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Ukraine: Kinder im Krieg

Ukraine: Kinder im Krieg | Bild: WDR

Das Lachen der Kinder, der Sandkasten: Dieser Spielplatz liegt mitten im Kriegsgebiet. In Druschkiwka, einer ostukrainischen Kleinstadt rund 15 km hinter der Frontlinie. Das war einmal ein Kulturzentrum. Das eine Schule. Die Nachbarstadt gleich nebenan ist bereits heftig umkämpft. Wir wollen begreifen, wie Kinder im Krieg aufwachsen. Fünf Jungen sind heute zum Kampfsport-Training gekommen. Auch der 16-Jährige Stanislaw: "Weil ich dann etwas Neues lerne und weil ich zu Hause nichts anderes zu tun habe, als vor dem Computer zu sitzen. Deswegen das Training." Stanislaw wohnt in Druschkiwka, der Krieg hat sein Leben verändert, erzählt er: Seit Jahren nur Online-Schul-Unterricht. Viele Freunde sind geflüchtet: "Was den Krieg angeht, ja, ich mache mir Sorgen, wenn es irgendwo Explosionen gibt oder sowas. Die Situation ist unangenehm, aber meine Eltern und ich werden noch nicht weggehen." Sein Vater, er erzählt viel von ihm, hat als Soldat eine Hand verloren. Seine Mutter verdient Geld als Krankenschwester.

Vlad, der Trainer, berichtet: Die Kinder sitzen viel zuhause rum, seien körperlich schwächer als Gleichaltrige früher. Auch deswegen das Training. "Das ist wahrscheinlich die Hauptsache: Die Gesundheit. Kinder haben im Moment keine Gelegenheiten dazu. Sie waren seit Jahren nicht in der Schule. Daher ist ein solches Training für sie zumindest eine Art Abwechslung", sagt Vlad. Die anderen Jungs sind schüchtern vor der Kamera. Also noch eine Frage an Stanislaw: Was wünscht er sich von der Zukunft? "Dann werde ich wahrscheinlich darüber nachdenken. Ein Motorrad kaufen. Aber das kommt darauf an, was passiert."

Können hier Kinder noch Kinder sein?

Ukraine: Trotz Krieg in der Nähe – Kinder auf einem Spielplatz.
Ukraine: Trotz Krieg in der Nähe – Kinder auf einem Spielplatz. | Bild: WDR

Was in Druschkiwka auffällt: Wenige wollen vor der Kamera darüber sprechen, wieso mehr als 2.000 Kinder immer noch in der Stadt sind. Mehrere Interviews platzen kurzfristig. Wir merken: Die ukrainische Militärverwaltung macht Druck auf unsere Interviewpartner. Es ist ein unangenehmes Thema für sie: Denn eigentlich müssen die Kinder laut offizieller Anordnung evakuiert werden. Viele Familien halten sich aber nicht daran. Wieso, wollen wir noch herausfinden. 

Zuerst geht es für uns weiter nach Kramatorsk. Die nächstgrößere Stadt im Donbass. Hier leben noch etwa 80.000 Menschen – mit der ständigen Kriegsgefahr. Wir besuchen ein Feriencamp. Die Kinder spielen im Keller – draußen ist Luftalarm – mal wieder. Die 6-jährige Emilia fällt uns auf, weil sie besonders neugierig ist. Diese Woche ist Weltraum-Woche: Emilia lernt viel über das Sonnensystem, Raketen und Planeten. Ablenkung, denn sie kennt praktisch kein Leben ohne Krieg. "Ich habe Angst, wenn es große Explosionen gibt. Und die Autos sind kaputt. Deshalb habe ich Angst." Zuhause spielt sie viel am Tablet, erzählt sie. Was will sie einmal werden, wenn sie groß ist? "Polizistin." Hier in Kramatorsk? "Ja, ich liebe die Stadt. Aber sie tut mir sehr leid."  Warum? "Weil sie so kaputt ist. Sie tut mir wirklich leid." 

Weil der Krieg so nah ist – ist es in Kramatorsk verboten, viele Kinder auf einmal zu versammeln. Aber es sind Sommerferien – viele Eltern arbeiten. Und Kinder bräuchten einfach andere Kinder um sich herum, sagt Erzieherin Olena: "Die Kinder haben niemanden zum Reden. Hier geht es um Kommunikation und um Entwicklung." Langeweile, wenig Kontakt zu Gleichaltrigen. Wir hören es immer wieder. Eine Mädchen-Kunst-Gruppe lädt uns ein. Die Fenster sind mit Holz verbarrikadiert – aus Schutz vor Splittern bei Angriffen. Zu Beginn teilen die Mädchen ihr schönstes Erlebnis der letzten Wochen. Ich bin im Fluss geschwommen, erzählt Alisa. Sie geht in die 6. Klasse. Für die Ferien hat Alisa viele Pläne: Gitarre und Fotografieren lernen. Und danach? Alisa: "Dass der Krieg vorbei ist. Das ist mein größter Traum. Dass meine Freunde zurückkommen. Und ich würde so gerne ans Meer."

Auch Alisa sagt: Der Krieg hat das Leben verändert, sie vermisst ihre alten Freunde, verbringt viel Zeit online – obwohl sie lieber draußen wäre. Aber weg will sie nicht. Der Krieg ist auch irgendwo Routine geworden. "Einschläge hören wir normalerweise. Wenn sie weit weg sind, ist es ok. Aber in der Nähe. Das ist noch nicht passiert. Meine Familie ist da, ich habe keine Angst. Oder wenn ich mit Freunden spazieren gehe. Alleine hätte ich vielleicht Angst, aber zu zweit ist es ok", sagt Alisa.

Wenn sie gehen, dann freiwillig

Ostukraine: Diese Schule wurde bei Angriffen zerstört.
Ostukraine: Diese Schule wurde bei Angriffen zerstört. | Bild: WDR

Bislang sind laut den Vereinten Nationen mehr als 2.500 Kinder im russischen Angriffskrieg verletzt oder getötet worden. Wir fahren zum Schluss noch einmal nach Druschkiwka, den Ort dicht an der Kampfzone. Um endlich zu verstehen: Wieso bleiben Eltern mit ihren Kindern noch hier – obwohl sie gehen sollen? Auf der Straße treffen wir Nikita – und seinen Papa Oleksandr. "Ich denke, die Menschen werden selbst entscheiden, wann sie gehen. Aber Menschen zu etwas zu zwingen, was sie nicht wollen – das halte ich für falsch. Solange es Strom und Wasser gibt und die Geschäfte geöffnet sind, kommen wir klar", erzählt Oleksandr.

Natürlich sei er besorgt um seinen Sohn – wer sei das bitte nicht, sagt Oleksandr. Aber Druschkiwka sei auch ihre Heimat, hier hat er einen Job: "Ich will nicht weg. Und überhaupt – wohin? Niemand braucht Leute aus dem Donbass." Auch Oleksandr fragen wir nach der Zukunft – seine Wünsche drehen sich nur um Nikita: "Dass er in eine richtige Schule geht, wie es sein sollte, mit anderen Kindern zusammen ist, mit ihnen redet. Ich wünsche mir, dass das alles ein Ende hat. Dass sie Frieden schließen." Ein Wunsch, der wohl vorerst nur ein Wunsch bleiben wird.

Autor: Tobias Dammers / ARD Kiew

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Westdeutscher Rundfunk
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