SENDETERMIN So., 15.03.20 | 19:20 Uhr | Das Erste

Spanien: Corona Krise - Stresstest für das Gesundheitssystem

Play Ein Rettungswagen steht vor der Notaufnahme des Universitätskrankenhauses Son Espases in Palma.
Spanien: Corona Krise - Stresstest für das Gesundheitssystem | Bild: picture alliance/dpa / Clara Margais

Gestern Abend um zehn wurde es in der ansonsten totenstillen Hauptstadt noch ein Mal richtig laut. Die Madrilenen hatten sich zum kollektiven Applaus verabredet – ein Dank an Krankenschwestern, Ärzte und Pfleger. Die ganze Stadt weiß, dass sie in den Krankenhäusern am Limit arbeiten. In einer Klinik im Zentrum hat Lourdes Reina gerade die Frühschicht beendet. Ihren Mundschutz behält sie lieber an – zur Sicherheit für sie – aber auch für das Kamerateam. Gleich zu Schichtbeginn hatte sie schon wieder drei neue Corona-Patienten in der Notaufnahme. Und das, ahnt sie, ist erst der Anfang. "Zum Internationalen Frauentag gab es noch eine Demonstration. Die hätte man, ehrlich gesagt, besser mal nicht abgehalten. Und viele Leute, die da waren, werden mit Sicherheit Symptome zeigen. Das müsste ab jetzt kommen."

Gesundheitssystem kommt an seine Grenzen

Eigentlich hat das spanische Gesundheitssystem einen guten Ruf, aber jetzt kommt es an seine Grenzen. Allein in Madrid sind mehrere Hundert Beschäftigte schon in Quarantäne. Und für die, die noch arbeiten können, wurden Urlaub und freie Tage bis auf Weiteres gestrichen. Der Ärzteverband hat so eine Situation immer gefürchtet – jetzt ist sie d, und das in einem System, das seit Jahren auf Sparkurs fährt. "Das war nicht hilfreich. Ich will nicht alarmistisch sein, die Kollegen sind toll und irgendwie kommen wir da wieder raus. Aber gerade an der Frontlinie – also in den Notaufnahmen oder in der Erstversorgung – gab es schon ein Defizit", sagt die Ärztin Ángela Hernández.

Auf Twitter, Instagram und Facebook ist das medizinische Personal schon vor der Politik in die Offensive gegangen: #QuedateEnCasa –"Bleib zu Hause". Irgendwie hatte sich das Gefühl breit gemacht, dass eine klare Linie fehlt. Gestern kam dann, nach rekordverdächtigen sieben Stunden Kabinettssitzung, die lang erwartete Entscheidung: In Spanien wird der Alarmzustand ausgerufen. "Die Maßnahmen, die wir ergreifen, sind drastisch und werden leider Konsequenzen haben", kündigte Regierungschef Pedro Sánchez an.

Ausgangssperre in ganz Spanien

Eine Frau mit Mundschutz im Interview
Krankenschwestern wie Lourdes Reina arbeiten am Limit. | Bild: NDR

Nun ist es also amtlich: Ausgangssperre in ganz Spanien. Ausreißer werden geduldig von der Polizei belehrt: Aus dem Haus darf nur noch, wer einkaufen, zur Arbeit, zum Arzt oder zur Apotheke muss. Das war überfällig, finden die Menschen in Madrid. Viele haben nämlich die Hauptstadt schon fluchtartig verlassen und sind aufs Land oder ans Meer gefahren. Und die, die dableiben, ärgern sich. "Madrid ist doch das Zentrum mit den meisten Infektionen. Und die Leute hauen ab, mit ihren Kindern, die auch Überträger sein könnten; Das ist total unverantwortlich. Und ich glaube, ein Teil des Problems ist, dass wir Spanier, wir Madrilenen das Ganze bisher als Kleinigkeit abgetan haben; Wir hatten eigentlich einen Familienbesuch geplant, und den haben wir wieder abgesagt. Wir wollen doch unsere Angehörigen nicht anstecken und das Virus an anderen Orten verbreiten."

Wer nur leichte Symptome zeigt, wird in den Krankenhäusern noch nicht einmal mehr getestet, sondern einfach nach Hause geschickt, zum Auskurieren. Jedes Bett soll freigehalten werden für die, die ernsthaft erkranken. Einige Hotelketten haben angeboten, Patienten in ihren Häusern unterzubringen. Ein paar Hotels, sagt Kike Sarasola von der Hotelier Room Mate Group, muss er zeitweilig sowieso schließen. "Das ist doch Schlimmste, was in einem Gesundheitssystem passieren kann, dass sie nicht mehr genug Betten haben. Wenn eine Krankheit alles belegt, was passiert dann mit den anderen Patienten?"

In den Kliniken haben die Verantwortlichen mit ganz anderen Problemen zu kämpfen: Gesichtsmasken, Schutzhandschuhe und Kittel gehen aus. Und Krankenschwester Lourdes Reina hat ihre Kinder seit zwei Wochen nicht mehr gesehen: "Mein Mann und ich schlafen im Moment getrennt, ich trag die Schutzmaske auch zu Hause, und wir versuchen, uns voneinander fernzuhalten. Ich mache alles, um das Risiko für meine Familie zu minimieren." Wie lange das noch so weitergeht? Ziemlich lange, schätzt Lourdes. Sie hört sich von Experten alles zum Thema an. Und die sind sich einig: Der Höhepunkt der Epidemie kommt hier erst im April.

Autorin: Natalia Bachmayer, ARD Madrid

Stand: 15.03.2020 20:09 Uhr

0 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.

Sendetermin

So., 15.03.20 | 19:20 Uhr
Das Erste

Produktion

Norddeutscher Rundfunk
für
DasErste