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Brasilien - Wut im WM-Land

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Brasilien - Wut im WM-Land | Bild: WDR
Brasilien - Wut im WM-Land

Mit dem Bus und in Begleitung der Mutter kommt die 10-jährige Juliana zur Schule. In die zehntbeste in ganz Brasilien! Und die liegt in prominenter Nachbarschaft. Direkt neben dem legendären Maracana. Dem Fußballheiligtum Brasiliens, das jetzt fitgemacht wird für die WM und dafür soll Julianas Grundschule zum Ende des Schuljahres abgerissen werden.

O-Ton Juliana Araujo, Schülerin

»Sie zerstören eine Schule wegen ein paar Fußballspielen. Das ist nicht gut! Das wollen wir nicht. Wie können die das wollen? Alle Leute, die ins Stadion gehen, selbst die Fußballspieler, die waren doch auch einmal in einer Schule.«

Massendemonstrationen
Massendemonstrationen

Für Sportveranstaltungen gibt der Staat Milliardenbeträge aus, aber nicht für die wahren Bedürfnisse. So die Klagen der Jugend und Mittelschicht. Mehr Geld für Bildung ist eine ihrer Kernforderungen. Wie paradox, dass wegen der Fußball WM auch noch die Schule neben dem Maracana verschwinden soll, findet auch Julianas Lehrerin.

O-Ton Carolina Martins, Lehrerin

»Unsere Schule liegt schon seit Jahrzehnten hier direkt am Maracana und sie hat nie gestört. Über all die Zeit, das ganze Jahr über, war sie immer im Dienste der Bevölkerung. Die großen Sportereignisse sind aber nur temporäre Veranstaltungen.«

Polizisten
Polizisten

12 Stadien sind für die WM gebaut worden. Und manches, wie das in Brasilia wird wohl nach der WM ungenutzt herumstehen. Romario, Ex-Weltmeister und Parlamentsabgeordneter, klagt in einer Videobotschaft über die Vorgaben der FIFA.

O-Ton Romario

»Das Geld für den Bau dieses Stadions, hätte gereicht, um 150.000 Häuser zu bauen, für Familien die nichts haben.«

Brasilien hat sich die letzten Jahre zur sechstgrößten Volkswirtschaft katapultiert. „Aber wenn Dein Sohn krank ist, bring ihn ins Stadion“, so steht es auf diesem Protestschild. Denn im Gesundheitswesen kam der Wirtschaftsaufschwung nicht an. Da hat sich nichts verbessert. Es ist marode und es fehlt an allem.

O-Ton Rodolfo Acatauassú. Krankenhausdirektor Rio

»Fußballspielen kann man überall. Wenn es sein muss auch auf einem Acker. Für Stadien haben sie Geld. Nicht aber für die Gesundheit. Aber wenn Du Krankheiten behandeln und Patienten versorgen willst, dann braucht man einfach gute Hospitäler.«

Polizeieinheit
Polizeieinheit

Massive Polizeieinsätze, Gewalt gegen die Protestierenden und Verletzte. Vielerorts standen den Demonstranten Polizeieinheiten gegenüber, die sonst die Drogenbanden bekämpfen. Dieses Vorgehen hätte zu der Gewaltspirale deutlich beigetragen, so die Protestbewegung.

Brasilien erlebt Massendemonstrationen. Über eine Million, die landesweit protestieren. Das gab es seit Jahrzehnten nicht. Auslöser waren die Preiserhöhungen des Nahverkehrs in Sao Paulo, die mittlerweile zurückgenommen wurden.

O-Ton Ricardo Ismael, Politologe PUC-Universität, Rio de Janeiro

»Als die Polizei begann, bei den Protesten gegen die Fahrpreiserhöhung mit Gewalt die Demonstrationen zu stoppen, da kam die Bewegung erst recht in Schwung. Von diesem Moment an haben sich Brasilianer aus allen schichten angeschlossen. Und jeder hat seine Forderungen und seine Unzufriedenheit mitgebracht.«

Die Regierung hat nun Reformen angekündigt. Der Präsidentin gibt die Protestbewegung die Chance ihre Versprechen in Taten umzusetzen. Schließlich ist Dilma Rousseff nach wie vor populär, auch weil sie selbst in den Sechzigern gegen die damalige Militärregierung kämpfte.

Proteste in Brasilien
Proteste in Brasilien

Wut im WM Land. Die Brasilianer wollen Veränderungen und das schnell. Statt Stadien lieber Schulen. Der Ball liegt jetzt bei der Regierung.

O-Ton Demonstrant

»Überall fehlen die Mittel. Sie nehmen die Gelder und machen Feste, mit unserem Geld. Aber wir brauchen Verbesserungen für unser Land.«

O-Ton Demonstrant

»Wir haben schon allen Bescheid gegeben, dass wir hier solange bleiben, bis von offizieller Seite tatsächlich etwas passiert.«

Das Brasilienbild hat sich verändert. Und viele sagen, die Demokratie im Land sei durch die Proteste stärker geworden.

Autor: Michael Stocks, ARD Studio Rio de Janeiro

Stand: 15.04.2014 11:18 Uhr

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