zur Regierungsspitze – zu Gouverneur Duarte und im Fall Veracruz zu vielen Ministern unter der Regierung Duarte. Es handelt sich also um eine kriminelle Organisation, in der der Staat selbst zur kriminellen Organisation wird. Das betrifft leider ganz Mexiko. Und die Fälle, die jetzt in Veracruz bekannt werden, sind nur die Spitze des Eisbergs."

Immer mehr Arzneimittelfälschungen

Apothekerin mit Kundin in Apotheke
Auch in Apotheken werden gefälschte Arzneimittel verkauft.  | Bild: SWR

Für die Familie des kleinen Gael kommt zu der Trauer der Verlust an Vertrauen in die Ärzte und den Staat. "Es tut sehr weh, weil man wirklich nicht mit so etwas rechnet", klagt Diana Vazquez Ortega. "Abgesehen davon, dass man den ganzen Prozess durchgemacht hat, ist man nie darauf vorbereitet und bereit diese Person, die dein Leben geworden ist, sterben zu sehen." Nicht nur Medikamente für Chemotherapie sollen mit Wissen und Billigung der Regierung in Umlauf gebracht worden sein. Es wäre nicht das erste Mal, dass Arzneimittelfälschungen in mexikanischen Apotheken im Handel sind. "Die Zahl der Fälle von Medikamentenfälschungen wird immer größer in Mexiko", sagt Edgardo Buscaglia. "Jeder Bürger hier sollte sich dessen bewusst sein, dass das Risiko groß ist, in einer Apotheke gefälschte Medikamente zu bekommen und zwar jede Art von Medikamenten." Kann man einem Krankenhaus und den Medikamenten noch vertrauen? Der Skandal hat die Patienten tief verunsichert. Nicht nur in Mexiko.

Ein Film von Daniel Harrich und Thomas Reutter

Stand: 16.07.2019 03:17 Uhr

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