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Ukraine: Jeder Tag kann der letzte sein

Ukraine: Junge Menschen in der Ukraine – sie suchen Halt und Normalität im Krieg, dazu gehört auch Feste zu feiern.
Ukraine: Junge Menschen in der Ukraine – sie suchen Halt und Normalität im Krieg, dazu gehört auch Feste zu feiern. | Bild: IMAGO/ZUMA Wire

Wenn es Nacht wird in Kiew kommt der Hunger. Der Hunger nach Leben, nach Party, nach ein bisschen Normalität. "Jeden Tag lebe ich, als wäre es mein letzter, als gäbe es kein Glück. Wenn jemand fragt, habe ich morgen keine Zeit, schreit meine innere Stimme", singt der Musiker Chas. Ein ukrainischer Künstler, ein Konzert im Bel Etage Club mitten in Kiew. Gut besucht, denn jeder Tag könnte tatsächlich der letzte sein.

Nichts ist mehr, wie es war

Seit zwei Wochen ist der Krieg nach Kiew zurückgekehrt. Mit aller Brutalität. Mehrfach ist die Hauptstadt massiv attackiert worden. Yana Rovinska ist auf dem Weg zur Arbeit. Die 33-Jährige ist Managerin des Cafés Dubler. Ein beliebter Treffpunkt, auch von Helfern, in der Hauptstadt. Besonders für die jungen Menschen hat sich das Leben seitdem verändert. "Es hat zum ersten Mal in Kiew, mitten im Stadtzentrum, Explosionen gegeben. Ich denke, es ist immer furchtbar, wenn es Explosionen gibt. Es war morgens um sieben Uhr und das ist die Zeit, zu der alle Menschen zur Arbeit gehen. Alle sind im Auto unterwegs. Die Bilder davon, ich meine, die sind zehn Minuten später dann da gewesen – mit den brennenden Autos. Und dann realisiert man plötzlich, dass die Freunde betroffen sein könnten. Und man weiß es nicht wirklich und dann fängt man an, in den Chat zu schreiben. Man fragt: Geht es dir gut? Und jeder schreibt: Mir geht’s gut, mir geht’s gut, ich lebe. Das ist etwas, das mir so zum ersten Mal passiert ist. Das möchte ich nie wieder so erleben", erzählt Yana.

Niemand weiß, was noch kommt. Und trotzdem muss das Leben weitergehen. Für alle hier, im Café Dubler. "Ich mache mir um mich selbst keine Sorgen. Ich fürchte mich nicht. Wenn ich sterbe, sterbe ich – das ist alles. Ich weiß nicht, was danach kommt. Ich mache mir Sorgen um meine Familie, um meinen Partner, um meine Katze", sagt sie weiter.

Täglich gibt es derzeit in Kiew Alarm – manchmal mehrmals in der Nacht, manchmal nur für ein paar Minuten, manchmal stundenlang. Die Situation beschäftigt Yana sehr: "Ich möchte keine russischen Menschen auf unserem Gebiet sehen. Ich will, dass alle Gebiete, dass unser Land so wird wie vorher. Ich möchte nicht, dass den russischen Menschen irgendetwas Schlechtes passiert. Sie sollen ihr Leben leben, in ihrem Land leben, wie sie möchten. Ich will nur nicht, dass sie in meinem Land sind. Und ich möchte nicht, dass sie anderen Menschen in anderen Ländern etwas Schlimmes antun."

Seit der letzten Angriffswelle sind mehrere Menschen gestorben, Dutzende verletzt worden. Und trotzdem treffen sich die jungen Leute wieder. Suchen die Gemeinschaft, den Austausch. Eine Stadt zerrissen zwischen Angst und Alltag.

Zurück im Bel Etage Club, die Partys in Kiew beginnen und enden früh. Ab 23 Uhr gilt die Ausgangssperre. "Das Schicksal ist auf Seite der Starken", singen sie auf der Bühne und die Menge singt mit – und weiter: "ich stehe hier und hier bleibe ich." Den jungen Männern bleibt auch gar nichts anderes übrig.

Und spätestens nach dem Wochenende müssen sie alle hier wieder zurück, an ihren Arbeitsplatz oder sogar zurück an die Front: Einen Teil der Einnahmen des Konzertes spendet Chas an die ukrainische Armee. Die Party ist vorbei – der Krieg aber bleibt.

Autorin: Sabine Krebs

Stand: 25.10.2022 13:38 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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