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USA: Umweltrassismus am Mississippi

PlayWohnhaus mit Industrieanlagen im Hintergrund
USA: Umweltrassismus am Mississippi | Bild: SWR

Cancer Alley, die Allee der Krebskranken, so nennen sie hier die Siedlung entlang des Ufers. Wohnhäuser in Sichtweite von Industrieanlagen. Der Friedhof ist fast vollständig umgeben von einer der 150 Raffinerien und Chemiefabriken entlang des Flusses. Der Platz geht aus, denn hier sind viele begraben, die an Krebs gestorben sind. Die Krebsrate ist signifikant höher als anderswo. Und die meisten der Toten sind Afro-Amerikaner. "Wir waren hier, bevor die Industrie kam. Das ist unser Zuhause. Ich bin die fünfte Generation, die Ur-, Ur-, Ur-, Ur-Enkelin einer phänomenalen Frau, die 1874 aus der Sklaverei befreit wurde. Sie hat hier 34 Hektar Land gekauft, das unserer Familie noch heute gehört." sagt Barbara Washington, Aktivistin. Das sei eindeutig rassistische Industriepolitik, sagt sie. Denn die reicheren weißen Orte lägen weiter weg, weg von den krankmachenden Industrieanlagen.

Selbst der Friedhof liegt bei den Chemiefabriken

"Cancer Alley" – die Allee der Krebskranken. So nennen sie diese Gegend entlang des Mississippis. Wohnhäuser in Sichtweite zu Industrieanlagen. Mittendrin dieser Friedhof. "Meine Mutter liegt hier begraben. Sie und ihre jüngste Tochter. Sie sind beide an Krebs gestorben", erzählt Robert Taylor, Aktivist bei den "Concerned Citizens of St. John's Parish". "Ihr Bruder, ihre Schwester, beide an Krebs gestorben. Onkel Johnny auch. Genauso wie sein Sohn Johnny Jones." Wenn Robert Taylor am Grab seiner Familie steht, hat er eine der über 150 Raffinerien und Chemie-Fabriken entlang des Mississippis immer im Blick. Die macht er für die Krankheiten verantwortlich. "Sie missachten uns völlig. Sogar im Tod. Sie kommen her und bauen ihre Anlage direkt am Friedhof. Die schwarze Bevölkerung ist zum Aussterben verdammt. Wir können hier nicht überleben." "Halten Sie das für Rassismus?" "Das ist unverhohlener Rassismus."

Mann steht auf Friedhof vor Grabstein, im Hintergrund Industrieanlagen
Hier liegen viele, der an Krebs gestorbenen Anwohner begraben | Bild: SWR

Klare Worte! Aber Es sind nicht die Toten seiner Familie, für die Robert Taylor kämpft. Er will durch eine Initiative, die er gegründet hat, vor allem die Kinder schützen. Mehr als die Hälfte der Menschen, die in Roberts Gemeinde leben, ist Schwarz. Viele in der Gegend kennen jemanden, der an Krebs gestorben ist. Oder Krebs hat. So wie Gail LeBoeuf. Sie leidet an Leberkrebs. "Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass irgendein bekannter krebserregender Stoff meinen Krebs ausgelöst hat. Aber es kann auch niemand mit Sicherheit das Gegenteil beweisen." Fast ihr ganzes Leben hat sie hier verbracht. "Hier bin ich aufgewachsen. Bin auf diesem Damm gelaufen, habe dort meine Hausaufgaben gemacht. Samstags und sonntags Bücher gelesen und die vorbeifahrenden Schiffe angeschaut."

Industrie vor allem dort wo Schwarze wohnen

Mehr als 3.700 Kilometer ist der Mississippi lang. Früher arbeiteten in dieser Gegend am Ufer Sklaven auf Plantagen. Aus den Plantagen seien heute Industrieanlagen geworden. Ausgerechnet ihnen, den Nachfahren der Sklaven, werde nun wieder Unrecht getan. So sehen es Gail und die anderen Mitgründerinnen der Initiative "Inclusive Louisiana". Sie haben Klage eingereicht – unter anderem gegen ihren Gemeinderat. Dem werfen sie vor, er verhindere nicht, dass die Industrieanlagen vor allem in hauptsächlich Schwarzen Communities zugelassen würden – so die Klageschrift. "Wir waren hier, bevor die Industrie kam", sagt Barbara Washington, Aktivistin bei "Inclusive Louisiana". "Das ist unser Zuhause. Ich bin die fünfte Generation, die Ur-, Ur-, Ur-, Ur-Enkelin einer phänomenalen Frau, die 1874 aus der Sklaverei befreit wurde. Sie hat hier Land gekauft, das unserer Familie noch heute gehört."

Industrieanlagen direkt neben dem Fluss Mississippi
Im südlichen Abschnitt des Mississippi hat sich vor allem petrochemische Industrie angesiedelt  | Bild: SWR

Zweimal im Monat sitzt der Gemeinderat zusammen. Barbara Washington nimmt oft an den Sitzungen teil. Hier ist Jason Amato Vizepräsident. Er selbst will sich zu den Vorwürfen wegen des laufenden Verfahrens nicht äußern, sieht aber keine Gefahr durch die Industrie. Er hat lange für Shell gearbeitet. "Ich bin der lebende Beweis – nach 37 Jahren in der Industrie. Es ist sicher. Dabei will ich es belassen." "Nicht als Gemeinderat, sondern als Anwohner: Haben Sie Angst?" "Nein! Sie sind ja selber hergefahren zu diesem Treffen und Sie haben gesehen, wie schön unsere Gemeinde ist. Hier ist es sicher. Die Industrie tut alles, um das Risiko zu minimieren."

Hohe Krebsraten bei Schwarzen und sozial Schwachen

Etwa 20 Kilometer weiter flussabwärts, die gleiche Gemeinde am gegenüberliegen Ufer des Mississippis. Hier leben Gail und ihr Mann Rene. In dieser Straße haben sie ihre Kinder großgezogen. In direkter Nachbarschaft, auf diesen Feldern, sollten Tanks gebaut werden. Acht Jahre lang haben sie mit ihrer Initiative dagegen angekämpft – am Ende erfolgreich. Liegt das an der Hautfarbe? "Haben Sie das Gefühl, dass der Kampf für Schwarze härter ist als für Sie?" "Ich weiß es nicht", meint die Aktivistin Gail Zenringue. "Viele unserer Politiker sind Schwarz." Aus ihrer Sicht gehe es nicht nur um Rassismus. Der Kampf gegen die Industrie sei generell schwer, weil die Politik ein zu großes Interesse an den Fabriken und Raffinerien entlang des Flusses habe, sagen die beiden. "Es ist sehr frustrierend. Ich habe das Gefühl, sie hören uns nicht zu. Sie wollen die Industrie, das Geld, sie wollen die Jobs. Aber es gibt Jobs."

Menschen bei Protestveranstaltung gegen
Anwohner protestieren gegen die Umweltverschmutzung | Bild: SWR

Auch wenn das, was den Schwarzen Communities passiert, aus ihrer Sicht nicht ausschließlich Rassismus sei: Sie finden es ungerecht. Deshalb sind Gail und Rene gekommen. Zu dieser Pressekonferenz einer weiteren kleinen Initiative, die für die Rechte der Nachfahren der Sklaven kämpft. Genau wie die Wissenschaftlerin Kimberley Terrell. Sie hat in allen Gemeinden Louisianas untersucht, in welchem Zusammenhang die Krebsraten mit der Luftverschmutzung stehen. "Wir haben festgestellt, dass People of Colour und einkommensschwache Gemeinden – betroffen von starker Umweltverschmutzung – ungewöhnlich hohe Krebsraten haben. Diese liegen weit über dem, was man allein aufgrund anderer Faktoren erwarten würde." "Ist das Umweltrassismus? Oder wie nennt man das?" "Die Gesundheit leidet definitiv wegen der Diskriminierung. Man kann das gesundheitliche Ungleichheit nennen."

Mittlerweile untersucht auch die nationale Umweltschutzbehörde die Vorwürfe. Dafür hatte sich Robert Taylor eingesetzt. Er und andere Aktivistinnen und Aktivisten sind ins Weiße Haus geladen. "Nun, das ist ein historischer und beispielloser Tag für mich. Ich bin dankbar, hier zu sein. "Dass die US-Regierung ihn und die anderen kleinen Initiativen endlich anhöre, sei ein Hoffnungsschimmer, sagt Robert Taylor. Aber nun müsse sich vor Ort etwas ändern. Er will nicht aufhören zu kämpfen, bis seiner Community und all den anderen zu Hause an der "Cancer Alley" Gerechtigkeit widerfahre.

Autorin: Sarah Schmidt, ARD-Studio Washington

Stand: 21.05.2023 22:00 Uhr

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