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Ungarn und die EU: Die Orban-Story

PlayUngarns Ministerpräsident Viktor Orban
Ungarn und die EU: Die Orban-Story | Bild: BR

So haben ihn wohl die wenigsten schon mal gesehen: Verwegen, rebellisch, Typ Che Guevara. Viktor Orban 1988, mit Vokuhila, manchmal mit Ohrring, Interviews im Schneidersitz. Als Student gründet er die Allianz Junger Demokraten, kurz: Fidesz. Ein Straßenkämpfer ist er, sagt er noch heute: Er fordert Schluss mit Kommunismus und Sowjetherrschaft. Und vor allem: Freiheit für das ungarische Volk.

Es klingt fast unglaublich. Wie ist aus dem Viktor Orban von damals der von heute geworden, der Blockierer oder Scharfmacher wie manche sagen? Wir suchen die Archive durch, lesen Dokumente nach – und sprechen mit seinen Weggefährten, um diese Wandlung zu verstehen.

1998 war bei Viktor Orban der Bart ab. Zehn Jahre nach der Wende wird er erstmals Regierungschef. Orban zählt damals zu den Liberalen. Doch überraschend verliert Orban die nächsten beiden Wahlen. Später stellt sich heraus: auch weil die Konkurrenz massiv über den Zustand der Staatsfinanzen gelogen hat. Es ist der Moment, wo Orban offenbar entscheidet, sich zu rächen, egal wie.

Vom Liberalen zum Autoritären

Es beginnt die Geschichte des autoritären Viktor Orban: 2010 gewinnt er die Wahlen – ein Erdrutschsieg mit zwei Drittelmehrheit. Verfassungsänderungen? Kein Problem.

Im Archiv stößt man aus dieser Zeit auf Bilder, die nichts mehr mit Orban, dem Mann von Freiheit und Demokratie zu tun haben: Rechtsextreme auf den Straßen – Orban tut nichts dagegen. Die Macht der Richter am Verfassungsgericht beschneidet er rigoros. Und in kritischen Medien bangen Journalisten um Jobs und Sendelizenzen.

Auch die EU merkt, dass in Ungarn einiges schiefläuft. Orban wird öfter vorgeladen – und tritt auf wie ein Volkstribun. Körpersprache: Ihr könnt mir gar nichts.
Viviane Reding war die Frau, die Orban damals auf die Finger schaute als EU-Kommissarin für Justiz und Grundrechte. Auch sie ist wie Orban in der EVP – doch auf Rückendeckung ihrer Partei konnte sie nicht zählen: "Orban wurde geduldet in der EVP, auch weil er viele Stimmen gebracht hat. Man hat immer gehofft, das würde sich ja einrenken, er würde langsam, aber sicher zur Vernunft kommen. Nur ist er nicht langsam, aber sicher zur Vernunft gekommen: Er ist langsam, aber sicher immer mehr abgedriftet."

Sein eigenes Land hat Orban fest im Griff: Kritik aus Brüssel ist nervig, aber nicht gefährlich. Seit 2015 jedoch, seit der Flüchtlingskrise, will Orban mehr: Er baut Zäune, gibt sich als Retter des christlichen Abendlandes, als der wahre Europäer. Migration, China-Politik, Klimaziele – zuletzt die Haushaltsverhandlungen: Der Mann aus dem Zehn-Millionen-Einwohner-Land drückt mittlerweile der ganzen EU seinen Stempel auf.

Die EU als Helfer

Die Geschichte des Viktor Orban – die EU hat sie mit ermöglicht. Die Mitgliedschaft in der EVP brachte ihn prestigeträchtig an den Tisch der Großen. Die Subventionsmilliarden sichern seine Herrschaft zuhause. Und die EU-Verträge mit all ihren Veto-Möglichkeiten geben Orban Macht, in Brüssel vieles zu erzwingen – rausschmeißen aber kann ihn niemand.

Viktor Orban: Vom Freiheitskämpfer zum Quasi-Alleinherrscher. Und diese Geschichte wohl noch lange nicht zu Ende.

Autor: Markus Preiß, ARD Brüssel

Stand: 06.12.2020 20:18 Uhr

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