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Türkei: Journalisten hinter Gittern - Ist Medienarbeit noch möglich?

PlayTitelseite einer Zeitung mit dem Foto von Deniz Yücel
Türkei: Journalisten hinter Gittern - Ist Medienarbeit noch möglich? | Bild: BR / Katharina Willinger
Fatih Polat
Fatih Polat | Bild: BR / BR

Redaktionssitzung bei der Zeitung Evrensel: Sie gilt als eine der letzten kritischen Pressestimmen im Land. Fatih Polat ist seit der Gründung im Jahr 1995 mit dabei. Seit sechs Jahren ist er Chefredakteur. Mit seinen Kollegen wagt sich Polat vor allem an die Themen, die in der türkischen Medienlandschaft ansonsten kaum mehr auftauchen wie Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit oder Korruption: "Klagen haben wir eigentlich immer am Hals. Wir spüren den Druck, dass wir festgenommen werden könnten. Aber in der Türkei bedeutet der Wunsch, Journalismus zu machen, der auf Tatsachen basiert und dem Informationsrecht des Volkes gerecht wird, dass man so etwas in Kauf nehmen muss."

Vor einem Monat interviewte Fatih Polat auch Deniz Yücel – per Briefwechsel über dessen Anwalt. Dass Yücel nun nach einem Jahr aus der U-Haft entlassen wurde, sei nicht das Ergebnis eines rechtsstaatlichen Prozesses, sagt Polat. Ob es einen Deal zwischen Ankara und Berlin gab, das wisse er natürlich nicht, aber der Druck von außen sei groß gewesen. Schwieriger hätten es türkische Journalisten: am gleichen Tag, an dem Yücel aus der Haft entlassen wird, verurteilt ein Gericht mehrere Journalisten zu lebenslanger Haft.

Kampf für die Pressefreiheit

Fatih Polat ist dennoch optimistisch: "Es gibt in der Türkei zum Glück eine starke Tradition im Kampf für die Pressefreiheit. Und wir werden solange weiterkämpfen, bis sie alle wieder freigelassen werden. Wir haben zwar keine Panzer, die wir als Gegenleistung bieten können, aber wir haben eine starke Leidenschaft für den Journalismus."

Das Gefängnis Silivri
Das Gefängnis Silivri | Bild: BR / BR

Mehr als 150 türkische Journalisten sollen derzeit auf Grund ihrer Arbeit in Haft sein, viele von ihnen im Hochsicherheitsgefängnis Silivri, vor den Toren Istanbuls. Hier saß auch Deniz Yücel. Am Freitag erschien seine Anklageschrift – sie ist nur drei Seiten lang. Das Gericht ordnete an, Yücel während der Prozessdauer aus der U-Haft zu entlassen. Noch am selben Abend verlässt der Journalist die Türkei und meldet sich mit einer kurzen Videobotschaft zu Wort: "Das witzige ist: Ich weiß immer noch nicht, warum ich vor einem Jahr verhaftet wurde, genauer gesagt, warum ich vor einem Jahr als Geisel genommen wurde. Und ich weiß auch nicht, warum ich heute freigelassen wurde."

Yonca Şık
Yonca Şık | Bild: BR / BR

In Gefängnis Silivri sitzt seit Dezember 2016 auch Ahmet Şık, einer der bekanntesten Journalisten der Türkei. Wie Deniz Yücel wird auch ihm Terrorpropaganda vorgeworfen. Seine Ehefrau Yonca erzählt, Grundlage der Anklage seien ausschließlich Artikel und Tweets ihres Mannes: "Ahmet hat die richtigen Fragen gefragt und er ist eigentlich nur hinter der Wahrheit her. Er versucht nur seinen Job zu machen. Und jeder, der ein bisschen kritisch gegenüber der Regierung oder Erdogan ist, wie es auch die ganze Welt jetzt weiß, hat dieses Risiko, verhaftet zu werden."

Der Fall Ahmet Şık

Ahmet Şık saß 2011 schon einmal in U-Haft: Hintergrund war ein Buch, in dem er darlegte, wie die Gülen-Bewegung, die damals der AKP nahe stand, den Staat unterwandert. Im Dezember 2016 wird der Journalist der Zeitung Cumhuriyet wieder festgenommen. Diesmal wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor, die Gülen-Bewegung zu unterstützen. Ehefrau Yonca Şık erklärt: "Die Justiz in der Türkei war immer sehr politisch beeinflusst, also von der Politik beeinflusst. Aber es war noch nie so hart, dass es überhaupt keine juristische Basis mehr gibt. Aber Ahmet ist sich sicher, dass auch diejenigen, die heute für seine Verhaftung, für diese Geiselnahme verantwortlich sind, dass die auch in diese Gefängnis kommen oder vor dem Gericht sein werden und dafür zahlen."

In der Redaktion von Evrensel
In der Redaktion von Evrensel | Bild: BR / BR

Fatih Polat von der Zeitung Evrensel glaubt: auch die schwierigen Zeiten für Journalisten im Land werden irgendwann vorüber gehen: "Sie können im Leben nichts gewinnen, wenn sie den Tag nicht mit einem Lächeln beginnen. Deshalb muss man auch in den schwierigsten Zeiten einfach lächeln und weiter energiegeladen arbeiten."

Jetzt wo so viele seiner Kollegen in Haft säßen, bringe es doch erst recht nichts pessimistisch zu sein.

Autorin: Katharina Willinger, ARD Istanbul

Stand: 19.02.2018 00:36 Uhr

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