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Ungarn: Sehnsucht nach dem starken Mann

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Ungarn: Sehnsucht nach dem starken Mann | Bild: NDR
Ungarns Regierungschef Viktor Orban
Ungarns Regierungschef Viktor Orban steht vor der Wiederwahl. | Bild: picture alliance / dpa

Es steht in voller Blüte: Felscut ist Ungarns berühmtestes Dorf. Denn hier ist Regierungschef Viktor Orban aufgewachsen ist. In der Provinz, 40 Kilometer westlich von Budapest.

Am Wochenende vor den Parlamentswahlen zogen in der Hauptstadt fast 500.000 Anhänger durch die Straßen. Viktor Orban ist für sie längst mehr als ein Ministerpräsident - so die Botschaft: Orban ist Ungarn! Ungarn ist Orban!

Über diese Erfolgsgeschichte hätten wir gerne mit dem Bürgermeister von Felscut gesprochen, einem Jugendfreund Orbans. Aber der ist so beschäftigt, dass er keine Zeit für uns hat.

"Er ist so ein super Bursche"

Eine ehemalige Nachbarin von Viktor Orban im Interview.
Im Heimatort von Orban stehen die Menschen hinter ihrem Viktor. | Bild: NDR

Wir gehen allein auf Spurensuche. Im Nachbarort steht Orbans Geburtshaus. Die familiären Verhältnisse waren ärmlich. Die Nachbarinnen erinnern sich noch gut und gerne an den kleinen Viktor: "Sie sind vom deutschen Fernsehen? Ihr wollt doch unseren Viktor nicht schlecht machen oder kränken? Er ist so ein super Bursche! Wie er unser Land gerettet hat, das ist schon was! Ich denke, egal, wen sie hier fragen, alle haben nur eine gute Meinung von ihm."
"Ja, alle sind wir stolz! Auch ich bin stolz auf Viktor!", ergänzt ein Mann.

Und nur wer stolz auf Viktor ist, kann auch stolzer Ungar sein. Darauf hat Orban seine Anhänger eingeschworen: Seine konservative Fidesz Partei habe das Land von den Kommunisten befreit, vor dem Ruin gerettet, erfolgreich gegen Großkonzerne und EU-Bürokraten gekämpft. Und die ungarischen Volksgenossen aus den Nachbarländern symbolisch zurück ins Land geholt - durch die Vergabe von Staatsbürgerschaften.

Fußballakademie und Stadion im Heimatdorf

In Felscut entsteht ein neues Fußballstadion.
In Felscut entsteht ein neues Fußballstadion. | Bild: NDR

Sein Heimatdorf hat der große Fußballfan Orban zum Sitz von Ungarns größter Fußballakademie gemacht. Und mitten in der 1.800-Seelen Gemeinde wird derzeit ein Stadion gebaut, mit 3.500 Plätzen für geschätzt 13 Millionen Euro. Die Baufirma gehört dem Bürgermeister, Orbans Jugendfreund. Die Bauarbeiten begannen gleichzeitig mit einer Gesetzesänderung, wonach die Förderung „spektakulärer Teamsportarten“ steuerlich enorm begünstigt ist. Und Orban wird es künftig nicht mehr weit zum Stadion haben. Es steht direkt neben seinem Wohnsitz in Felcsut.

Auch das Zentrum von Budapest ließ er nach seinen Vorstellungen umgestalten. Der Kossuth Platz vor dem Parlament sieht aus wie vor 1944 - zur Ära des Reichsverwesers Miklos Horthy. Die wird als "große Zeit Ungarns" glorifiziert, weil das Land unabhängig war.

Wahlgeschenk für das Volk

Außer neuem Selbstbewusstsein hat Orban für die Ungarn auch ein konkretes Wahlgeschenk. Private Unternehmen wurden gezwungen, die Wohnnebenkosten um zehn Prozent zu senken. Sie mussten auf den Abrechnungen farblich hervorheben, welche Einsparungen die Strom- oder Gaskunden der Regierung verdanken.

"An das Einparteiensystem sind die Ungarn gewöhnt"

Finanzexperte Laszlo Lengyel
Finanzexperte Laszlo Lengyel schätzt die Lage in seinem Land ein. | Bild: NDR

Solche inszenierten Wirtschafts-Erfolge schätzten die Leute. Meint der Finanzexperte Laszlo Lengyel. "Da stört es sie auch nicht, dass Orban das Land schleichend entdemokratisiert. An das Einparteiensystem sind die Ungarn seit Jahrhunderten gewöhnt. Die Zeiten einer funktionierenden Demokratie sind vermutlich zu kurz gewesen, um sich in den Köpfen zu verfestigen."

Unter denen, die heute für die konservative Partei Fidesz auf die Straße gehen, müssen schon rein rechnerisch einige sein, die vor 1989 noch für die kommunistische Partei marschierten. Bei der hohen Mitgliedszahl, die diese damals hatte.

Orban selbst - und dies ist ein unbestrittenes Verdienst - hat als Jungpolitiker und aus voller Überzeugung dem Land die Westöffnung gebracht. Ob er die Wirtschaft sanieren kann, dürfte die größte Herausforderung einer weiteren Amtszeit werden. Bisher geht es ja nur wenigen Ungarn so gut, wie dem Bürgermeister von Felscut, der das Stadion baut.

"Seine Clique um ihn ist reich geworden"

Sein Vermögen beziffert sich auf geschätzte 220 Millionen Euro. Was auch einigen Dorfbewohnern sauer aufstößt. "Ich verstehe überhaupt nicht“, sagt er, "warum die alle Orban so verehren. Schauen Sie sich hier um. Seine Clique um ihn ist reich geworden. Aber nur die!", sagt ein Mann.

"Wissen Sie, der Bürgermeister war früher arm wie eine Kirchenmaus. Wir haben ihm im Dorf manchmal zu essen gegeben. Jetzt sind ihm seine Millionen zu Kopf gestiegen. Außerdem: Das ganze Steuergeld fließt nur in das Stadion, die Fußballakademie und die Straßen drum rum. Für den Rest des Dorfes tun sie nichts", ergänzt eine Frau.

Dafür sind weitere Projekte in Felscut angedacht: Ein Flughafen und eine Bahnlinie. Viktor Orban, der heimatverbundene Politiker, hat in Ungarn offensichtlich noch viel vor.

Autorin: Susanne Glass, ARD-Studio Wien

Stand: 15.04.2014 10:57 Uhr

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