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Syrien: Millionen für die Terrorgruppe IS

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Syrien: Millionen für die Terrorgruppe IS | Bild: SWR

Der sogenannte "Islamische Staat" gilt als eine der reichsten Terrorgruppen der Geschichte. Seine Einnahmen generiert er auch durch Lösegelder für entführte jesidische Sklavinnen und deren Kinder. Reporter des NDR und SWR haben wochenlang einen "Freikäufer" begleitet und können dokumentieren, wie Millionen von US-Dollar über verschlungene Kanäle an den "IS" geschleust werden. Eine Recherche von Amir Musawy, Volkmar Kabisch und Esther Saoub.

Warten auf Huda Elias und ihre 3 Kinder. Vor 12 Monaten wurde die Jesidin verschleppt und missbraucht, seither wartet die Mutter. Noch zweifelt sie, dass die Tochter es schafft über die syrisch-irakische Grenze. Alles hängt an diesem Mann: Abu Mithal. Seit gut einem Jahr befreit er Jesiden aus der Geiselhaft des islamischen Staates. Vor vier Wochen hat er uns erzählt, wie der Handel mit den Terroristen funktioniert. "In einigen Fällen verhandeln wir direkt mit dem IS. Die Kommunikation läuft über alle möglichen Kanäle."

Menschen werden wie Ware nummeriert

Einer davon: der Online-Sklavenmarkt des IS. Hier hat er Huda Elias gefunden. Sie wurde als "Sklavin Nummer 12" anderen Kämpfern zum Kauf angeboten. Abu Mithal besorgt sich die Fotos und versucht dann, die Angehörigen zu finden und die Entführten freizukaufen. Menschen werden wir Ware durchnummeriert, wir zeigen keine Gesichter: Sklavin Nummer 7, Sklavin Nummer 19 und ihre Kinder, Sklavin Nummer 4.

Abu Mithal
Abu Mithal | Bild: SWR

In einem Flüchtlingslager im Nordirak trifft Abu Mithal einen Mann, der nach Monaten der Ungewissheit endlich Kontakt aufbauen konnte zu seinem jüngeren Bruder. "Sie haben mich benachrichtigt, dass sie ihn verkaufen. Aber wir haben nicht die Möglichkeit ihn zu kaufen. Sie wollen eine hohe Summe, soviel haben wir nicht. Wenn deine Verwandten entführt wären, würdest du die nicht auch freikaufen? Aber wo sollen wir das Geld hernehmen?"

15.000 Dollar für einen 11jährigen

15.000 Dollar und der 11 jährige Junge – den der IS zum Kämpfer ausgebildet hat – wäre frei. Abu Mithal übernimmt auch diesen Fall. Er erklärt uns, wie die Verhandlungen laufen: ganz banal über WhatsApp – selbst in der rückwärtsgewandten Welt des sogenannten Kalifats geht nichts ohne Smartphone. Von Rakka in Syrien bis nach Dohuk im Nordirak läuft der Handel hin und her. Bis das Geld endlich aufgetrieben ist, für den 11jährigen Jungen.

Gaziantep
In Gaziantep soll ein Teil des Lösegelds bezahlt werden.  | Bild: SWR

Der Treffpunkt, Gaziantep, liegt an die 600 Kilometer von Dohuk entfernt, in der Türkei. Hier soll Abu Mithal an den IS Kämpfer Anas den Großteil des Lösegeldes bezahlen. Erst vor Ort, in der Türkei, erfährt er, von welchem Büro aus und wohin genau in Syrien das Geld gehen soll. Der türkische Geheimdienst scheint nicht besonders genau hinzuschauen. Hunderttausende Dollar gehen so über die Türkei an den IS in Syrien – sagt Abu Mithal. Abgewickelt in Büros mitten in Gaziantep. Von der Überweisung für den 11jährigen Jesiden existiert eine heimliche Aufnahme. Sie zeigt, wie unkompliziert der Geldtransfer an die Terroristen funktioniert. In dem türkischen Büro arbeiten Syrer. Sie zählen die 15.000 Dollar und telefonieren dann direkt mit dem Mittelsmann des IS in Syrien – der Transfer ist perfekt.

Der Freikauf scheitert

Wie Abu Mithal kaufen mehrere Jesiden systematisch Entführte frei. Nach unseren Recherchen kommen dabei pro Freikäufer Summen von bis zu zweieinhalb Millionen Euro zusammen. Abends im Hotel: Abu Mithal ist erleichtert. Der IS-Mann bestätigt, dass er das Geld ist erhalten hat. "Ich bin jetzt froh, denn dieser Mann wird mich nicht betrügen, er wird sein Versprechen halten. Und der Entführte kommt hoffentlich übermorgen wohlbehalten zu uns zurück. " Doch sein Gefühl täuscht ihn: Tage vergehen und nichts passiert. Freitag, Gebetstag der Muslime, und der Jeside Abu Mithal hat noch immer keine Nachricht aus Syrien. "Das ist jetzt der vierte Tag, den wir hier sind. Gestern wäre unsere Verabredung gewesen. Aber sie hat sich verschoben. Denn die Lage in Syrien ist kritisch." Abu Mithal vermutet, dass die russischen Luftangriffe den Transport der Geisel verhindern. Er fährt mit dem Taxi zurück in den Irak. Die Verbindung zu seinem Mittelsmann ist abgerissen – bis heute.

Endlich in Freiheit

Freigelassene Frau mit Kind
Nach 12 Monaten endlich in Freiheit.  | Bild: SWR

Im nordirakischen Dohuk erfährt Abu Mithal, dass in seinen anderen Fall Bewegung kommt: Es geht um Huda Elias, die Frau mit den drei kleinen Kindern. Die Terroristen haben ein attraktives Foto in Umlauf gebracht, um sie als Sexsklavin weiterzuverkaufen. Abu Mithal schaltet sich ein und bezahlt. Mit Hilfe eines anderen Jesiden schickt er einen Schlepper, der Mutter Kinder von Raqqa in Nordsyrien in sicheres Haus bringt – nahe der irakischen Grenze. Drei Tage später ist es so weit. Abu Mithal bringt die junge Frau aus Syrien zu ihren wartenden Angehörigen. 12 Monate war Huda Elias verschleppt, wurde missbraucht und mehrmals weiterverkauft. Immerhin ihre Töchter konnte sie retten: Sie hat ihnen die Haare abgeschnitten und sie als Jungen ausgegeben, um sie vor den Männern des IS zu schützen.

Stand: 10.07.2019 05:08 Uhr

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