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Nordmazedonien: Nähen zum Hungerlohn

PlayHand an Nähmaschine
Nordmazedonien: Nähen zum Hungerlohn | Bild: SWR

Wenn ein Mode-Label damit wirbt, dass es in Europa produziert, dann steht das für gerechte Arbeitsbedingungen – denken wir. Stefan Maier beweist das Gegenteil. Auch wenn der Mindestlohn bezahlt wird, können die Näherinnen in Nordmazedonien nicht davon leben. Das führt zu einer überraschenden Schieflage: Die Verbraucher haben ein gutes Gewissen, dabei lebt manche Näherin in Bangladesch besser von ihrem kargen Lohn als ihre Kolleginnen in Europa.

Der Schrecken der Fabrikbesitzer

Sie ist eine "Ein-Frau-NGO", streitet für die Rechte der Textilarbeiterinnen in Nordmazedonien. Kristina Ampeva hat selbst jahrelang als Näherin gearbeitet. "Ich konnte keinen Betriebsrat gründen, die Arbeiterinnen wussten auch gar nicht, was das ist und wie eine Arbeitnehmervertretung funktioniert. Die einzige Möglichkeit war, eine Selbsthilfe-Organisation zu gründen, die endlich beginnt gegen die Ausbeutung der Arbeiterinnen zu kämpfen."

Foto auf Handy
Handy-Fotos dokumentieren die unhaltbaren Zustände  | Bild: SWR

Kristina wurde zum Schrecken der Fabrikbesitzer, sammelt Beschwerden im ganzen Land. Eine ihrer Informantinnen ist Svetlana, eine Näherin, die für 200 Euro im Monat arbeitet, den staatlichen Mindestlohn. Sie will nicht erkannt werden, weil sie Angst hat, ihren Job zu verlieren. "Ich arbeite inzwischen für drei; in der Zeit, in der ich früher ein Stück gemacht habe, muss ich heute drei machen." Svetlana hat Kristina Fotos geschickt. Verschmutzte Toiletten, Umkleideräume. Sie berichtet von unbezahlten Überstunden, unzumutbaren Arbeitsbedingungen. "Es gibt Kolleginnen, die sind allergisch gegen den Staub, und es gibt Materialien, die viel Staub enthalten. Und dann bekommen sie so rote Stellen, rote Punkte am Körper und sogar im Gesicht."

Kein Krankengeld, monotone Arbeit und geringer Lohn

Für die Behandlung zahlen sie selbst, Krankengeld gibt es nicht. Drehen dürfen wir in Svetlanas Betrieb nicht, aber die Situation ist überall ähnlich. Eine monotone Arbeit, ein einziger Arbeitsgang in der immer gleichen Körperhaltung. In vielen Betrieben ist es im Winter viel zu kalt, im Sommer zu heiß. Kaum eine Arbeiterin verdient mehr als 200 Euro im Monat. Das ist weniger als in Bangladesch oder China – gemessen an den Lebenshaltungskosten. Denn die sind fast viermal so hoch wie der Mindestlohn, 750 Euro für eine vierköpfige Familie. "Die Situation mit den Arbeitsrechten im Land ist insgesamt katastrophal", klagt Kristina Ampeva. "Und das schon seit langer Zeit. Das bedeutet, dass dieses Land selbst innerhalb staatlicher Institutionen, wie etwa der Arbeitsaufsicht, ein Korruptionsproblem hat."

Verkaufsstand mit Textilien
Viele Menschen können sich die im eigenen Land produzierten Textilien kaum leisten | Bild: SWR

Nordmazedonien ist ein Land der Gegensätze, die Kluft zwischen arm und reich ist fast nirgendwo höher in Europa. Die wenigsten Nordmazedonier können sich die Kleidung, die im eigenen Land hergestellt wird, leisten. Zum Beispiel die von der Firma Moda. Der Betrieb gehört nicht zu den schwarzen Schafen. Der Besitzer versucht die Sozialstandards einzuhalten. Seine Kunden verlangen für ein Hemd 60 Euro im Verkauf, Davon erhält Moda drei Euro – für Zuschneiden, Nähen und Verpacken

"Hergestellt in Europa" heißt: Billiglohn und Ausbeutung

Hinter dem Label "Hergestellt in Europa", mit dem die Konzerne werben, verbergen sich nicht selten Billiglohn und Ausbeutung. "Die ausländischen großen Marken versuchen höhere Sozialstandards bei uns durchzusetzen", sagt Angel Dimitrov von der Firma Moda. "Diese Sozialstandards kosten aber Geld. Das müssen wir selbst zahlen, dafür bekommen wir von den Konzernen nichts. Die wollen Standards, aber sie wollen nicht dafür bezahlen."

Kristina Ampeva
Kristina Ampeva | Bild: SWR

In Stip, dem Zentrum der Textilindustrie Nordmazedoniens kommen die Beteiligten zusammen. Kristina Ampeva hat einen Kongress organisiert, NGOs aus Serbien, Albanien, dem Kosovo sind da, denn auf dem ganzen Balkan herrschen die gleichen Bedingungen. "Manche der Arbeiterinnen in Serbien waren gezwungen, Windeln zu tragen, weil sie keine Toilettenpausen machen durften", berichtet Alexandra Vidanovic vom Olof Palme International Center Serbien. "Das ist jenseits von allen Menschenrechten."

Verbesserung der Sozialstandards, mit diesem Ziel sind selbst einige Arbeitgeber und die Arbeitsministerin gekommen. Und am Rand des runden Tisches sitzen sogar die Betroffenen selbst, Näherinnen. Es ist ein Anfang. Am Abend erreicht Kristina ein Zeitungsartikel. Der deutsche Hemden-Produzent Olymp habe sich von seinem mazedonischen Zulieferer Stobi getrennt. "Eine Mitarbeiterin hat mich schon vor einem Jahr kontaktiert und erzählt, dass sie ständig Überstunden machen. Und dass die Überstunden nicht bezahlt würden."

Eine deutsche Firma setzt ein Zeichen

Stobi hat 250 Beschäftigte, der einzige Auftraggeber: Olymp. Doch am Produktionsstandort wird schon nicht mehr gearbeitet. Unsere Bitte um eine Stellungnahme wird nicht beantwortet. Aber Olymp in Deutschland bezieht Stellung. "Wir haben gewisse Anforderungen gestellt, dass man unseren Standards hier entspricht, entsprechend die Entlohnung der Mitarbeiter auch regelt", sagt Mark Bezner von der Firma Olymp. "Am Ende des Tages war dieser Betrieb nicht mehr mit unseren Anforderungen konform."

Näherin an Nähmaschine
Allein in Stip arbeiten 9.000 Menschen in der Textilindustrie  | Bild: SWR

Olymp hat Stobi deshalb gekündigt. Nur wenige internationale Marken nehmen die Sozialstandards in den Zulieferländern so ernst wie Olymp. Die Firma hat ein deutliches Zeichen gesetzt. In Stip arbeiten 9.000 Menschen in 60 Textilfabriken. Nähen für Konzerne in der EU. Es sind vor allem Frauen. Die Stadt ehrt sie jetzt. "Dies ist ein Denkmal zu Ehren der Textilarbeiterinnen und darauf können sie stolz sein", sagt Kristina Ampeva. "Sie sollen sehen, wie wichtig sie für diese Stadt und für das ganze Land sind." Dass Arbeiterinnen hier allmählich eine Stimme bekommen, ist vor allem das Verdienst von Kristina Ampeva.

Autor: Stefan Maier

Zu diesem Thema auch der Podcast: "Faire Mode", auch in der ARD-Audiothek und auf allen einschlägigen Podcast-Plattformen.

Stand: 05.03.2020 15:26 Uhr

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