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Weißrussland/Belarus: Vorsichtige Abkehr vom großen Bruder Russland

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Weißrussland/Belarus: Vorsichtige Abkehr vom großen Bruder Russland | Bild: dpa

Belarus, oder Weißrussland, wie es umgangssprachlich häufig heißt, bildet mit Russland eine Union zweier souveräner Staaten, schon seit vielen Jahren. Moskaus Einfluss auf die Regierung in Minsk ist groß. Doch inzwischen versucht der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko, sich langsam vom großen Nachbarn abzusetzen. Zu groß ist die Sorge, dass Wladimir Putin aus der Union der beiden Staaten ein groß-russisches Reich machen könnte. 

Belarussisch ist kaum verbreitet

Hleb Labadsenka
Belarussisch galt lange als Sprache der Opposition. | Bild: NDR

Sie treffen sich montags, in einer Kneipe in der Minsker Altstadt. Wer einen guten Platz will, kommt schon eine Stunde vorher. Voll wird es immer. Zum Auftakt gibt es heute ein Lied von Paul McCartney, frisch übersetzt– ins Belarussische. Und dann kommt Grammatik. Die eigene Sprache neu lernen. Denn bis heute ist Belarussisch kaum verbreitet, galt lange gar als Sprache der Opposition, weil der Präsident lieber russisch spricht. In den Schulen wird es zwar unterrichtet, doch im Alltag sprechen fast alle russisch. Die Kurse sind privat organisiert, es gibt sie im ganzen Land. Die Leute rennen uns die Bude ein, sagt der Initiator: "Wir haben schon vor dem Krieg in der Ukraine angefangen. Es ist nicht so, dass die Leute nur deswegen hier sind, aber der Krieg hat vielen Angst gemacht, und er hat Interesse an der Sprache geweckt. Damit nicht morgen einer kommt und sagt: Ihr seid doch alle Russen, wir holen euch zurück", sagt Hleb Labadsenka, Blogger und Initiator von "Mowa Nanowa".

Angst vor einer Vereingung mit Russland

Waler Karbalewitsch
Es gibt Anzeichen, dass Moskau die Vereinigung vorantreibt. | Bild: NDR

Die Annexion der Krim hat auch Belarus erschreckt. Und erst recht seinen Präsidenten. Alexander Lukaschenko, treuer Freund Russlands, betont in letzter Zeit auffällig deutlich die Eigenständigkeit seines Staates – selbst an Weihnachten: "Allen, die uns Schlechtes wollen, sei gesagt, dass wir nie wieder unter der Knute stehen werden. Wir sind ein stolzes, unabhängiges, tolerantes und sehr gutmütiges Volk."

Dass Moskau sich nun auch Belarus einverleiben wolle, ist das neueste Schreckgespenst in Minsk. Schon seit Jahren gibt es einen Vertrag beider Länder für einen gemeinsamen Staat. Bloß war es bislang nicht weit her damit. Doch es gibt Anzeichen, sagt der Politologe Waler Karbalewitsch, dass Moskau die Vereinigung jetzt vorantreibt: "Das Maximum, der gemeinsame Bundesstaat, ist jetzt nicht zu erreichen. Aber man kann das Minimum versuchen. Und das machen sie gerade. Sie kürzen die Subventionen und knüpfen weitere Wirtschaftshilfe zum ersten Mal an die Frage, ob Belarus bereit ist zum weiteren Zusammenwachsen, zur Vereinigung mit Russland."

Belarus abhängig von Russlands Subventionen

Kraftwerk und Stromleitungen
Belarus bekommt Gas und Öl zum Billigtarif aus Russland. | Bild: NDR

Tatsächlich schickt Moskau schon seit Jahren Gas und Öl zum Billigtarif – Subventionen in Milliardenhöhe. Doch beim Erdöl hat es diese Sonderkonditionen jetzt gekappt. Ein schwerer Schlag für das belarussische Wirtschaftsmodell. Denn das sah bislang so aus: die beiden Raffinerien importierten billiges Rohöl – und exportierten mit viel Gewinn die Ölprodukte. Gleich zweimal war Lukaschenko im Dezember im Kreml, um über das Öl zu reden. Vergeblich. Auch das Geschenk half nichts – vier Sack Kartoffeln aus Belarus, mit Kochanleitung. Das Ganze wirkte wie eine kleinlaute Entschuldigung: Lukaschenko braucht Putins Wohlwollen. Und erst Tage zuvor hatte er noch ziemlich forsch gesagt, was aus seiner Sicht hinter der neuen Öl-Politik steckt: "Ich kann zwischen den Zeilen lesen. Ich verstehe die Anspielung. Man kann es auch gleich aussprechen: 'Ihr kriegt von uns das Öl. Aber dann vergesst bitte auch euer Land und werdet ein Teil von Russland'".

Seltsame Beziehung zwischen Lukaschenko und Putin

Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin
Belarus bildet mit Russland eine Union zweier souveräner Staaten. | Bild: NDR

Auch in Moskau übrigens spekuliert man über eine mögliche Vereinigung. Es gibt wilde Gerüchte: Weil Putin in Russland laut Verfassung nicht nochmal kandidieren kann, wolle er den Gemeinschaftsstaat – und dann eben dort Präsident werden. Völliger Unsinn, sagt der Politologe Fjodor Lukjanow von der Hochschule für Wirtschaft in Moskau: "Diese Idee gibt es seit Jahren. Und sie ist absolut illusorisch. Wenn denn Putins Zukunft geregelt werden soll, braucht es bessere Pläne. Und was die Vereinigung betrifft – da muss man einfach nur den bisherigen Weg weitergehen. Denn der bindet Belarus sowieso unweigerlich immer enger an Russland.

Es ist eine seltsame Beziehung zwischen Lukaschenko und Putin. Lukaschenko regiert seit einem Vierteljahrhundert – länger als jeder andere europäische Staatschef. Und all diese Jahre schon laviert er zwischen demonstrativer Freundschaft zu Moskau und nötiger Distanz. Denn zu viel Nähe bedeutet Machtverlust. Und gleichzeitig weiß er, dass nur Moskau seine Macht garantieren kann.

Nationale Symbolik lange undenkbar

T-Shirt mir dem Aufdruck Belarus
Nationale Symbolik galt wie die Sprache lange als verdächtig, als Opposition gegen Lukaschenko. | Bild: NDR

Zuhause herrscht Lukaschenko mit harter Hand, viele seiner Gegner sind im Exil. Wahlen werden regelmäßig nicht vom Westen anerkannt, die Opposition wird unterdrückt. Dennoch: Er garantiert Stabilität, sagen viele Menschen. Und neuerdings sind Dinge möglich, die noch vor ein paar Jahren undenkbar waren. Ein Laden für belarussische Souvenirs zum Beispiel. Solch nationale Symbolik galt wie die Sprache lange als verdächtig, als Opposition gegen Lukaschenkos Politik der Russifizierung. "Im Moment lässt er uns machen", sagt Pawel Belawus. "Aber das kann sich wieder ändern. Bei Lukaschenko weiß man nie. Und trotzdem: Wenn ich wählen kann zwischen einem kleinen armen Belarus mit einem ewigen Lukaschenko oder einem riesigen, armen Russland mit einem ewigen Putin - dann bitte Belarus und Lukaschenko. Den kennen wir."  

Vor den Toren von Minsk entsteht mit Geld aus China ein riesiger Industriepark. Die Abhängigkeit von Russland wird er ein wenig verringern. Dennoch – ohne Subventionen aus Moskau käme Belarus nicht klar. Es bleibt fest in russischer Hand – auch ganz ohne Vereinigung. 

Autorin: Ina Ruck, ARD Studio Moskau

Stand: 13.09.2019 01:04 Uhr

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