So., 03.11.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Michigan: Wen wählt die Arabische Community?
Sonntag Morgen, 7 Uhr. Das ist die Gemeindeküche der größten Moschee der USA. "Jetzt backen wir Brot. Wir kommen jeden Sonntag so früh", erzählt Alex Hamdan. Die meisten sind konservative Schiiten und haben einen engen Draht in den Libanon, vor allem in den Süden und sie sind amerikanische Staatsbürger. "Das ist eine gute Gelegenheit, zu zeigen, dass wir da sind und eine Stimme haben. Wir versuchen unsere Leute zu ermutigen, zu wählen", sagt er weiter. "Und haben Sie schon gewählt?" "Noch nicht. Werd ich aber." Fast keiner verrät uns, was er wirklich wählt. "Unser Geld kommt nicht bei unseren Leuten in Amerika an. Es geht aus dem Land raus. Da ist nicht genug Geld im System. Aber genug, um Kinder zu töten. Das ist nicht richtig", findet Susi.
Nahost als zentrales Wahlthema
Sehr bewusst spricht Donald Trump in den letzten Tagen vor der Wahl Muslime in Michigan an. In Detroit steht er mit muslimischen Führern auf der Bühne. Am Rednerpult Sheikh Azuhairi aus Dearborn! Und genau der empfängt uns ein paar Tage später. In seiner Sofalandschaft. Der Moment mit Trump auf der Bühne – der lebt in ihm: "Als ich die Masse sah und diese Liebe, da sprach ich zu ihnen. Als ich die Bühne verlassen wollte, kam ich nicht zur Tür durch, weil alle meine Hand schütteln wollten." "Aber Trump will ein Einreiseverbot für Muslime. Stört Sie das nicht?" "Ich selber glaube nicht, dass das passieren wird. Araber, Syrer, Libanesen, wir Jemeniten – alle sind für ihn. Weil er Frieden verspricht."
Die Hoffnung auf Frieden spielt in Dearborn, so nennt man die arabische Hauptstadt der USA, eine zentrale Rolle. Bislang wählten viele Muslime in der Stadt demokratisch. Doch dieses Mal könnte alles anders sein. Der Krieg im Nahen Osten – auch mit amerikanischen Waffen – das verzeihen die Wenigsten den Demokraten. Sam Hammoud ist körperlich anwesend. Seine Gedanken sind im Libanon: "Ich hab da Familie. Mein Vater ist dort. Wir versuchen ihn rüberzuholen. Er ist ja US-Bürger. Vor drei Wochen haben sie sein Apartment zerstört. War im sechsten Stock. Jetzt ist das Bett auf der Hauptstraße." Was wird Sam wählen? "Ich wähle, was für meine Leute am besten ist. Und die einzige, die sagt, das ist ein Genozid, der da im Nahen Osten passiert und dieser Krieg muss enden, das ist Jill Stein", sagt er.
Jill Stein kandidiert für die grüne Partei. Ihr Hauptthema ist mittlerweile der Nahe Osten. Hier in Dearborn ist sie entsprechend populär. Stimmen für sie könnten den Demokraten am Ende fehlen. Nicht nur Trump, auch Harris reist fast zeitgleich Michigan. Tausende von Menschen kommen nach Ann Arbor, um sie zu hören. Bloß irgendjemanden aus der arabischen Gemeinde sehe ich nicht – mit einer Ausnahme. "Ihr seid ein bisschen einsam hier, ne?" "Hier ist es ganz schön weiß. Das ist natürlich bedeutend und ein Problem. Ich wünschte, sie würde den Nahen Osten mal mehr ansprechen. Was ihre Pläne dort sind", erzählen Lela und Benjamin Rashid.
Konflikte innerhalb der Community
Dearborn könnte in Michigan das Zünglein an der Waage sein. Und jetzt kommt auch noch al Jazeera in die Stadt. Demokratische und republikanische Politiker sollen mit Wählern diskutieren. Die Republikaner vertritt der erfahrene Wahlkampfhelfer Dr. Bahbah, der bis zum Nah-Ost-Krieg noch Demokrat war. Kurze Frage im Backstage: "Was ist ihr wichtigster Punkt?" "Noch vier Jahre Harris könnte Gaza völlig zerstören. Das werde ich stoppen", sagt er. Dr. Bahbah kennt Trump mittlerweile persönlich und wirbt für ihn: "Ich habe zu ihm gesagt: Mister Präsident. Ich sage es noch einmal zu ihnen im Namen der Menschen, die täglich in Gaza und Libanon getötet werden: Um Gottes Willen, tun sie etwas! Er sagte, ich werde das Töten stoppen."
Bahbah vertraut Trump. Sheikh Azuhairi auch. Viele, mit denen wir in Dearborn sprechen, glauben ihm und stellen kaum Fragen. In der schiitischen Moschee fordert der Imam seine Leute auf, geschlossen aufzutreten, damit die arabische Stimme Gewicht bekommt. Seine Wahlempfehlung ist erstaunlich konkret: "Jede Stimme zählt! Lasst uns Amerika wieder groß machen! Make America great again." Es dauert einen kleinen Moment, dann regt sich aber Widerstand gegen diese Wahlempfehlung. Eine ältere Dame sagt: "Sie zerstören unser Land. Wir können doch keinen von denen wählen. Das ist nicht richtig." "Deine Stimme ist wichtig. Es ist dein Recht zu wählen. Wenn du nichts wählst, gibst du das Recht aus der Hand", findet Mirvat und eine Frau sagt: "Mein Bruder ist tot. Alles zerstört. Mein Dorf. Mein Land. Und Trump hat Netanyahu gesagt: Geh und töte sie. Trump hat ihm das gesagt!"
Alle sind betroffen. Trump hat Netanyahu noch im späten Oktober Rückendeckung für sein Vorgehen gegen Hamas und Hisbollah signalisiert. Von Frieden sprach er auch. Jeder hört, was er hören will. Dann kommt Trump tatsächlich nach Dearborn. Und er scheint den Menschen, auch jenen, die wir getroffen haben, das zu geben, worauf sie gewartet haben: Aufmerksamkeit.
Autoren: Isabel Schayani/Marie Claudet
Stand: 03.11.2024 20:12 Uhr
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