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Pakistan: Mädchenschulen heute

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Pakistan: Mädchenschulen heute | Bild: Das Erste
Hadiqa Basheer.
Hadiqa Basheer darf zur Schule gehen. | Bild: NDR

Es ist kurz nach sechs. Hadiqua Basheer macht sich schön für die Schule - jeden Morgen das gleiche Ritual. Das sei ihr wichtig, meint sie. Es stärke ihr Selbstbewusstsein. Die Zwölfährige geht in die sechste Klasse.

Nur wenige Mädchen gehen in die Schule

In der Küche bereiten ihre Eltern und ihre Geschwister währenddessen das Frühstück vor. Ihre Mutter und vor allem auch ihr Vater ermutigen ihre Tochter, zur Schule zu gehen. Im Swat-Tal, nahe der afghanischen Grenze, der Heimat der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai, ist dies keine Selbstverständlichkeit. Nur die wenigsten Mädchen in Hadiquas Alter gehen zur Schule. Viele ihrer Altersgenossinnen werden jung verheiratet, manchmal schon im Alter von sieben oder acht Jahren.

Schulweg nur in Begleitung des Vaters

"Ich möchte unbedingt viel lernen. Geschichte, Mathematik und Englisch machen mir besonders Spaß. Sie machen mich schlauer. Ich will mehr darüber erfahren, was in der Welt passiert", sagt Hadiqua Basheer.

Dann geht es zur Schule. Der Weg ist nicht weit, trotzdem benötigt Hadiqua ihren Vater als Begleitung. Allein als Mädchen auf die Straße gehen - im zutiefst islamisch geprägten Swat nicht möglich.

"Mädchen und Frauen erhebt Eure Stimme"

Hadiqa Basheer liest in einem Buch der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai
Hadiqa Basheer ist stolz, dass Malala Yousafzai den Friedensnobelpreis bekommt. | Bild: NDR

Hadiquas Klasse besteht aus nur drei Mädchen. Sie lernen zusammen mit den Jungen der vierten Klasse. Alle drei Mädchen freuen sich darüber, dass Malala aus dem Swat, den Friedensnobelpreis bekommt. "Wir sind unheimlich stolz auf Malala. Sie hat viel verändert, indem sie uns Mädchen Mut gemacht hat für unsere Rechte einzutreten. 'Mädchen und Frauen erhebt Eure Stimme.' Das ist ihre Botschaft. Und wir eifern ihr nach", erklärt Hadiqua Basheer.

Ein schwieriges Unterfangen im Swat-Tal: Es gilt als Rückzugsraum für die Taliban aus dem Nachbarland Afghanistan. Ihr Einfluss ist groß. Gelebt wird nach strengen Stammesregeln. Die Sicherheitslage ist prekär, überall sind Armee und Polizei vertreten. Deshalb lebt Malala auch im England. Zurückkehren in ihre Heimat wäre für sie zu gefährlich.

"Malala ist ein Geschöpf des Westens"

Mirza Kashif Ali, Präsident eines pakistanischen Privatschulverbandes
Mirza Kashif Ali, Präsident eines pakistanischen Privatschulverbandes, kritisiert Malala. | Bild: NDR

Dazu kommt: Die Schar ihrer Gegner ist groß, auch bei Mädchen in Malalas Alter. "Malala inspiriert mich nicht. Die Leute bewundern sie ohne jeden Grund. Sie hat nichts für den Fortschritt der islamischen Gesellschaft getan", sagt die 18 Jahre alte Schülerin Kiran Khan. Sie geht in die Abschluss-Klasse einer Mädchenschule. Malala lasse Pakistan in einem schlechten Licht erscheinen. Sie sei kein Vorbild.

Das meint auch Mirza Kashif Ali, Präsident eines pakistanischen Privatschulverbandes, der nach eigenen Angaben 150.000 Schulen im Land vertritt. Zusammen mit seinen Lehrer-Kollegen hat er jetzt einen Anti-Malala-Tag ausgerufen, weil sie sich gegen die Verfassung und gegen das religiöse Selbstverständnis Pakistans stelle. "Malala ist ein Geschöpf des Westens. Sie missbraucht unser Land, unsere Religion. Das ist verwerflich."

Hadiquas Kampf gegen Kinderheirat

Hadiqua Bascheer ist da ganz anderer Meinung: Sie ist fasziniert von Malala und ihrem Engagement für Frauen und Mädchen. Und obwohl die Friedensnobelpreisträgerin ihrer Heimat den Rücken kehren musste, leben ihre Ideen hier im Swat weiter. Vor zwei Jahren, gleich nach dem Attentat auf Malala , ergriff Hadiqua die Initiative. Sie gründete die Organisation "Mädchen kämpfen für Menschenrechte." Seitdem treffen sich Hadiqua und ihre Freundinnen einmal pro Woche nach dem Unterricht in einem kleinen Raum nahe der Schule.

Sie möchten vor allem Kinderheiraten verhindern: "Ich kenne viele Fälle: Shabana zum Beispiel wurde mit zwölf verheiratet und zwei Jahre später von ihrem Mann sitzengelassen. Oder Shahida, verheiratet mit sieben. Jetzt ist sie 16, hat ein Baby und ihr Mann hat ihr die Nase abgeschnitten."

Kinderheiraten sind im Swat Tal zu einem Trend geworden. Eine schlimme Entwicklung, findet Hadiqua. Regelmäßig geht sie in Mädchenschulen, hält Vorträge und klärt auf. "Ich möchte Kindern und jungen Mädchen helfen. Das ist meine Mission - ganz im Sinne von Malala. Wir müssen diesen Trend der frühen Heiraten einfach beenden."

Eine schwierige Aufgabe. Sie erfordert viel Mut und viel Kraft, denn die gesellschaftlichen Strukturen im Swat, wie in ganz Pakistan, sind traditionell und konservativ. Nur wenige Mädchen gehen, wenn überhaupt, zur Schule. Dann müssen sie zurück in den Haushalt, werden oft früh verheiratet.

Vater Hussain Bascheer untersützt seine Tochter

Hussain Bascheer, Vater von Hadiqua
Hussain Bascheer, Vater von Hadiqua, unterstützt seine Tochter. | Bild: NDR

Die Familie von Hadiqua weiß, dass Friedensnobelpreisträgerin Malala für ihre Überzeugungen fast mit ihrem Leben bezahlen musste. Und alle, die es ihr gleichtun, leben mit dieser Gefahr. Trotzdem: "Wenn wir die Gesellschaft ändern wollen, müssen wir unsere Töchter in einem viel größerem Umfang und viel länger zur Schule schicken. Wenn unserer Töchter eine gute Schulbildung erhalten, wird das unser Leben positiv beeinflussen", sagt Hussain Bascheer,der Vater von Hadiqua.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg und die konservativen Kräfte im Land gewinnen an Einfluss. Das macht es für Hadiqua nicht leicht, sich zu engagieren. Aber die Zwölfjährige lässt sich nicht entmutigen. Sie will weiter kämpfen - ganz im Sinne von Malala.

Autor: Jürgen Osterhage, ARD-Studio Neu Delhi

Stand: 05.01.2015 09:24 Uhr

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