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Venezuela: Revolution gescheitert

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Venezuela: Revolution gescheitert | Bild: SWR

Seit er denken kann, nennen die Leute ihn Che, wen wundert‘s? Humberto Lopez, wie der Mann eigentlich heißt, verehrt Che Guevara und war Weggefährte von Venezuelas verstorbenem Präsidenten Hugo Chavez. "Chavez ist für mich – Gänsehaut.", sagt er. "Und ich glaube an keinen Gott. Chavez übernahm die Fahne von Che. Als Revolutionär kämpfte er gegen die Ungerechtigkeit an unserem Volk. So einen Realisten bräuchte Venezuela jetzt wieder – nicht die Kommunisten die uns jetzt regieren."

Die Menschen hungern wieder

Wohnviertel mit heruntergekommenen Häusern in Venezuela
Ein Armenviertel in Venezuela. | Bild: SWR

Präsident Nicolás Maduro lässt sein Volk hungern. Alle sind betroffen, nicht nur in den Armenvierteln. Marta Hernandez ist enttäuscht von der sozialistischen Regierung, sie hat Kummer, weil sie ihre 13 köpfige Familie nicht mehr ernähren kann und weil ihre Tochter vorigen Monat gestorben ist. "Schau Dir meinen Kühlschrank an, was siehst du? Wasser, und Licht. Heute habe ich mal wieder gar nichts.", sagt sie. "Im Schrank? Nichts! Ich muss jetzt auch für die kleinen Kinder meiner Tochter sorgen. Ich mache ihr keinen Vorwurf, es war Gottes Wille. Aber ich bin verzweifelt, seit dem sie am Hirnschlag gestorben ist. Einen Tag nachdem sie so viele Stunden in der Sonne in der Schlange am Supermarkt angestanden hat."

"Herr Präsident, Himmel nochmal! Sie müssen das doch einsehen, dass Sie das Volk nicht mehr versorgen können, und die Opposition genauso, alle beide, seht ein, dass Kinder sterben, weil ihnen Arznei fehlt und was zu Essen.", regt sich Humberto Lopez auf.

Chavez wird noch immer verehrt

Doch nicht alle, die bedingungslos hinter Hugo Chavez standen, haben bemerkt, dass Nachfolger Nicolas Maduro offensichtlich nicht zum Präsidenten geboren ist. Wohlstand hat der Chavismus nicht gebracht, aber er hat vielen eine Aufgabe gegeben, und Selbstbewusstsein.

Wahlplakate mit Bild von Hugo Chavez und Nachfolger Nicolas Maduro
Hugo Chavez und sein Nachfolger Nicolas Maduro. | Bild: SWR

Jerusalen Gomez von der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas erfüllt ihre Aufgabe mit Stolz. Sie sammelt Namen. Die Partei hat begonnen Lebensmittel abzufangen und selbst zu verteilen. Wer es auf Jerusalens Liste schafft, bekommt was ab. Doch verteilt wird in Gebäuden der sozialistischen Partei, eher unwahrscheinlich also, dass Oppositionswähler auch ein Hühnchen abkriegen. Doch Jerusalen Gomez sagt: "Unsere Türen stehen natürlich jedem offen, der in Frieden kommt und die guten Ideen unseres Kommandanten unterstützt um etwas zum Gelingen unserer Sache beizutragen, das ist die Wahrheit."

Vorteile für Wenige

Ihr selbst bringt es durchaus Vorteile, dass sie die Ideen von Comandante Chavez auch noch unter Präsident Maduro unterstützt, auch wenn der das Land in eine beispiellose Wirtschaftskrise gestürzt hat. Die Personendaten die sie sammelt sind der Partei was wert. Computer, gleich ein paar Fernseher, sage und schreibe vier Kühlschränke, zwei davon noch verpackt, die anderen gut gefüllt.

"Leider kann ich dir noch kein Hühnchen zeigen, die hole ich erst später. Aber ansonsten fehlt es an nichts. Wir haben Milch, Mehl, Reis.", sagt Jerusalen Gomez.

Humberto Lopez alias Che
Der "Che" (Humberto Lopez). | Bild: SWR

"Ich versichere Dir, von den Funktionären hat keiner Probleme seinen Kühlschrank voll zu kriegen.", meint Humberto Lopez. "Die Korruption ist es, die unsere Revolution auffrisst, unser Land, die Staatskasse und am Ende werden sie sich alle gegenseitig fressen."

Die Kinder sterben weil es keine Medikamente gibt

Venezuelas Politiker, ob Regierung oder Opposition haben so viel mit sich selbst zu tun, dass sie auch das Gesundheitswesen verkommen lassen. Die Notaufnahme eines staatlichen Krankenhauses drehen wir heimlich, denn die Regierung will nicht, dass solche Bilder um die Welt gehen. Viel mehr als ein Pflaster haben die Ärzte hier nicht mehr zu bieten.

Dramatisch, die Situation auf der Kinderkrebsstation. Die Ärzte hier behandeln kaum noch, müssen zusehen, wie ihre kleinen Patienten sterben. Solange der Wachdienst uns nicht bemerkt, hören wir zu, was sie und die verzweifelten Eltern uns zu berichten haben. Eine Mutter erzählt: "Gestern ist der Junge im Nachbarzimmer gestorben. Es gibt keine Chemotherapie mehr. Das ist so hart. So hart. Meine Kleine kämpft, ihre Blutwerte müssen besser werden. Aber wie, wenn es keine Medikamente mehr gibt?" Fiorela ist sieben und hat Leukämie. Anfangs haben ihre Eltern, beide Lehrer, die Medikamente selbst aus dem Ausland beschafft, aber jetzt haben sie kein Geld mehr.

Das Gesundheitswesen liegt am Boden

Lange Warteschlange vor einer Apotheke
Die Menschen warten in einer langen Schlange vor einer Apotheke. | Bild: SWR

Dann entdeckt uns der Sicherheitsdienst und wirft uns raus. Aber einer der Ärzte sagt, wir sollen noch einmal wiederkommen, die Polizisten würden früh Feierabend machen. Er riskiert seinen Job, als er uns Stunden später in die Pathologie, im Keller des Krankenhauses führt. Dass die Kühlanlage für die Leichen nicht funktioniert, sagt er, ist sein kleinstes Problem. "Bei der Diagnose sind wir auf diese Maschinen angewiesen. Sie helfen uns herauszufinden, ob ein Tumor gut- oder bösartig ist. Wir brauchen sie, um Krebs zu erkennen.", erzählt ein Arzt. "Leider funktionieren die Maschinen hier nicht. Die Verantwortlichen kennen die Situation, aber auf unsere Fragen bekommen wir keine Antworten mehr."

Kritiker werden bedroht

Mehr noch, wer fragt oder kritisiert wird nicht selten bedroht, so auch Humberto Lopez, einst einer der Vordenker der sozialistischen Idee in Venezuela. "In meinem eigenen Viertel haben meine ehemaligen Freunde auf mich geschossen, aber nur mein Auto getroffen. Sie sollten mich zum Schweigen bringen.", sagt er. "Aber ich spreche weiter, ich bin ja nicht der Präsident, ich kann die Wahrheit sagen." Chavez würde es richten, daran glaubt er fest. Aber die jetzige Regierung, verrate sein Erbe. Deshalb steht Chavez‘ Idee vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts kurz davor, zu scheitern.

Eine Reportage von Peter Sonnenberg (ARD-Studio Mexiko)

Stand: 12.07.2019 10:19 Uhr

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