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Charkiv – Die russischste aller Städte

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Charkiv - Die russischste aller Städte | Bild: Das Erste

Die Grenze zur Ukraine. Ghobdovka. Der größte Grenzübergang. Früher wurden Reisende aus Russland hier einfach durch gewunken. Jetzt werden sie genau kontrolliert.

In den letzten Wochen haben russische Demonstranten hier immer wieder die Grenze überquert und in Charkiv die pro-russischen Demos angeheizt.

Die Grenzer sind nervös. Für heute haben pro-russische Kräfte in Charkiv zur Kundgebung aufgerufen.

Alexander Moskvin, ein erfahrener Grenzschützer - erklärt seinen Kollegen, wonach sie suchen sollen.

Das orange-schwarz Band – das Demonstranten bei den pro russischen Demos tragen, Waffen, Messer, Kampfanzüge.

Reporterin:

»Dieser Grenzverkehr ist warum so wichtig?«

Alexander Moskvin, Grenzschützer:

»Der kürzeste Weg von Belgorod nach Charkiv.«

Belgorod, eine russische Nachbarstadt. Von dort aus starten viele der Busse, mit denen russische Agitatoren über die Grenze zu den Demos fahren.

Diese vier Männer passen ins Profil.

Alexander Moskvin:

»Es gibt einen Verdacht. Besser, dass wir sie  kontrollieren…  gar durchsuchen.«

Allein in der letzten Woche haben die Grenzschützer mehr als 530 Personen herausgefischt. Unter den Demonstranten hat sich das inzwischen herumgesprochen.

Alexander Moskvin:

»Ich glaube mittlerweile nehmen sie andere Routen, weil sie wissen, dass wir hier die Maßnahmen verschärft haben. Sie schlüpfen woanders über die Grenze«

Trotz aller Kontrollen ist im Osten der Ukraine in den letzten Wochen ein reger Demonstrations-Tourismus entstanden.

Und hierhin fahren die Demonstranten: zur Leninstatue nach Charkiv.

Hier haben sie vor einer Woche die neu installierte Regionalregierung und Anhänger der sogenannten Maijdan Bewegung aus der Regionalverwaltung gejagt.

Mit Knüppeln und Schlagstöcken und Tränengas waren pro-Russland Anhänger ins Gebäude gestürmt.

Einer, der dabei war - ein junger Russe aus Moskau. Im Internet schwärmt er vom Sturm auf den Sitz des Gouverneurs.

Mika Ronkainen:

»Ich habe damals die russische Flagge auf dem Rathaus von Charkiv gehisst, um zu zeigen, dass wir die Stadt von der Regierung aus Kiew befreit haben.«

Inzwischen ist der Gouverneur zurückgekehrt. Jetzt überwachen ukrainische Polizisten seinen Sitz, um eine erneute Stürmung zu verhindern.

Wir treffen Ivan. Er war im Rathaus und wurde beim Angriff durch pro-russische Aktivisten am Kopf schwer verletzt. Er hatte sich der hiesigen Majdan Bewegung angeschlossen, um auch im Osten für mehr Demokratie zu kämpfen.

Er erzählt mir wie sie eingekesselt wurden.

Ivan ist nervös. Er will nicht, dass wir seinen vollen Namen nennen.

Er spricht Englisch, damit man uns nicht versteht.

Ivan:

»Wir hier in Charkiv tragen unsere Konflikte verbal aus.«

Ivan dreht sich um. Immer wieder unterbricht der Student seine Schilderung, fühlt sich beobachtet. Die Angst als Majdan Anhänger aufzufallen sitzt tief.

Ivan:

»Das waren Russen. Die waren so brutal. Sie trugen russische Hockeyhemden. An der Sprache habe ich sie genau erkannt.«

Die Einmischung von außen verzerrt das Bild, meint er.

Ivan:

»Das ist doch unsere Angelegenheit. Das ist unser Land. Unsere Stadt. Wir brauchen keine russischen Gäste um die Situation aufzuheizen. Wir werden das friedlich lösen.«

Mischen sich die Russen zu sehr ein?

Ivan:

»Ja, was hat russisches Militär auf der Krim zu suchen? Was mischen sich die Russen überhaupt ein? Das bringt uns an der Rand eines dritten Weltkrieges.«

Ivan will lieber gehen. Zu viele Menschen. Mittlerweile hat sich der Platz rund um die Leninstatue, die größte in der Ukraine mit pro Russland Anhängern gefüllt.

Es sind vor allem junge Russen in Kapuzen, die ihm Angst einjagen.

Russland, Russland rufen sie und zeigen damit ihre Nähe zum grossen Nachbarn. Hier im Osten fühlen sich die Menschen schon immer mit  Russland verbunden.

Igor Chulepetov:

»Wir haben jetzt 3 Monate lang geschwiegen, aber nachdem was da in Kiew passiert, müssen wir jetzt Position beziehen.  Dort herrscht die totale Gesetzlosigkeit. Uns hat man überhaupt nicht gefragt, was wir wollen. Wir wollen selbst über unsere Zukunft entscheiden.«

Und die russische Sprache und Kultur ist hier im Osten ein Teil ihrer Identität.

Doch selbst wenn sich viele Menschen im Osten der Ukraine traditionell Russland verbunden fühlen, vom großen slawischen Bruder wollen sie nicht geschluckt werden.

Autorin: Birgit Virnich
ARD Studio Moskau

Stand: 15.04.2014 10:44 Uhr

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