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Singapur: Weniger Autos, mehr öffentlicher Nahverkehr

PlayEine moderne U-Bahnstation in Singapur
Singapur: Weniger Autos, mehr öffentlicher Nahverkehr | Bild: picture alliance / Markus Mainka | Markus Mainka

Der Tunnelblick hat hier Methode. Singapur, etwa so groß wie Hamburg, fast dreimal mehr Einwohner, aber trotzdem ein Drittel weniger Autos. Wie das geht? 89 Prozent aller Singapurer besitzen keinen PKW und auch ich fahre U-Bahn. Je nach Strecke und Uhrzeit kostet das umgerechnet zwischen 65 Cent und 1,50 Euro pro Ticket. Singapurs Verkehrskonzept beruht auf zwei simplen Ideen: U-Bahn fahren nämlich besonders günstig und attraktiv zu machen, Auto fahren dagegen besonders unattraktiv und teuer.

Breite, mehrspurige Straßen – doch seit 2018 bremst Singapur das Wachstum bei den Privatwagen systematisch aus: Neue werden derzeit nur noch zugelassen, wenn alte dafür verschwinden.

Teure Autos

Und um überhaupt durch die Stadt kurven zu dürfen, musste Cynthia Ong erst mal ein Certificate of Entitlement kaufen. Diese Autozulassung kostet je nach Fahrzeugkategorie im Moment umgerechnet zwischen 55.000 und 78.000 Euro und gilt nur für zehn Jahre: "Ich finde das definitiv nicht fair, dass du für dieses Stück Papier, die Zulassung so viel Geld bezahlen musst. Aber das macht die Regierung alles, um weniger Autos in Singapur zu haben."
Cyntia Ong ist freiberuflich tätig und sagt, sie sei auf ihren Wagen angewiesen, um ihre Kunden schnell zu erreichen.

Dazu kommen die City-Maut-Gebühren: Je nach Tageszeit umgerechnet bis zu 2 Euro pro Fahrt. Ein Singapurer Erfolgsmodell, das inzwischen andere Städte wie London übernommen haben. Das Geld, das der Stadtstaat den Autofahrern abknöpft, fließt weitgehend hierher in den Ausbau der U-Bahn, die hier MRT heißt. Und die fährt autonom, also computergesteuert – seit 2003 auf immer mehr Strecken. Das ist im technologiebegeisterten Singapur längst selbstverständlich.
Auch die beiden Freundinnen Marice und Belinda nutzen die MRT regelmäßig, um verlässlich ans Ziel zu kommen. Dass Autofahren in Singapur für Normalverdiener fast unerschwinglich ist, wird hier relativ klaglos hingenommen. Essen und Trinken - in der MRT übrigens streng verboten.

Weniger Staus, mehr öffentlicher Verkehr

Erst 1987 hat Singapur die erste U-Bahn-Linie eröffnet. Heute ist das Streckennetz etwa 250 Kilometer groß. Bis 2031 will die Stadt weitere 42 Milliarden Euro in den öffentlichen Nahverkehr investieren. So soll Singapur die Mobilitätswende schaffen, erzählt mir Vance Ng von der Transportbehörde. Autofahren im Gegenzug finanziell abzustrafen, findet er ein Muss. Menschen seien nun mal nicht von Natur aus vernünftig: "Studien zeigen, dass Menschen, die ein Auto besitzen, dann doch sehr bequem werden. Man muss also Anreize setzen und sich überlegen, wie man sie in die richtige Richtung stößt, wie man sie dazu bringt, sich korrekt zu verhalten, damit sie also laufen, Rad fahren und U-Bahn fahren."

Singapur will sein Streckennetz immer weiter ausbauen. Bis 2030 sollen 80 Prozent aller Singapurer nicht weiter als zehn Minuten entfernt von der nächsten U-Bahn-Station wohnen. Und Autofahren soll noch teurer werden. Und in den letzten zehn Jahren ist die Zahl der privaten PKW bereits zurückgegangen. Nur die Wenigsten haben ein Auto, deswegen gehört es in Singapur definitiv mehr zum Alltag auch mal schnell in ein Taxi zu springen als in Deutschland. Denn das kostet deutlich weniger als in Europa.
Philipp Lam steuert wie viele Taxifahrer in der Stadt inzwischen ein Hybrid-Auto, weil der Stadtstaat das steuerlich fördert. Er findet es praktisch, dass es in Singapur im Gegensatz zu anderen asiatischen Citys keine ständig verstopften Straßen gibt: "Nach meiner Erfahrung von 30 Jahren Taxifahren kann ich sagen: Wenn du zum Flughafen willst, musst du nicht fürchten, im Stau zu stehen. Du wirst deinen Flug schaffen."

Nur an sie hat die Verkehrsplanung hier lange nicht gedacht: Fahrräder haben viele erst in der Pandemie wiederentdeckt. Und auch ich muss mir mit meinem Bike oft genug die Wege mit Autos oder Fußgängern teilen. Und das kann ganz schön anstrengend sein: Der Schwachpunkt im Singapurer Verkehrssystem sind definitiv die Radwege, die gibt es nämlich hier in der Innenstadt so gut wie gar nicht. Und das macht es mir als begeisterter Radfahrerin manchmal schwer hier sicher durchzukommen.
Aber auch das soll bald anders werden, verspricht die Regierung. Denn Singapur hat eine Mission: Das eigene Auto soll hier zum Auslaufmodell werden.

Autorin: Sandra Ratzow, ARD Singapur

Stand: 07.11.2023 03:06 Uhr

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