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Frankreich: Atomarer Schwindel

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Frankreich: Atomarer Schwindel - Unser Nachbar bleibt weiter radio-aktiv | Bild: NDR
Autor Michael Strempel an einem Atomkraftwerk in Frankreich
Autor Michael Strempel mit seinem Team an einem Atomkraftwerk in Frankreich. | Bild: NDR

Das Rhônetal ist Weinland und Atomland. Nirgendwo sonst in Frankreich ballen sich so viele Atomanlagen. Und die französische Atompolitik treibt manchmal so herrlich skurrile Blüten. Zum Beispiel bringt sie Krokodile hervor. Die Riesenechsen sind die wohl ungewöhnlichste Touristenattraktion im südlichen Rhônetal. Ohne die Atomfabriken wären sie nicht hier. Die Krokofarm wird mit Fernbwärme aus einer Atomanlage betrieben.

Ein neues Öko-Image muss her

Windrad in der Sonne
Windrad in der Sonne Frankreichs. | Bild: NDR

Spätestens seit Fukushima halten auch vielen Franzosen die Atomkraft für gefährlich. Das hat auch die Industrie gemerkt. Ein neues Öko-Image muss her. Das passt es gut, dass die Krokofarm von Pierrelatte neuerdings mit Biogas beheizt wird. Ein paar Hundert Meter weiter wird jetzt Holz zu Biogas. Das wärmt nicht nur die Krokodile, sondern auch etliche französische Nachbarn. Simpler Grund: Die benachbarte Atomfabrik wurde modernisiert, Fernwärme fiel weg. Dafür kam die Biogasanlage. Und wer hat die gebaut? Der Atomkonzern Areva.

"Diese Anlage soll die Atomenergie nicht ersetzen, sondern ergänzen“, erklärt Hubert Lhoir, Direktor der Biogasanlage. Ob der französische Staat eine starke Reduzierung der Atomenergie wirklich umsetzen kann ist eine ganz andere Frage." Erneuerbare Energien, so scheint es, sollen in Frankreich vor allem die Atomkraft ökologisch korrekt einrahmen. Das Motto: alles gleich gut für das Klima! Von Atomausstieg keine Spur.

"Wir glauben fest an die Zukunft der Atomenergie"

Autor Michael Strempel im Interview mit Frédéric de Agostini, Direktor der Atomfabrik Tricastin.
Autor Michael Strempel im Interview mit Frédéric de Agostini, Direktor der Atomfabrik Tricastin. | Bild: NDR

Tricastin ist die größte Atomfabrik Europas. Eigentlich sind es mehrere Fabriken. Sie produzieren Atombrennstäbe. Wir nähern uns einem Hochsicherheitstrakt und merken auch gleich, welche Spielregeln hier gelten: Das Sicherheitspersonal darf nicht gefilmt werden. Wir werden wie eine Touristengruppe freundlich im Minibus über das Gelände kutschiert.

Die Fläche ist so groß wie eine Kleinstadt. Die Fässer, die hier zu Tausenden lagern, dienen dem Transportschutz für Atombrennstäbe. Sie bauen viel Neues, in Tricastin, aber nicht alles dürfen wir filmen. Was überrascht, der Direktor der Atomfabrik gibt persönlich ein Inteview. Das ist ungewöhnlich offen für Frankreichs Atomindustrie. "Wir investieren hier gerade für einen Zeitraum von 40 bis 50 Jahren. Wir glauben fest an die Zukunft der Atomenergie, weltweit", sagt Frédéric de Agostini.

Frankreich ist anders als Deutschland

"Deutschlands Entscheidung, aus der Atomenergie auszusteigen, ist ja ehrenwert, aber in Frankreich wird das anders sein. Wir werden auf die Energiepreise für die privaten Haushalte achten und darauf, dass unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt." Soll die Regierung doch ankündigen, was sie will - der Direktor ist sich sicher: Sein Tricastin wird niemals zum Museum einer ausgedienter Atomproduktion.

Stadtbild wichtiger als Nutzung von Sonnenenergie

Saint Andéol in Südfrankreich
Saint Andéol in Südfrankreich - Solrdächer sucht man hier vergebens. | Bild: NDR

In Saint Andéol ist die Atomfabrik nah, aber doch irgendwie weit weg. Es ist eine typische lichtdurchflutete  südfranzösischen Provinzstädte.  Aber anders in Deutschland gibt es kein einziges Solardach, auch nichts im Umland. Ein Dorfbewohner klärt auf: "Ja, es ist schade, dass wir die Sonnenenergie hier nicht nutzen. Aber wir müssten dafür unser Stadtbild zerstören! Da muss ein Kompromiss gefunden werden. Solarenergie müssen wir an anderen Stellen erzeugen, wo sie weniger stört als in unserem historischen Stadtkern."

Keine Chance also für die Sonne Südfrankreichs? Die neue Regierung hat für Sonnenergie im Stromnetz jetzt ähnlich attraktive Abnahmepreise wie in Deutschland eingeführt, aber genutzt wird das Angebot kaum.

Das Dorf Saint Michel d’Aurance macht es vor

Guillaume Barras aus Saint Michel d’Aurance
Guillaume Barras aus Saint Michel d’Aurance setzt auf Solarenergie. | Bild: NDR

Anders ist dies in dem kleinen Dorf Saint Michel d’Aurance. Hier hat der Installateur Guillaume Barras mit einigen Gleichgesinnten ein Mini-Solarunternehmen gegründet. Die Solarmodule auf dem Dach des Dorfcafés decken schon den Strombedarf von Rathaus, Schule und Kantine. Die bisher 30 Teilhaber der Anlage sind Dorfbewohner - jeder kann mitmachen. Auch Bürgermeister Christophe Volle ist dabei: "Die Mentalität der Franzosen muss sich ändern. Wir müssen uns Energie lokal produzieren, nicht nur zentral wie bei der Atomkraft. Aber 30 Jahre brauchen wir bestimmt, um das System Atomkraft zu ersetzen, an das sich jeder hier so gewöhnt hat."

Die Sonne strahlt wohl noch lange ungenutzt auf die meisten französischen Dörfer und Städte. 30 Jahre? 50 Jahre?

Autor: Michael Strempel

Stand: 22.04.2014 13:55 Uhr

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