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USA: Die "Ghost Army" – tricksen, täuschen, ablenken

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USA: Die "Ghost Army" – tricksen, täuschen, ablenken | Bild: ARD

Er ein Meister der Täuschung und Verschleierung, 80 Jahre lang ein Geist. Jetzt, mit 100, ist er ein strahlender Held im Rampenlicht. Bernard Benjamin Bluestein. Heute, der größte Tag seines Lebens. Er bekommt die Goldmedaille vom US-Kongress. Die höchsten Ehren. "Ich bin ein Einzelgänger, dachte ich würde für immer einer bleiben, aber jetzt das. Ein neues Leben!", sagt er.

Über das sich leider nur noch er, sein Freund Seymour Nussenbaum und ein weiterer Kamerad freuen können. Fast alle der einstmals 1.100 Mann starken Brigade sind längst tot. Sie waren die Ghost-Army. Ihr Uniform-Abzeichen: ein Geist. Eine Einheit, die es offiziell nie gab. Ihre Mission: Top Secret! Rick Beyer lüftete das Geheimnis der Geisterarmee, kämpfte für die späte Anerkennung ihrer Leistungen: "Ich hätte heulen können. Man wird sie nie vergessen, sie sind jetzt für immer in die Annalen der amerikanischen Geschichte eingegangen."

Kunst auf dem Schlachtfeld

USA: Den Feind täuschen – das Ziel der Ghost Army.
USA: Den Feind täuschen – das Ziel der Ghost Army. | Bild: WDR

Bilder des US-Verteidigungsministeriums belegen die atemberaubenden Täuschungsmanöver: Aufblasbare Panzer, Flugzeuge, Funksprüche und Soundeffekte um die Deutschen auf den Schlachtfeldern Europas in die Irre zu führen. Ausgeführt von Künstlern, nicht von Soldaten. "Ich wusste, ich muss zur Armee. Ich war Kunststudent. Da sah ich eine Anzeige der Regierung: Neue Camouflage-Einheit. Attraktiv waren die beiden Worte: Keine Kampfhandlungen!", erzählt Bluestein.

Bernie Bluestein und seine Kameraden kommen im Juni 1944 nach Europa. Sie sollen sich nicht auf scharfe Waffen verlassen, sondern auf Kreativität, Attrappen und Humor. "Da stand einmal ein Franzose und hat sich total gewundert, als vier von uns einen Panzer hochgehoben und weggetragen haben. Tja, wir Amerikaner sind eben einfach wahnsinnig stark", erinnert er sich.

Der tollkühne Plan geht auf. "Die Geisterarmee hat 22 generalstabsmäßig geplante Täuschungsmanöver durchgeführt – in Frankreich, Luxemburg, Belgien und Deutschland. Sie haben so Tausende Leben gerettet und den Feind erfolgreich hinters Licht geführt", erklärt Rick Beyer. Er sammelt alles, um die Geschichte der Geisterarmee zu dokumentieren: "Überleg mal, diese Uniform ist 80 Jahre alt. Ein Geisterarmee-Soldat hat sie getragen und ich kann sie anfassen und so mit der Geschichte verbunden sein. Wie aufregend."

Die Männer kommen in der Nacht, spielen Geräusche von Tausenden Marschierenden und Funksprüche über Lautsprecher ein, um den Spähern der Nazis im Morgengrauen massive Truppenbewegungen vorzugaukeln. Dokumentiert vom Pentagon: Kriegs-Theater, um die Aufmerksamkeit des Feindes zu erregen und dessen tödliche Angriffe möglichst ins Leere zu lenken. "Das klingt heute alles unglaublich spielerisch und amüsant und dennoch: Es war Krieg! Viele haben Traumata erlitten und drei sind gestorben für diese Mission", sagt Rick Beyer.

Der grausame Kriegsalltag wird zu Kunst: Denn in jeder Manöverpause zücken die Geister-Künstler Bleistift und Pinsel. Das Museum der US-Armee stellt die Sammlung jetzt aus und in Bernie Bluestein werden Erinnerungen wach: "Das war mein Stockbett, das war voller Ungeziefer. Die Deutschen waren vor uns da und die waren schmuddelig. Sorry, dass ich das sagen muss."

Die Landung in der Normandie vor fast 80 Jahren – Bernie Bluestein war dabei. Eine Selbstmordmission – nicht das, was man ihnen versprochen hatte: Plötzlich wurden aus Pinseln Gewehre, aus Farben Munition. "Wir sind direkt in den Feind hineingerannt. Sie haben uns rüberkommen sehen. Sie schossen auf uns. Bernie Bluestein überlebt den Einsatz schwer traumatisiert. Später zurück in den USA darf er nicht über seine Erlebnisse sprechen, muss ein Geist bleiben. Er versucht zu vergessen. Durch die Kunst. Kunst ist das wichtigste für mich. Ich bin jetzt 100 Jahre alt. Die Kunst hält mich am Leben", erzählt er.

Kreativität als Konstante in jedem Lebensabschnitt

USA: Geehrt vor dem US-Kongress – die Mitglieder der geheimnisvollen Ghost Army.
USA: Geehrt vor dem US-Kongress – die Mitglieder der geheimnisvollen Ghost Army. | Bild: WDR

Zeichnen, meißeln, gießen, schleifen, schnitzen seit er in Rente ist, besucht er Kunstkurse am College, schafft beeindruckende Skulpturen. Seine Kommilitonen sind locker 80 Jahre jünger als er, aber nur auf dem Papier. "Er hat so eine kindliche Energie. Das liebe ich! Er motiviert mich total mein Leben lang mit der Kunst weiterzumachen", sagt Olivia Maliszewksi.

Bernie Bluestein inspiriert die Generationen der Zukunft mit seinen Werken, aber er sorgt sich auch um sie. Die aktuelle Weltlage macht ihn traurig: "Denn wir verschwenden Menschenleben. Ich meine, wir werden immer schlauer, wir fliegen zum Mond, besiegen Krankheiten, aber den Frieden zu wahren, das gelingt uns nicht." Bernies Familie ist glücklich, dass er überlebt hat und stolz auf seinen Mut. "Als in der Schule war, habe ihn gefragt, was er in der Armee gemacht hat. Er hat nur gesagt, dass er Camouflage macht, damit der Feind sie nicht sehen konnte", erzählt Aleyse Bluestein und Keith Bluestein sagt: "Er hat sein Leben geopfert, ohne Waffen zur Verteidigung, sehr mutig. Dies ist wie der Oscar für die Ghost Army."

"Früher eine diverse Truppe die zusammenarbeiten musste, von Elvis bis Beethoven, aber die haben sich zusammen gerauft. Heute schlachten sie sich gegenseitig", sagt Rick Beyer.

Autorin: Gudrun Engel / ARD Washington

Stand: 26.05.2024 18:32 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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