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Japan: Angst vor dem Atomkrieg – die Überlebenden erinnern

PlayToshiko Tanaka im Interview.
Japan: Angst vor dem Atomkrieg – die Überlebenden erinnern | Bild: NDR

Toshiko Tanaka gehört zu den letzten Überlebenden des Atomschlags von Hiroshima. Die inzwischen 84-Jährige hat es sich zur Aufgabe gemacht, über ihr Leben und das Erlebte zu erzählen. Heute sind Gäste aus Großbritannien zu Besuch. So geht es fast jeden Tag zu in dem kleinen Haus in Hiroshima. Die 84-Jährige hat aus ihrer Wohnung eine Begegnungsstätte gemacht. "Ich habe die Atombombe in Hiroshima überlebt. Es war nicht immer einfach für mich, darüber zu reden."

 Toshiko Tanaka ist eine gefragte Persönlichkeit

Wenn Toshiko Tanaka erzählt, dann geht es nicht nur um das Leid, das sie im Alter von sechs Jahren erlebte. Nicht nur darum, wie ihre Welt binnen Sekunden einstürzte, Tote und Schwerverletzte in den Straßen lagen. Es geht auch darum, wie sie lernte darüber zu sprechen. Welches Unglück damals über sie hereinbrach, hat sie in Kunstwerken verarbeitet. Zum Beispiel in einem dunklen Selbstbildnis: Das Schulkind umhüllt von einer dunklen Staubwolke. Wie damals nach der Explosion. Toshiko Tanaka ist eine gefragte Persönlichkeit. Sie ist eine der letzten Augenzeuginnen. Oft trifft sie Haruki Yamaguchi. Die 29-Jährige will die Erinnerung bewahren. Sie arbeitet in der Friedenserziehung mit Schülern.

 "Überall lagen Leichen"

Ein Frau spricht auf einer Bühne ins Mikrofon.
Mit 70 Jahren begann  Toshiko Tanaka über das Erlebte zu sprechen. | Bild: NDR

Toshiko ging am 6. August 1945 in die erste Klasse. Plötzlich erscheint ein amerikanisches Flugzeug und ein gleißendes Licht. In zwei Kilometern Entfernung von der Explosion erleidet sie schmerzhafte Verbrennungen. "Auf dem Weg nach Hause sind mir viele Leute aus der Umgebung entgegengekommen, alle mit schlimmen Brandwunden. Es kamen immer mehr hierher, denn hier war damals ein Fluss. Sie hockten sich hin und starben. Überall lagen Leichen." Die Sechsjährige irrt durch die Trümmerwüste, bis sie ihr Elternhaus wiederfindet – oder das, was davon übrig ist. Wie durch ein Wunder haben ihre Mutter und die Geschwister überlebt. Aber viele Angehörige, Nachbarn und Freunde werden sie nicht wiedersehen.

"Früher bedeutete Erzählen für mich nur Trauer. Ich mochte das nicht. Aber inzwischen kann ich es mit Hoffnung verbinden", sagt Toshiko Tanaka. Hoffnung, dass die Menschheit aus der Katastrophe lernt. Deshalb entschied sie sich, öffentlich darüber zu sprechen. Sie war da schon 70 Jahre alt. Überwinden kann sie sich erst, seitdem sie verstanden hat, wie kostbar ihr Zeugnis für die Nachwelt ist. Inzwischen hat sie in vielen Ländern von ihrem Erlebnis berichtet, weltweit hält sie Kontakte.

 Angst vor Atomwaffen ist zurück

Auch in der Ukraine hat Toshiko Freunde. Knapp 80 Jahre nach Hiroshima ist die Angst vor Atomwaffen zurück. "Wir haben per Video miteinander gesprochen. Ich sagte, ich kann leider gar nichts tun, ich habe ja kaum Geld, keinen Einfluss. 'Doch', sagte meine Freundin, 'es gibt etwas, was Du tun kannst: Du hast den furchtbaren Horror der Atombombe gesehen. Sprich mit der ganzen Welt darüber!'"

Für das Gedenken gibt es in Hiroshima den Friedenspark. Doch um die Erinnerung bei den jungen Menschen wach zu halten, braucht es mehr. Bevor Mitte Mai die Regierungschefs sieben wichtiger Industrieländer in Hiroshima tagen, lädt die Stadt zu einem G7-Jugendforum ein. Hier wird Toshiko Tanaka wachrütteln. Mit einer einfachen Botschaft: Jeder einzelne könne einen Beitrag zum Frieden leisten. Einen Freund im Ausland zu haben sei der erste Schritt.

Ächtung aller Atomwaffen ist Toshikos Anliegen

Stehle umrahmt von Infotafeln.
Für das Gedenken gibt es in Hiroshima den Friedenspark.  | Bild: NDR

Die Ächtung aller Atomwaffen ist Toshikos Anliegen. Doch sie will keine Politikerin sein, und niemandem ihre Erinnerung aufzwingen. Ihr authentischer Auftritt verfängt beim Publikum. Eine Schülerin fragt: "Sie sagten, wir sollen Freundschaften in aller Welt knüpfen. Könnten sie denn Ratschläge geben, wie das geht?"
Tanaka antwortet: "Nun ja, dafür braucht es nur menschliche Wärme. Es wird jetzt vielleicht einige überraschen, aber ich habe mich auch angefreundet mit dem Enkel von Präsident Truman, der damals die Atombombe werfen ließ. Und ein Besatzungsmitglied des Bomberflugzeugs hat mich schon mal zu Hause besucht." Auch Putin solle sich mal Hiroshima ansehen, so wie alle Regierenden.

Viele Opfer waren damals so jung wie Toshiko Tanaka. Das Kinder-Denkmal im Friedenspark von Hiroshima erinnert an sie. Doch die Erinnerung an sie soll nicht den steinernen Zeugnissen überlassen bleiben. Haruki hat Toshikos Erlebnisbericht aufzeichnen lassen. Ab jetzt erzählt die Zeitzeugin auch in einer App an Originalschauplätzen. "Wenn man es nüchtern betrachtet, ist meine Lebenszeit nun einmal begrenzt. Ich werde nicht für immer über meine Erlebnisse berichten können. Aber in dieser Form kann ich meine Erfahrungen weitergeben", sagt Toshiko Tanaka.

Viele sind gegangen, ohne zu sprechen. Toshiko Tanaka tut es auch ihnen zuliebe. Das sei ihr Beitrag zum Frieden.

Autor: Ulrich Mendgen, ARD-Studio Tokio

Stand: 26.03.2023 19:35 Uhr

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