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Frankreich: Das langsame Schrumpfen der Grande Nation

Der starke Partner schwächelt

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Frankreich: Das langsame Schrumpfen der Grande Nation | Bild: Das Erste

Nur er steht noch auf festem Fundament. Ansonsten wackelt Frankreich in diesen Tagen. Die Grande Nation zweifelt an sich selbst. Nur nicht an ihrer Mittagspause - die ist den Franzosen heilig.

In fast jedem Restaurant, wo man dieses Zeichen sieht, kann jeder, der einen Essengutschein hat, einkehren. Ein Luxus für Kunden wie für Restaurantbesitzer.
Denn so wie es für jeden Franzosen ein Grundrecht auf Baguette gibt, haben auch die Unternehmer eine sogenannte Verpflegungspflicht für ihre Angestellten. Gutscheine im Wert von 6 bis 10 Euro pro Arbeitstag, daran ist man in Frankreich gewöhnt.
Das Ganze steuerfrei - verzichten will darauf niemand :

Krise hin oder her, ich denke, das wird es immer weiter geben –
Eine charmante Art, die französische Gastronomie indirekt zu subventionieren. Da sind auch schon mal Austern in der Mittagspause kein ferner Traum.

Draußen, vor den Toren von Paris, sieht die Welt anders aus. Es sind nur 50 km, die die Hauptstadt mit all ihren Funktionären, Beamten und Ministern von dem Werk des französischen Autoherstellers Renault trennen. Früher war die Automobilindustrie das Herzstück der französischen Wirtschaft – der Stolz der Franzosen. Heute ist sie ihr größtes Sorgenkind. 25.000 Menschen haben in besseren Tagen hier in Flins Arbeit gefunden, heute sind es nur noch knapp 3000. Renault hat den Anschluss an die globalisierte Welt verschlafen, zulange auf den Absatz im eigenen Land gesetzt. Firmenleitung und Gewerkschaften verhandeln jetzt wie es weitergehen soll. Für Olivier Augustin ist es klar – der Gewerkschafter will keine Veränderung. Seit vier Uhr ist er bereits auf den Beinen, hat seine Schicht hinter sich und berät jetzt mit seinen Kollegen, wie sie auf Sparmaßnahmen der Firmenleitung reagieren wollen.

Olivier Augustin, Renault-Arbeiter

»Wir werden mit unseren Kollegen weiterhin diskutieren, wir müssen mit ihnen reden. Die Jungs müssen verstehen, um was es geht. Die sollen Lust haben, sich zu wehren. Es gibt keinen Grund, das alles zu akzeptieren, diese Politik von Renault hinzunehmen.«

Noch wissen sie nicht, welche Maßnahmen die Firmenleitung vorsieht – doch sie bereiten sich vor auf einen Arbeitskampf. Keiner will hier etwas aufgeben. Flexibilität – das ist das Wort, das alle Gewerkschafter im Raum fürchten.

Alain Luguet, Renaultarbeiter

»Wenn sich die Arbeitnehmer nicht wehren, dann können sich die Unternehmer alles erlauben. Und wir versuchen klar zu machen, dass das so nicht in Ordnung ist. Bei Renault funktioniert das nicht so einfach.«

Es waren Renaultarbeiter, die die 35-Stunden-Woche in Frankreich miterkämpft haben – noch wagen es weder Politiker noch Unternehmer, die 35 Stunden grundsätzlich in Frage zu stellen. Aber die Arbeiter in Flins fürchten das Schlimmste.
Die Firmenleitung von Renault will uns dazu kein Interview geben – man sei noch in Verhandlungen.
Ein kurzer Kaffee im Bistro nahe den Werkstoren – seine Frühschicht ist lange vorbei, die Gewerkschaftssitzung gerade zu Ende. Olivier Augustin ist zum Kämpfen bereit.

Im feinen 7. Arrondissement in Paris sieht man das anders. Hier hat der mächtige Arbeitgeberverband seinen Sitz. Gerade ist Frankreich zum zweiten Mal von einer Rating-Agentur herabgestuft worden. Laurence Parisot, die Präsidentin, drängt zur Eile.

Laurence Parisot, Präsidentin Arbeitgeberverband Medef

»Es ist höchste Zeit das Wort Flexibilität zu enttabuisieren. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Wir,die Arbeitsgeber, werden nichts unterschreiben, wenn die Gewerkschaften das Prinzip der Flexibilität nicht akzeptieren.«

Doch das wird schwierig werden. In Frankreich sind die Gewerkschaften nicht, wie in Deutschland, in Firmenentscheidungen eingebunden. In Frankreich stehen sich die Patrons – die Arbeitgeber und die Salaries, die Arbeitnehmer - frontal gegenüber.

Und der Staat? Pompös und allgegenwärtig – die sozialistische Regierung kämpft mit fast 90% Staatsverschuldung, einem aufgeblähten Beamtenapparat und einem verkrusteten Arbeitsmarkt. Jahrelang gab es keine Strukturreformen – jetzt muss gespart werden, auch bei Sozialleistungen. Das bringt politischen Zündstoff.

Eric Heyer, Wirtschaftswissenschaftler Sciences Po

»Im Vergleich zum deutschen Modell ist der französische Staat viel präsenter in der Wirtschaft.Das liegt sicherlich auch daran, dass es hier in Frankreich keine Vermittler gibt. So ist es letztlich der Staat, der die Entscheidungen trifft.«

Der Staat wird’s schon richten – das finden auch die Boule Spieler, die unweit des Renaultwerks in Flins jeden Nachmittag die Kugeln werfen.
Die meisten hier haben früher bei Renault gearbeitet, jetzt sind sie in Rente.

Jacques Dubois

»Ich glaube, man muss optimistisch sein, was Frankreich betrifft. Unsre Nation ist einer der Stützpfeiler Europas. Deswegen mach ich mir keine Sorgen.«

So gelassen sieht das Olivier Augustin allerdings nicht. Für den Gewerkschafter stehen die Zeichen auf Kampf. Mit seinen Kollegen demonstriert er gegen die Sparpolitik in Europa.

Olivier Augustin

»Es dürfen doch nicht die Arbeiter sein, die für diese Krise bezahlen müssen. Die Unternehmer dürfen doch nicht immer mehr Geld auf dem Rücken der Arbeiter verdienen. Es müssten die Chefs von Renault rausfliegen, nicht die Arbeiter.«

Es scheint alles beim Alten zu bleiben. Die Renaultarbeiter wissen genau, was sie wollen. Die Regierung allerdings hat noch immer keinen Kurs gefunden. Frankreich – die Grande Nation - sie sucht zur Zeit sich selbst.

Autorin: Ellis Fröder

Stand: 22.04.2014 14:50 Uhr

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