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Spanien: Ceuta – Hotspot der Dschihadisten

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Spanien: Ceuta - Hotspot der Dschihadisten | Bild: SWR

In den spanischen Exklaven Melilla und Ceuta haben die Anwerber der Dschihadisten offenbar leichtes Spiel: Mehr als die Hälfte der aus Spanien stammenden Terrorhelfer für den IS sind von hier nach Syrien oder in den Irak aufgebrochen. Und kaum eine Woche vergeht ohne Verhaftung von verdächtigen Dschihadisten durch die spanische Polizei.

Stefan Schaaf hat in einem als Dschihadisten-Hochburg verschrienen Viertel von Ceuta Familienangehörige eines verhafteten IS-Anwerbers getroffen. Sie bestreiten die Vorwürfe – doch es gibt klare Belege, dass diese wohl zutreffend sind. Die Recherche in Ceuta zeigt, warum die Einwanderer der zweiten und dritten Generation so empfänglich für den Dschihadismus sind.

Autor: Stefan Schaaf, ARD Madrid

Vermummte Polizisten führen Mann ab
In der zu Spanien gehörenden nordafrikanischen Exklave Ceuta wurden mutmaßliche islamische Extremisten festgenommen. | Bild: dpa

Nur mit der Fähre erreicht man Ceuta, dieses Überbleibsel aus kolonialen Zeiten. Im Norden Marokkos gelegen, und doch spanisch, eine Frontstadt Europas. Und auf einem Hügel thront der Stadtteil Principe Alfonso, berüchtigt als gefährlichstes Viertel Spaniens. Drogendealer und Islamisten seien hier zuhause, das ist landläufige Meinung. Und in der Tat gibt es in den Abendnachrichten immer wieder solche Bilder: Islamistische Zellen in Ceuta werden ausgehoben, Dschihadisten verhaftet und per Hubschrauber nach Spanien ins Untersuchungsgefängnis gebracht. "Natürlich hat es Einzelfälle gegeben, bei denen Personen aus Ceuta nach Syrien gegangen sind" sagt Amin Mohamed Mohamed von der Stadtteil-Gruppe "Principe Alfonso". "Aber das hat doch nichts mit uns und der großen Mehrheit zu tun. Solche Fälle werden doch nur aufgebauscht."

Leben im Ghetto

Ohne Amin und Abdelkader könnten wir hier nicht durch die engen Gassen laufen. Medien sind hier unerwünscht. Doch sie wollen uns die eklatante Armut im Viertel zeigen, Abwässer etwa, die offen durch die Straße laufen, oder auch kaputte, zerstörte Spielplätze. Der Staat habe das Barrio, in dem fast nur marokkanische Einwanderer leben, völlig aufgegeben – auch wenn die Politiker von Investitionen reden. Für Amin ist ganz klar, wo er lebt. "Das hier ist ein Ghetto."

Enge Gasse mit Graffiti an den Wänden
Stadtviertel "Principe Alfonso". | Bild: SWR

Sie bringen uns zur Familie von Mohamed Ali Habrach. Er ist ohne Job, wie die meisten im Viertel, seinen Kindern droht das gleiche Schicksal. Wer im Viertel "Principe" lebt, lebt mit einem Stigma. Es ist das Gefühl der Ausgrenzung, das manche Jugendliche für radikale Ideen empfänglich macht. "Natürlich sind sie dann einfache Beute für Verführer", sagt Karim Mohamed von der Stadtteil-Gruppe "Principe Alfonso". "Sehen Sie, hier finden Sie tausende von Jugendlichen ohne Beruf und jede Unterstützung."

Der Märtyrer-Tod soll ins Paradies führen

Traurige Berühmtheit erlangte der 32jährige Taxifahrer Rachid Mohamed. "Ich werde jetzt ins Paradies aufsteigen", das waren seine letzten Worte, bevor er sich in Syrien in einem mit Sprengstoff beladenen Lastwagen in die Luft jagte – der Taxifahrer aus Ceuta wollte unbedingt den Märtyrer-Tod sterben. Wir sind zuhause bei Nisrim Abdel Lah und Turia Mohamed. Die beiden Frauen kannten den Taxifahrer gut. "Warum er das getan hat – wir wissen es nicht", sagt Turia Mohamed. "Hoffentlich weiß es seine Frau, aber von der hat er sich nicht verabschiedet, nur von seiner Mutter."

Die beiden Frauen haben ihre eigenen Probleme. Nisrims Ehemann und Turias Bruder sollen im Viertel Männer für den heiligen Krieg in Syrien angeworben haben. Mitte 2013 wurden bei einer Razzia Waffen gefunden, die Männer als Köpfe einer islamistischen Zelle verhaftet. Und in dieser Woche hat in Madrid der Prozess gegen sie begonnen. Die Vorwürfe gegen ihren Bruder Karim seien völlig absurd, sagt Turia. "Das ist alles eine Lüge, vielleicht waren es andere. Sehen Sie: als spanische Bürger haben wir das Recht, überall hin zu reisen, in die Türkei oder nach Syrien. Zum Besuch, ist doch kein Problem."

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihren Bruder der Indoktrinierung von Jugendlichen. Ich zitiere aus der Anklageschrift, aus Protokollen von vielen abgehörten Telefonaten. Für Turia alles nur ein Missverständnis. "Wir haben so eine Angewohnheit, uns bei Telefonaten zu verabreden, wir sehen uns in Deinem Haus, aber die Behörden interpretieren das als konspirative Treffen." Für Turia ist der Fall klar – nur weil ihr Bruder aus dem Viertel Principe kommt, sieht man in ihm einen gefährlichen Islamisten.

Auf der Suche nach der Identität

Ausschnitt aus Islamisten-Video: Landkarte Spanien mit Islamisten-Fahne
Islamisten träumen von der Rückeroberung von Al-Andalus/Spanien. | Bild: SWR

"Die Angehörigen wollen es einfach nicht zugeben, sie wollen sich nicht selbst brandmarken", erklärt Carlos Rontomé Romero von der Universität Ceuta. "Sie wissen, es gibt eine sehr starke Missbilligung dessen, was ihren Ehemännern oder Brüdern vorgeworfen wird." Für den Soziologen Rontomé steht außer Frage: das Viertel Principe hat ein Dschihadisten-Problem – nicht unbedingt wegen der Armut. Es ist vor allem die Suche nach einer Identität bei der zweiten und dritten Einwanderer-Generation. In Videos reden Extremisten von der Rückeroberung von Al-Andalus, also von Spanien – ihre maurische Geschichte gibt der iberischen Halbinsel in den Augen der Islamisten eine besondere Bedeutung. "Viele Jugendliche in diesem Viertel brauchen eine Bestätigung ihrer Identität, und sie finden sie in einer Radikalisierung ihres Glaubens, in der Religion."

Drei Frauen mit Kopftuch
Die Mütter sorgen sich, daß ihre Kinder zum Kämpfen in den Nahen Osten aufmachen. | Bild: SWR

In Ceuta treffen zwei Welten aufeinander – im Stadtzentrum koloniale Pracht und Herrlichkeit, und nur ein paar Kilometer weiter die Tristesse des Principe Alfonso. Jugendliche, die hier leben, wissen: zu Spanien werden sie nie richtig dazugehören. Da ist die Versuchung groß, einen anderen Weg zu gehen. Und so zirkulieren im Netz auch Bilder von jungen Mädchen, die sich nach Syrien aufgemacht haben. In der Schule des Barrios trifft sich regelmäßig eine Frauengruppe – sie wollen sich gegenseitig Mut machen bei ihren Alltagssorgen. Natürlich reden die Mütter auch über die Gefahr, die ihren Kindern im Viertel droht. Bei vielen überwiegt ein Gefühl der Ohnmacht. "Wenn Dein Kind auf der Straße ist, weißt Du doch nicht, mit wem es sich trifft", sagt Sodia Ali. "Zuhause gibt es Normen und Regeln, aber draußen weißt Du einfach nicht, was mit Deinem Kind passiert. Das besorgt uns sehr." Wir verlassen mit Amin und Abdelkader das Viertel – sie sagen uns noch einmal: die meisten Menschen hier sind keine Extremisten, sie möchten vielmehr dazugehören, zu Spanien, zu Europa, doch das ist gar nicht so einfach in dieser Frontstadt.

Stand: 30.03.2015 10:42 Uhr

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