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Ägypten: Hetze gegen Journalisten

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Ägypten: Hetze gegen Journalisten | Bild: SWR

Seit Ende Januar stehen in Kairo 20 Journalisten vor Gericht, darunter vier Ausländer. Einigen wird vorgeworfen, einer terroristischen Vereinigung anzugehören. Gemeint sind die Moslembrüder, einst Regierungspartei, Ende Dezember zur Terrororganisation erklärt. Die Mehrheit der Ägypter findet das richtig, fast alle lokalen Medien ebenfalls. Wie ein parteiischer Chor singt die ägyptische Presse seit der Absetzung von Präsident Mursi Loblieder auf die Militärregierung. Ausländischen Journalisten, die die Entwicklungen im Land kritischer sehen, wird von den Staatsmedien vorgeworfen, die Moslembrüder zu unterstützen. Ende Januar entlud sich nach einem Anschlag der aufgehetzte Volkszorn über einem Kamerateam der ARD, es entkam nur knapp einem Lynchmob. Gefahr statt Freiheit für die Presse in Ägypten.

Thomas Aders, ARD Kairo

Puppe Abla Fahita
Puppe Abla Fahita  | Bild: swr

Ein großer Mobilfunkanbieter hatte für seine Werbung im ägyptischen Fernsehen eine lustige Idee: die Handyfirma ließ ihre Vorzüge durch die bekannte Puppe Abla Fahita preisen. Doch dann wurde die Puppe angeklagt. Der Vorwurf: es seien geheime Botschaften an die Islamisten in den Worten versteckt. Abla Fahita – eine Terroristin?

Männer mit blutigen Händen
Mit Gewalt wurde gegen die Anhänger von Präsident Mursi vorgegangen | Bild: SWR

Sommer 2013 – der islamistische Präsidenten Mursi ist von Armeechef as-Sisi abgesetzt worden – die Protestcamps seiner Anhänger werden brutal geräumt. Am Nil bricht eine neue Zeitrechnung an. Die Muslimbrüder werden zu Tausenden inhaftiert, ihre Partei ist verboten, ihre Fernsehsender – wie hier in der Kairoer Media-City – geschlossen. Ihre Anhänger werden als Terroristen diffamiert. Und jeder, der sie nicht als Terroristen behandelt, gilt als ihr Helfershelfer.  Al Jazeera zum Beispiel. Der Nachrichtenkanal aus Katar hegt Sympathien für die Muslimbrüder – mit verheerenden Konsequenzen: der Moderator eines regierungsnahen Senders verkündet die Inhaftierung der al-Jazeera-Journalisten. Schadenfreude! Wie in einem ganz schlechten Film: dramatische Musik soll unterstreichen, dass Laptops und Kameras von Al-Jazeera terroristische Waffen sind. Die Beamten dringen in das Hotelzimmer der Al-Jazeera-Mitarbeiter ein. Dem australischen Journalisten Peter Greste und seinem Team wird unter anderem vorgeworfen, mit einer terroristischen Organisation zusammen zu arbeiten, den Muslimbrüdern. Seit Ende Dezember sitzt das Team in Haft. "Seit fast einem Vierteljahrhundert arbeite ich als Korrespondent in Kairo. Und ich glaube, man kann schon sagen, dass das journalistische Arbeiten unter Mubarak – selbst unter Mubarak! – einfacher war als heute", meint Karim El-Gawhary, der Korrespondent von ORF und TAZ. "Also ich finde, das ist eine der schwierigsten Zeiten die ich je erlebt habe."

Wir haben ein wenig gezappt in den TV-Programmen am Nil. Alle scheinen exakt die gleiche Sprachregelung zu haben: die Armee ist der Retter, die Muslimbrüder sind Terroristen, und mit ihnen alle, die sie unterstützen: "Al-Jazeera will Ägypten zerstören." … "Es ist eine Illusion, dass die westliche Presse objektiv ist." … "Wir werden in die Häuser der Amerikaner eindringen und sie einen nach dem anderen massakrieren. Wir werden nicht zulassen, dass sie sich vergehen an General Sisi, einem Mann, der unser Land gerettet hat."

Photograph Jean Nagah
Photograph Jean Nagah | Bild: SWR

Unter welchen Bedingungen arbeiten Journalisten in Ägypten? Pressekonferenz am Donnerstag: Einer der Photographen: Jean Nagah. Seit zehn Jahren arbeitet er für die Zeitung al-Akbar. Wie die meisten seiner Kollegen steht er hinter der aktuellen Regierung. Nur wenige Ägypter trauen sich, Kritik zu üben. "Journalisten – ausländische und lokale – werden von zuhause oder auf der Straße entführt, sie werden geschlagen, sie werden gefoltert", sagt der Aktivist Phillip Rizk. "Das ist inzwischen ganz normal". Photograph Jean bei der Arbeit. Motivsuche an der Mauer der Revolutionäre neben dem Tahrirplatz. Hier sprühten und malten sie gegen Diktator Mubarak, Armeechef Tantawi und Mursi. Und jetzt? Der Job des Journalisten ist sehr problematisch geworden – meint Jean; und gibt die Schuld den ausländischen Medien. "Einige Fernsehkanäle haben den Ruf der ganzen Medien in Ägypten demoliert. Heute begegnen uns die Menschen deshalb mit Skepsis. Sie glauben, wir sagen alle nicht die Wahrheit."

Sisi-Verehrung in geradezu nordkoreanischem Ausmaß. Ein Armeechef als Held der Massen, as-Sisis soll nach ihrem Willen Präsident werden. Auch Staatsfernsehen und Informationsministerium stehen hinter ihm. In- und ausländische Kritiker sollen nur das berichten, was genehm ist. "Die westlichen Korrespondenten wissen ganz genau, ob es eine Revolution des Volkes war oder ein Militärputsch", meint Dorreia Sharaf El-Din, ägpytische Informations-Ministerin. "Aber alles, was sie ausstrahlen, ist das Gegenteil der Wahrheit.“ Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen meint. "Wir fordern von den ägyptischen Behörden, dass sie dieses Klima der Gewalt, was in Ägypten mittlerweile herrscht, dass sie dem Einhalt gebieten. Und dass sie auch in der Öffentlichkeit deutlich machen, dass Gewalt gegen Journalisten, gegen unabhängige Berichterstatter, nicht hinnehmbar ist, nicht zu tolerieren."

Graffiti an der Mauer der Revolutionäre
Graffiti an der Mauer der Revolutionäre  | Bild: SWR

Die Saat des Hasses gegen westliche Medien ist längst aufgegangen in Ägypten. Ein Beispiel: die Stunden nach dem Bombenanschlag in Kairo am 24. Januar. Mehrere Menschen sind gestorben, viele wurden zum Teil schwer verletzt, die Stimmung am Tatort ist aggressiv. Unser Fernsehteam ist das erste vor Ort; dann werden die Kollegen als Al-Jazeera-Mitarbeiter beschimpft. Als Freunde der Muslimbrüder…Als Terroristen… „Irgendjemand aus dem Team sagte dann: OK, es macht keinen Sinn, lass uns wieder abhauen", erzählt Martin Krüger, Kameramann vom ARD-Studio in Kairo. "Und in dem Augenblick, als ich mich umdrehte, sah ich schon eine Hand kommen, diese schlug mir ins Gesicht. Ja, es war eine Frau, die mich als erstes geschlagen hat. Das war der Startschuss: danach durfte jeder auf uns einschlagen. Weil wir Al-Jazeera sind - oder ein deutsches Team.“ Der Fahrer, der Producer und der Kameramann werden geschlagen, getreten, angespuckt. Hämatome am ganzen Körper, tiefe Wunden auf dem Kopf, zugefügt mit einer Rasierklinge. Doch die Meute macht immer weiter. „Wenn du irgendwo hinkommst und die Leute wollen keine Kamera vor Ort… dann jagt man dich vom Hof. Hier war es umgekehrt: hier wollte man uns nicht vom Hof lassen. Hier wollte man uns auf der Stelle lynchen.“

Telefonisch entschuldigen die Behörden sich bei uns. Als am Mittwoch der ägyptische Außenminister zu Besuch in Berlin ist, wird die Behandlung von unabhängigen Journalisten in Ägypten angesprochen, aber auch der Angriff auf das ARD-Team. Auf unsere Nachfrage antwortet Steinmeier beinahe undiplomatisch. "Wir sehen diese Entwicklung mit Sorge", sagt der deutsche Außenminister  Frank-Walter Steinmeier" und das wird auch Gegenstand unseres Gespräches heute sein."

Jean Nagah schießt die letzten Fotos dieses Tages auf der Kasr-el-Nil-Brücke nahe dem Zentrum. Er kann es nicht fassen: obwohl er auf Seiten der neuen Regierung steht, wird er von den Menschen angefeindet. Er findet, viele sind paranoid. Aktuelle Meldung von der Puppenfront: der Generalstaatsanwalt hat die ägyptischen Behörden beauftragt, Ermittlungen gegen Abla Fahita und ihre Schöpfer aufzunehmen. Kein Witz!

Stand: 15.04.2014 10:46 Uhr

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