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Bangladesh: Die Todesgrenze

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Bangladesh: Die Todesgrenze | Bild: WDR

Sie weint um ihren Sohn. Ein Jahr schon.
"Oh Allah", ruft sie. "Warum tust du nichts?"
Der Schmerz geht nicht weg. Draußen ist das Dorf zusammengelaufen. Sie weint wieder. Jeder hier weiß, was passiert ist. Indische Soldaten erschossen den Sohn. Als er 17 war. Er hat Kühe über die Grenze gebracht. Nun ist er tot. Die Männer der Familie, würden am liebsten weglaufen.

Bruder:
"So um Mitternacht haben sie auf ihn geschossen. Erzählt der Bruder. Er starb gleich dort. Sie haben später nur seine Leiche gebracht. Hier vor dem Haus haben sie sie abgelegt."

Vater:
"Sie kamen mit der Leiche. Ich war geschockt. Jeder hat geweint. Warum töten diese Soldaten? Sie hätten ihn doch vor Gericht stellen können. Fünf Jahre Gefängnis – meinetwegen. Aber ihn umbringen? Wer hat ihnen das Recht dazu gegeben?"

Dass sie überhaupt reden. Sie haben Angst. Die Mutter hat kaum die Kraft, die Fotos anzuschauen. Der tote Sohn im goldenen Rahmen. Die Worte der Schwiegertochter hört sie nicht.

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Weltspiegel | Bild: WDR

Der Ort, der das Unglück brachte, liegt nur wenige hundert Meter entfernt. Hier in Basantapur endet Bangladesch und Indien beginnt. Die Menschen sind arm. Arbeit gibt es so gut wie keine. Deswegen schmuggeln viele. Am liebsten Kühe aus Indien. Denn in Bangladesh dürfen sie geschlachtet werden. Der Schmuggel bringt viel Geld. Ein Monatslohn in einer Nacht.

Auch der dritte Sohn der Familie ging einmal alle zwei Wochen über die Grenze. Er nimmt uns mit an den Ort. Ein Fluss. In der Nacht schwamm er rüber, holte die Kühe.

Bruder:
"Hier bin ich immer in den Fluss. Aber einmal am frühen Morgen sahen die indischen Soldaten mich. Sie zogen mich raus. Brachten mich ins Gefängnis. Dann haben sie mich immer wieder geschlagen den ganzen Tag. Ich wurde bewusstlos."

Eine Hilfsorganisation aus Bangladesh und Human Rights Watch dokumentieren die Fälle. Über die sonst niemand spricht.

Felani war 15. Blieb im Stacheldraht hängen, schrie. Und wurde erschossen. Oder Mohammad. Kugeln streiften ihn. Dabei hatten seine Komplizen die Soldaten extra bestochen.

Die andere Seite: Indien. Hier wird aufgerüstet. Zäune, Stacheldraht. Drehen können wir das nur heimlich. Offiziell ein Zaun gegen Terroristen. Aber er zerschneidet das Land. Teilt Familien. Opfer gibt es auf beiden Seiten. 1000 Tote in Bangladesch. Hunderte in Indien. Sagen die Hilfsorganisationen.

Kirity Roy weiß gar nicht, wo er anfangen soll. Seine Fotos schockieren. So sehr, dass wir sie verfremdet haben. Eine Terrorzone sei es, sagt er.

Kirity Roy, Hilfsorganisation Masum:
"Kein Gericht kontrolliert, was hier passiert. Die Soldaten können schießen, töten, sie können jedes Haus betreten. Sie können vergewaltigen. Und Gerechtigkeit von der Justiz? Die gibt es nicht. Weil: In Indien ist die Justiz die korrupteste Organisation. Du musst für alles zahlen, für alles!"

Wieder Dörfer voller Angst, diesmal aber die indische Seite. Es ist die Angst vor den eigenen Soldaten. Wir fahren nach Durgator, einen Kilometer von der Grenze entfernt. Geschmuggelt wird auch hier. Wir erfahren: Wer zahlt, wer besticht, wer die eigene Frau den Soldaten zum Sex anbietet. Dem helfen sie. Aber alle anderen müssen um ihr Leben fürchten.

Utthan Kumar Bansal,
Generaldirektor Indischer Grenzschutz:
"Was soll so ein junger Soldat machen? Mitten in der Nacht mit einer Waffe? Wenn er umringt ist von 20-30 Schmugglern. Und 200 Kühen. Dann greifen sie ihn auch noch an. Was soll er machen? Er muss sich doch verteidigen."

Zurück in Bangladesh treffen wir zwei Schlepper. Auch sie verdienen an der Todesgrenze. Wir bringen die Leute rüber, sagen sie. 500 Rupien. 7 Euro kostet es.

Agenten:
"Die Soldaten machen ihre Arbeit, aber wir schaffen es irgendwie." "Und wenn sie schießen?" "Können wir auch nichts machen. Wer rüber will, muss das Risiko eingehen." "Und wie viele gehen so pro Tag?"
"Manchmal zwei, manchmal 10."

Alle vier Tage kommt wieder eine schlimme Nachricht. Und dann geht der Schmerz nicht weg. Wie bei der Familie aus Bangladesh. Noch sind die Enkel klein. Aber was ist, wenn sie irgendwann auch über die Grenze wollen?

Autor: Gábor Halász

Stand: 22.04.2014 14:53 Uhr

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