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Ukraine/Rumänien: Flucht vor der Front

PlayMitglied der rumänischen Grenzpolizei mit Fernglas
Ukraine/Rumänien: Flucht vor der Front | Bild: SWR

"Ich versteh nichts von Krieg," sagt Nikolaj. "Hier in der EU sind meine Eltern und mein Bruder, alle verdienen Geld. Das möchte ich auch. So kann ich viel besser helfen, den Krieg zu gewinnen." Nikolaj ist im Norden von Rumänien illegal in der Nacht über die Grenze aus der Ukraine gekommen, hier trennt nur der Fluss Theiss die Ukraine von der EU. Jetzt sitzt der 25-jährige auf der Polizeiwache. Jede Nacht werden Männer aufgegriffen. Nikolaj wird seine Familie in Prag wieder treffen. Das Wort "Fahnenflüchtiger" hört er nicht gerne. Er sei Patriot, kämpfe aber anders für sein Land.

Manche Männer sterben auf der Flucht

Die Temperaturen sind noch winterlich im rumänisch-ukrainischen Grenzgebiet. Wir sind unterwegs mit einem Schmuggler. In diesem Film nennen wir ihn Igor. Igor ist Ukrainer, lebt selbst im Ausland und will unerkannt bleiben. In den nächsten Tagen wird er Nikolaj bei seiner Flucht vor einer möglichen Einberufung helfen. "Wir nähern uns der Grenze zur Ukraine von Rumänien aus. Es sind junge Leute, ich möchte ihnen helfen, über die Grenze zu kommen. Jetzt hat mich eine Mutter sehr darum gebeten ihrem Sohn zu helfen. Ich bin in der Nähe der Grenze geboren. Ich kenne den Weg sehr gut. Auch über den Fluss."

Fluss Theiß
Die Überquerung der Theiß ist gefährlich  | Bild: SWR

Hier im Norden Rumäniens bildet die Theiß eine 63 Kilometer lange Grenze zwischen der Ukraine und der europäischen Union. Auf der ukrainischen Seite hat die Armee Stacheldraht gezogen und Check-Points errichtet. Männer zwischen 18 und 60 Jahren, die das Land auf Grund des Kriegsrechts nicht verlassen dürfen, sollen so an der Flucht gehindert werden. Dennoch versuchen junge Männer es immer wieder manche sterben bei dem Versuch. Vor kurzem veröffentlichte der ukrainische Grenzschutz dieses Video. Es zeigt, wie Rettungskräfte den leblosen Körper eines 23jährigen Mannes aus dem Wasser bergen. Unterwegs auf Patrouille mit der rumänischen Grenzpolizei. Früher jagten sie Zigarettenschmuggler, nun greifen sie täglich 12-15 Männer in diesem Grenzabschnitt auf. "Die meisten Bürger, die die Grenze von der Ukraine nach Rumänien über die Theiß, aber auch über die Berge überqueren, befinden sich in einem schlechten Gesundheitszustand, haben Erfrierungen, haben Knochenbrüche und benötigen medizinische Versorgung", so Lulia Stan, Sprecherin der rumänischen Grenzpolizei.

Immer wieder Grenzübertritte

Im letzten Jahr hat die Polizei in dieser Region 2.000 Ukrainer registriert, die die Grenze illegal überquerten. In Rumänien sind die Männer in Sicherheit und erhalten, wie alle Ukrainer, Schutz in der EU. Bei Anbruch der Nacht treffen wir Igor in einem rumänischen Dorf, direkt an der Grenze. Von hier bricht er auf in den dichten Wald der Karpaten. "Ich werde in die Ukraine gelangen, wenn ich den Fluss überquert habe, bin ich drüben. Morgen treffe ich mich dann mit den Jungs. Wir besprechen den Plan, wie wir zurück nach Rumänien kommen." Dann verschwindet Igor im Wald Richtung Grenze. Am nächsten Tag hören wir nichts von ihm. Am Abend versuchen wir, ihn zu erreichen. Ohne Erfolg. Hat er es über die Grenze geschafft? Wurde er festgenommen?

Schein von Taschenlampen an Grenze
Die Grenze wird streng bewacht  | Bild: SWR

Wir warten im Grenzgebiet. Zwei Tage später dann eine Nachricht von Igor: Mitten in der Nacht will er mit einem 25-jährigen den Stacheldraht überwinden und durch den Grenzfluss schwimmen. "Er hat uns einen Standort geschickt genau auf der anderen Seite. Gegenüber am Fluss auf der ukrainischen Seite und jetzt die Nachricht, dass sie loslaufen. Sie sind zu zweit, dort ist sehr viel Stacheldraht, aber es sind ungefähr 350 Meter von hier bis in die Ukraine." Dann taucht eine rumänische Polizei-Patrouille auf. Mit starken Taschenlampen suchen sie das Ufer ab, genau an der Stelle, an der Igor die Theiss überquere wollte. Sie nimmt einen 25-jähirgen Ukrainer in Gewahrsam. Nass und durchgefroren, aber unverletzt. Doch was ist mit Igor? Wurde er verhaftet oder ist er ertrunken? Völlig unterkühlt taucht er auf der rumänischen Seite auf. Aus Angst vor der Polizei ließ er sich im Fluss treiben, unterschätze die Strömung und wäre selbst fast ertrunken.

Bis zu 10.000 Euro für die Fluchthelfer

Warum tut er das? "Ich werde nicht dafür bezahlt. Ich tue es nur, weil ich ihnen helfen möchte, und sie mich anflehen. Ich werde sehr oft gefragt, ob ich Leute vermitteln kann, die schmuggeln. Sie bieten mir Geld an, 5.000 €. Ich habe nicht zugestimmt und dachte, das sei falsch, ich will damit kein Geld verdienen. Ich helfe nur dort, wo ich die Notwendigkeit sehe zu helfen." Überprüfen können wir Igors Aussagen nicht. In der Ukraine gilt das, was er tut als Menschenschmuggel. Andere Männer berichten, dass sie für die Flucht 1.500 bis 10.000 Euro gezahlt haben. Nach 48 Stunden im Polizeigewahrsam wird der 25-jährige Nikolaj von der rumänischen Asylbehörde registriert. Und erhält eine Aufenthaltsgenehmigung für die EU. In der Ukraine fühlte er sich nicht mehr sicher. "Ja, ich habe mir Sorgen gemacht, dass ich einberufen werde, dass ich in den Krieg ziehen muss. Meine Eltern haben sich Sorgen um mich gemacht. Ich blieb zu Hause, hielt mich bedeckt. Dann habe ich mich entschieden, über die Grenze zu gehen.

Flüchtling Nikolaj im Auto
Nikolaj hat es geschafft  | Bild: SWR

Es gibt viele, die einberufen wurden. Einige haben sich auch freiwillig gemeldet. Sie sagten mir, ich solle bloß nicht dort hingehen. Dort ist es schrecklich. "Mutter und Vater lebten schon vor dem Krieg in Tschechien. Sein Bruder floh wie er illegal über die Grenze. Nikolaj denkt oft an die Freunde, die ihr Leben an der Front riskieren. Er ist Patriot, glaubt aber der Ukraine aus dem Ausland besser helfen zu können als im Schützengraben: "Ich war weder in der Armee noch habe ich jemals eine Waffe in der Hand gehabt. Ich will arbeiten gehen und mein Heimatland finanziell unterstützen. Sonst kann ich nichts tun. Ich habe Angst, ich will nicht in den Krieg." Nach über einem Jahr sehen Mutter und Sohn endlich wieder. "Ich war besorgt, aber als er mich tatsächlich angerufen hat, als ich seine Stimme gehört habe, da habe ich mich sehr gefreut. Hauptsache, dass er gesund ist, dass ist das Wichtigste." Nikolaj wird erstmal in Tschechien bleiben. Seine Familie hat ihn bereits einen Job besorgt.

Autor: Florian Barth

Stand: 02.05.2023 09:24 Uhr

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